Eine Frau mit einem gebrochenen Herzen
Ich möchte die Lehren aus diesem Geschehen in unsere heutige Welt und Zeit übertragen. Dazu möchte ich ihnen die Geschichte einer anderen Jüdin erzählen, die etwas Ähnliches erlebt hat. Deborah ist eine dynamische und attraktive Juristin. Aber sie wäre fast an ihrem zerbrochenen Herzen gestorben.
Deborah ist in einer nichtreligiösen jüdischen Familie aufgewachsen. Als Mädchen las sie gerne die Psalmen und die Propheten. Nach ihrem Jurastudium heiratete sie einen nichtjüdischen Juristen, sie bekam zwei Kinder. Unglücklicherweise ging es in der Ehe schon bald drunter und drüber; sie wurde beendet, nachdem ihr Mann sie wegen einer hübschen Sekretärin sitzen ließ. Man versuche, das Trauma nachzuvollziehen: Eine nette, intelligente, fähige Jüdin, verachtet und zurückgestoßen von einem Mann, dem sie sich für ein ganzes Leben lang anvertraut hatte. In ihrem Herzen empfand sie Schande, Wut, Trauer, Einsamkeit und ein tief empfundenes Gefühl der Zerrissenheit, weil das, was »ein Fleisch« sein sollte, in die Brüche gegangen war. Als Alleinerziehende konnte sie ihre Rechtsanwaltspraxis nicht aufrechterhalten. Sie hatte keine Möglichkeit, für sich und ihre Kinder zu sorgen. Ihr Leben war ein Trümmerhaufen; sie dachte an Selbstmord.
Während dieser verzweifelten Situation besuchte sie eine Freundin, die ihr eine Bibel gab und ihr vorschlug, die Berichte über das Leben Jesu zu lesen. Mit ihrem jüdischen Hintergrund und der Kenntnis der Kultur entdeckte Deborah in den Evangelien vieles, was Nichtjuden übersehen. Als sie diese Geschichte von der Frau mit der Blutung las, hat sie sich völlig mit ihr identifiziert. Deborah blutete das Herz und ihr Leben war ebenfalls ein Scherbenhaufen. Als sie las, was diese Frau tat, war sie geschockt. Keine jüdische Frau durfte so etwas tun. Der Mann Jesus, selbst Jude, müsste sie eigentlich der Zerstörung preisgeben; das forderten die religiösen Vorschriften.
Deborah war vollkommen überwältigt, als sie las, was Jesus stattdessen zu ihr sagte: Meine Tochter! Sie sagte sich: Wenn Jesus jene Frau »meine Tochter« nennen konnte, dann würde er auch mich als seine Tochter ansprechen . Sie fiel auf ihre Knie und betete: »Jesus, ich kenne dich nicht, aber ich möchte deine Tochter sein.« In der Tiefe ihres Herzens vernahm sie seine Stimme: »Deborah, du bist meine Tochter.« In demselben Augenblick wurde Deborah durch dasselbe Wort geheilt, das Jesus 2 000 Jahre zuvor einer anderen Frau gesagt hatte.
Was für ein Wort kann ein zerbrochenes Herz und einen verwundeten Geist heilen? Es kann ein einziger Ausdruck sein wie dieses Aramäische »Meine Tochter«. Es kann sich um einen längeren erklärenden Abschnitt handeln, eine Aufforderung oder einfach eine Erzählung. Es kann sich um einen Text aus der Bibel handeln, ein Wort aus einem Gebet oder um eine Botschaft, die der Heilige Geist ins Herz spricht. Es kann auch irgendeine sichtbare Darstellung oder ein Symbol sein, das, wenn die Sinne es aufnehmen, innere Konflikte löst und Frieden und Heilung bewirkt.
Gott, der die Trägheit der Herzen des Volkes Israel kannte, erklärte dem Propheten Jesaja dieses Prinzip in negativer Form:
Da sprach er: »Geh und sag diesem Volk: Hört mir nur zu, so lange ihr wollt, ihr werdet doch nichts verstehen. Seht nur her, ihr werdet doch nichts erkennen! Sag ihnen das, und mach ihre Herzen hart und gleichgültig, verstopf ihre Ohren, und verkleb ihre Augen! Sie sollen weder sehen noch hören, noch mit dem Herzen etwas verstehen, damit sie nicht umkehren und geheilt werden« (Jesaja 6,9–10).
Die Botschaft dieses Textes ist eindeutig: Was wir hören und sehen, nimmt unser Verstand auf. Wenn diese Gedanken von unseren Gefühlen, Emotionen und Intuitionen akzeptiert werden, geschieht Heilung. Es ist sicher nicht ohne Bedeutung, dass alle vier Evangelisten und der Apostel Paulus diesen Text zitieren. 1
Während unser Verstand sich primär auf Ideen und Argumente richtet, wird unser Herz häufig durch Symbole angesprochen. Symbole helfen uns, die Realität auf einer tieferen Ebene zu verstehen, die Worte allein nicht erreichen können. Wenn sich Informationen, die zunächst nur aus Ideen bestehen, in ein Symbol verwandeln, dann können auch unsere Gefühle, Emotionen und Intuitionen sie wahrnehmen. Jene kranke Frau hörte, wie Jesus sie: »Meine Tochter« nannte. Diese Idee hat mit der „Wirklichkeit“ nichts gemein, denn Jesus war nicht ihr leiblicher Vater. Ihr Herz aber hat dieses Symbolwort sofort verstanden, denn sie nahm Jesus wahr als jemanden, der sie in seine Familie aufnahm, sie vorbehaltlos akzeptierte und sie wieder rein werden ließ. Genauso hat sich Deborah, überwältigt von der Art und Weise, wie Jesus diese Frau auf- und annahm, in ihrer Verzweiflung nach Jesus ausgestreckt und ihn gebeten, sie auch als seine Tochter anzusprechen. Als ihr Herz ihn als den wahrnahm, dessen Tochter sie werden sollte, wurde sie geheilt und ihr Leben wurde umgestaltet.
Worte haben Macht und Kraft. Sie können heilen, aufbauen und uns stärken. Sie können Schmerzen zufügen, Krankheiten heraufbeschwören und sogar Leben vernichten. In Kapitel 1haben wir uns mit John beschäftigt, der an TB erkrankt war. Er hatte von seinem Onkel dieses niederschmetternde Wort gehört: »Du wirst sterben.« Und fast wäre er tatsächlich gestorben. John jedoch übergab sein Leben Christus und vernahm dann heilende Worte, die mächtiger wirkten als die zerstörerischen Worte seines Onkels.
Frau Matala hatte John gefragt: »Wer ist stärker, Jesus oder dein Onkel?« Johns Verstand hat diese Frage auf der Basis dessen verarbeitet, was er von Frau Matala gehört und in der Bibel gelesen hatte. Als er antwortete: »Jesus ist stärker«, hat er seinem eigenen Herzen ein heilendes Wort zugesprochen und das folgerte, dass es jetzt keinen Grund mehr gab, seinen Onkel zu fürchten. Dann verhalf Frau Matala ihm zu der Einsicht, dass es wichtig sei, seinem Onkel zu vergeben. Im Gebet sagte er Gott, dass er seinem Onkel vergeben hatte. Johns Herz verstand dieses Wort und ließ ab von Wut und Hass, woran es bis dahin festgehalten hatte. So wurde sein Herz geheilt und fing an, seinen Körper zu stärken. In Kapitel 4werden wir sehen, wie so etwas funktioniert.
Der Journalist, Autor und Forscher Norman Cousins (1915–1990) hat ein bedeutendes Buch mit dem Titel The Healing Heart (Das heilende Herz) geschrieben. In der Einleitung zum Buch erzählt der Friedensnobelpreisträger und Kardiologe Dr. Bernard Lown, damals Professor an der Harvard University School of Medicine , die Geschichte eines kranken Mannes in kritischem Stadium, der gerade einen massiven Herzanfall erlitten hatte. Trotz intensivster Therapieversuche schien sein Ende nahe. Als Dr. Lown das Herz dieses Mannes abhörte, stellte er einen eigenartigen Rhythmus seiner Herztätigkeit fest, einen Dreifach-Schlag, »Galopp« genannt. In der Annahme, der Mann liege im Koma, rief Dr. Lown seine Kollegen mit den Worten herbei, sie sollten sich diesen »gesunden Galopp-Rhythmus« einmal anhören. Überraschend wurde es langsam besser mit dem Mann, und er genas von seinem Herzanfall.
Als der Patient einige Monate später zu einer Nachuntersuchung kam, erwähnte Dr. Lown seine wundersame Heilung. Der Mann sagte: »Doktor, ich weiß nicht nur, was mich heilte, sondern ich kenne sogar den genauen Zeitpunkt, wann das geschah. Ich war mir sicher, dass mein Ende nahe war und Sie und die anderen Ärzte die Hoffnung aufgegeben hatten. Als Sie jedoch am Donnerstagvormittag mit Ihren Truppen einmarschierten, geschah etwas, was alles veränderte: Sie hörten mein Herz ab, Sie schienen mit dem Befund zufrieden und verkündeten allen, die sich um mein Bett herum versammelt hatten, ich hätte einen ›guten Galopp‹. Mir war klar: Sprächen die Ärzte mich direkt an, würden sie sich bemühen, das weniger deutlich zu sagen. Aber sie würden sich gegenseitig nichts vormachen. Als ich nun also vernahm, wie Sie Ihren Kollegen erklärten, ich hätte einen gesunden Galopp drauf, konnte ich mir das nur so erklären, als würden Sie sagen: Der hat noch eine Menge Kick im Herzen und kann keineswegs im Sterben liegen. Zum ersten Mal rappelten sich meine Sinne auf und ich wusste, ich würde weiterleben und genesen.« 2
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