Gräfin Mansfeld war in die Enge getrieben. „Ein Kleidungsstück aus feinster Seide ...!“
„Weiter, weiter!“ drängte die Kaiserin.
„Es ist ein Kleidungsstück, das bei Damen von leichter Tugend mehr der Verführung als der Verhüllung dient ...“
Jetzt hatte die Kaiserin die Sachlage erfasst. Starr wie eine Statue stand sie da. Tiefster Abscheu zuckte um ihren schöngeformten, aber herben Mund, der sich verbissen zusammenkniff.
„Also ein Hurenhemd!“ sagte sie laut und hart. Die Damen ihres Hofstaates zuckten zusammen. Die Obersthofmeisterin versank abermals in die tiefe Reverenz und hauchte: „Jawohl, Majestät!“
Die Wangen Ihrer Majestät überzogen sich mit einem leichten Rot. Zwischen den Zähnen sprach sie: „Wahrscheinlich auch noch verbrämt mit den teuersten venezianischen Spitzen.“
Die Gräfin Mansfeld, glücklich, das Verhör überstanden zu haben, erwidert fast fröhlich: „Jawohl, Majestät!“
Ein vernichtender Blick der Kaiserin traf sie. Mit grossen Schritten ging die Kaiserin durchs Zimmer, sie schien in tiefster Erregung zu sein, ihre dunklen Augen waren feucht, die Empörung entfaltete ihre schöne dunkle Stimme zu vollem Klang: „Meine Hemden sind aus böhmischem Leinen. Ich wechsle sie nur jeden Monat und flicke sie sogar selbst!“
Die Damen des Hofstaates unterdrückten einen Seufzer. Denn auch sie trugen ihre harten böhmischen Leinenhemden einen Monat und noch länger.
Die Kaiserin hatte mit zitternden Händen ihr Gebetbuch wieder geöffnet und stand im Gebet versunken. Auch ihr Hofstaat suchte die sündigen Gedanken zurückzudrängen und sich der Andacht hinzugeben. Aber die „weltliche Lust“ war mit ihrem aufreizenden Stachel in die fromme Schar gefahren, und Wünsche flatterten durch die frommen Worte, die nur mechanisch von den Lippen strömten.
„Gräfin Dietrichstein!“ erklang der Kaiserin tiefe Stimme von neuem.
Die erste Hofdame trat mit tiefer Reverenz vor.
„Rufen Sie Pater Ignatius!“ befahl die Kaiserin. „Nein, gehen Sie selbst zu ihm. Er soll Seiner Majestät ins Gewissen reden. Er soll ihm vorstellen, zu welchem Schaden der Seele seine Haltung führt. Seine Majestät soll Busse tun. Pater Ignatius soll dem Kaiser einen Bussgang auferlegen. Mit aller geistlichen Strenge. Sagen Sie das dem Pater Ignatius, Gräfin.‘
Die Gräfin Dietrichstein zog sich mit abermaliger Kniebeuge zurück, um dem Wunsche der Kaiserin zu willfahren.
Die Kaiserin sah ihre Damen im Kreise herum an.
„Auch wir werden in unserer Erbauungsstunde mit unseren Gedanken der Sühne fremder Vergehen dienen!“ sprach tonlos die Kaiserin. Manche der Damen verbarg in der Kniebeuge ihr Erröten, als Ihre Majestät jetzt vorüberschritt. Die steife schwarze Robe rauschte, und der eisige Hauch, der aus ihren Falten strömte, brachte das kleine, brennende Herz der schönen Ilona tief zum Erschauern.
Endlich!“ So hatte Graf Sinzendorf befreit aufgeatmet, als er vom Fenster der ersten Antikamera aus die Stafette die Treppe aus dem Schweizerhof hatte herauftaumeln sehen. Der Mann hatte sich kaum mehr aufrecht halten können, als er in die zweite Antikamera gewankt war und auf die Fragen der Anwesenden keuchend gemeldet hatte: „Zwei Pferde zuschanden geritten, ein Mann ist tot!“
Nun sass der Kaiser schon eine ganze Weile mit dem kleinen Pack in den Händen, den ihm der Oberstkämmerer geöffnet hingereicht hatte. Er sass da, ohne die hängende Unterlippe zu einem Lächeln zu heben, als er das süsse Gebilde aus Duft und Seide immer wieder mit zwei Fingerspitzen hochhob. Kein Zweifel, der Kaiser zögerte, der Marquise das versprochene Geschenk selbst zu überbringen.
„Wir müssen alles versuchen, Seine Majestät zu einem Besuch bei der Valais zu veranlassen!“ flüsterte Sinzendorf dem Trautensberg zu. Halblaut, doch so, dass es der Kaiser hören konnte, sprach jetzt Trautensberg mit deutlicher Absicht zurück: „Ob Madame de Montespan in Versailles sich wohl auch solcher Kostbarkeiten erfreuen darf?“
Der Kaiser erhob sich, Trautensbergs knechtselige Bemerkung war eine belebende Latwerge für die krankhafte Eitelkeit der Majestät.
„Wir haben die Marquise noch nie in ihren Gemächern besucht! Dies wäre ein Anlass!“ So lallte der Kaiser.
Gefolgt vom Oberstkämmerer, vom Oberstjägermeister und vom Inspector musicae schritt dann der Kaiser durch die kahlen, grabeskühlen Gänge der Burg. Hinter seiner Stirn kreisten die Gedanken an alle die Unverschämtheiten, die der Sonnenkönig in Versailles je über ihn geäussert hatte.
„Beleidigte pflegen den Beleidiger sklavisch nachzuahmen!“ flüsterte der freche junge Lamberg hinter dem Kaiser her, als Seine Majestät die Antikamera verliess, um der Laune der mit allen Wassern gewaschenen Pariserin zu dienen.
Das Bad der Marquise de Valais war eine hohe silberne Grotte, in deren Tiefe eine grosse goldene Muschel stand. Sie empfing dort ihre intimsten Freunde; jedoch seit Tagen war auch diesen das Bad verschlossen. Auch heute sass Madame allein in dem grossen Raum in der Muschel, aus der es tiefrot leuchtete, als badete sie in Blut. Der Marquis wartete seiner Gattin galant auf, doch sie würdigte ihn keines Blickes. Seit einer Stunde sass sie in ihrer Muschel und wartete. Schon mehrmals musste das Bad mit heissem gewässertem Wein nachgefüllt werden. Da klopfte es endlich an die Tür. Sinzendorf trat oben auf die kleine Galerie und flüsterte hinab: „Seine Majestät!“
Der Marquis knickte zusammen. „Endlich!“ flüsterte er und zog sich eiligst zurück ...
Vor der Tür zum Bad blieb der Kaiser unschlüssig stehen. Dann nahm er dem Oberstkämmerer den kleine Packen ab, zögerte aber noch immer einzutreten. Mit devot gesenkten Häuptern standen seine Herren hinter ihm. Plötzlich ging, wie von Geisterhänden geöffnet, die Tür vor dem Kaiser auf, aber noch immer zögerte Majestät, nur einen kleinen, zaghaften Schritt tat sie auf die Tür zu, dann noch einen. Im gleichen Tempo zogen sich die Herren rücklings zurück, der Kaiser merkte es nicht, so tief dachte er über etwas nach. Als er endlich die Stille hinter sich verspürte und sich umsah, war er allein. Da schritt der Kaiser weiter und kam in den Vorraum zum Bade, den lange Doppelvorhänge aus tiefrotem Samt von der Grotte abschlossen. Er trat durch die Vorhänge und stand in einem zweiten schmalen Vorraum, der wieder von wallenden Portieren zur Grotte hin verhängt war. Wieder zögerte Seine Majestät. Da geschah etwas Ungeheuerliches. Durch den Spalt der ersten Portiere lugte ein übermütiges Bubengesicht, dann schob sich ein Fuss heraus und trat in die Rückseite, die sich vor ihm wölbte. Der Kaiser taumelte auf seinen schwachen Beinen nach vorn in die zweite Portiere und damit in die Badegrotte. Ehe er in diese verschwand, hatte er sich erschreckt umgesehen, aber niemand erblickt.
*
Aus dem Vorraum zum Bad lief der Page Luitpold von Hausenstein, lief zum offenen Fenster und sprang mit entsetzensweiten Augen durch dieses hinab in den Burggraben, in dessen grüner Flut er lautlos versank und nicht mehr auftauchte. Der kleine Page hatte den Kaiser im Halbdunkel mit dem von aller Welt verhöhnten Baron Zwiefel verwechselt, der des Kaisers erster lustiger Rat war. So schlang sich, angefangen mit dem armen Pferde Zenta, eine Kette von Unglücksfällen um diesen Tag, an dem man der kaiserlichen „deutschen Majestät“ zu Wien eine Maitresse en titre nach bestem Versailler Muster an den Hals gehängt hatte.
Als der Kaiser nach den ersten zehn Minuten nicht zurückgekommen war, wussten Trautensberg, Sinzendorf und ihr Anhang, dass das „grosse Werk“ gelungen war. Sie ergingen sich, entre nous in der ersten Antikamera in seufzenden Reden über die schwere Mühe, die es ihnen gemacht hatte, die schöne Valais überhaupt nur in die Nähe ihres bigotten Monarchen zu bringen, der bereits zwei Ehegattinnen mit mehr oder weniger Mühe die Treue gehalten hatte.
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