Der Regen strömte unablässig.
Verena stand, schon im Trenchcoat, am Fenster und schaute zum Himmel empor. Es sah nicht aus, als ob es jemals wieder aufhören wollte.
Sie hörte, daß die Tür hinter ihr geöffnet wurde und fuhr herum. Neuhausen steckte den Kopf ins Zimmer.
»Verenchen, gut, daß ich Sie noch treffe …«
Sie sah ihn schweigend an.
»Ich wollte nur fragen, ob ich Sie in meinem Wagen mitnehmen kann bei dem Sauwetter.«
»Das ist nicht nötig«, entgegnete sie steif.
»Nur im Geschäftsinteresse, Verenchen!« Er zeigte sein Gebiß. »Eine erkältete Cheflektorin scheint mir nicht wünschenswert!«
»Bitte«, sagte sie kühl, »aber ich muß in die Betunienallee …«
»Um so besser, das ist ja ganz in meiner Nähe!« Er öffnete ihr die Tür und ließ sie vorausgehen. »Nicht, daß ich Sie nicht liebend gern bis ans Ende der Welt bringen würde, Verenchen!«
Im Wagen war es feucht und kühl. Neuhausen stellte die Heizung an.
Verena behielt die Hände in den Taschen, die Aktenmappe unter den Arm gepreßt und starrte geradeaus. Der Scheibenwischer bewegte sich hin und her, geräuschlos und unermüdlich, und bei jeder Bewegung schuf er ein blankes Halbrund auf der beschlagenen Scheibe.
»Übrigens«, begann Neuhausen, ohne Verena anzusehen, »ich habe mir das überlegt – mit dem Vorwährungsreformmanuskript …«
Sie schwieg beharrlich.
»Man könnte es vielleicht doch mal damit versuchen.«
Er machte eine Pause, als wartete er auf Verenas Reaktion, aber sie rührte sich nicht.
»Ich denke da an Gatze und Co … Der alte Gatze hat sein Geld im Zuckergeschäft gemacht und der Junior bringt es jetzt mit seinem Verlag durch, der liebt solche Sachen, wie Sie wissen. Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, denen das Manuskript anzudrehen, damit wir auch noch was von dem Segen abbekommen, bevor sie bankrott sind.«
»Das müssen Sie wissen, Chef«, sagte Verena endlich.
Eine Weile fuhren sie schweigend.
»Was für einen Eindruck hat denn dieser junge Mann auf Sie gemacht«, begann Neuhausen dann wieder, »dieser … Jochen Schmitz?«
»Er heißt Schmidt«, sagte Verena, »und im übrigen ist er sechsundzwanzig Jahre alt.«
»Zu jung für Sie, Verenchen … viel zu jung«, sagte Neuhausen und schnitt eine Kurve.
»Das sollten Sie nicht tun, Chef!« entfuhr es Verena.
»Was?«
»Kurven schneiden … noch dazu bei dem Wetter!«
Er grinste. »Ich bin schon gefahren, als Sie noch nicht auf der Welt waren, Verenchen! Sie haben doch keine Angst um mich?«
»Nein, aber um mich!« erwiderte sie böse.
»Ihre Ehrlichkeit wirkt auf mich immer wieder erschütternd!«
Sie merkte, daß sie ihn jetzt ernstlich verletzt hatte. »Ach«, sagte sie wütend, »das ist doch zu dumm! Sie wissen ganz genau, wie aufgeschmissen ich wäre … wir alle … wenn Ihnen etwas zustieße! Was sollte dann aus der Agentur werden? Also, bitte, fahren Sie vorsichtig … oder wenigstens vernünftig, zum Teufel!«
»Sie sind heute ordentlich geladen, wie?« Er grinste schon wieder.
Sie schwieg.
»So, hier sind wir«, stellte er fest, »Betunienalle … welche Nummer wohnt Ihr Freund?«
»Siebenundvierzig! Und zu Ihrer Beruhigung … es ist eine Freundin!«
»Sie machen mir Sorgen, Verenchen, wollen Sie denn nicht endlich heiraten?«
»Ich wüßte nicht, warum … und auch nicht, wieso Sie ein Interesse daran haben könnten!«
Der Wagen hielt.
»Verena«, sagte er mit übertriebener Feierlichkeit, »Sie wollen mich doch nicht zwingen, wieder einmal um Ihre Hand anzuhalten?«
»Du lieber Himmel!« Sie mußte lachen.
»Sie würden mich zum glücklichsten aller Sterblichen machen, glauben Sie mir!«
»Also, wissen Sie, Chef, das ist nicht fair. Ich finde, mein Gehalt kann die Firma gerade noch tragen!«
»Bis morgen, Verenchen!«
»Bis morgen, Chef! Und schönen Dank!«
Er winkte ihr durchs Wagenfenster zu, als sie schon im Hauseingang stand. Dann fuhr der Wagen davon.
Verena lächelte noch immer. Sie wußte, daß er erleichtert war, sie mit seinem alten Witz zum Lachen gebracht zu haben. Das war so seine Art, sich für schlechtes Benehmen zu entschuldigen. Wenigstens war er nicht ohne Einsicht, bestimmt gab es viel schlimmere Vorgesetzte.
Zehn Jahre arbeitete sie jetzt bei Neuhausen, und trotz aller Reibereien war es noch nie zu einem ernsthaften Krach gekommen. Im Grunde genommen verstanden sie sich doch recht gut, und die nächsten Tage würde er bestimmt besonders zahm sein, wie stets nach solchen Ausfällen. Es war töricht von ihr, sich immer wieder ins Bockshorn jagen zu lassen. Man mußte ihn einfach nehmen, wie er war, ändern können würde ihn niemand mehr.
Die Haustür wurde aufgedrückt, und Verena stieg zum zweiten Stock hinauf. Ein nettes Mädchen in schwarzem Kunstseidenkleid, weißer Schürze und weißem Häubchen erwartete sie an der Wohnungstür.
»Fräulein van den Berg?«
»Ja.«
»Die gnädige Frau erwartet Sie!«
Sie half Verena aus dem Trenchcoat.
»Sie sind noch nicht lange hier, nicht wahr?« fragte Verena.
»Seit zwei Monaten, gnädiges Fräulein!«
Aber schon gut dressiert, hätte Verena beinahe gesagt, aber verschluckte noch rechtzeitig diese Bemerkung.
So was! dachte sie. Das wird ja immer toller. Ein Mädchen mit Spitzenhäubchen! Nächstens wird Georg ihr noch einen Swimming-pool auf dem Balkon anlegen!
Das Mädchen öffnete die Tür zum Wohnzimmer und ließ Verena eintreten.
Ihr erster Blick fiel auf Georg, der, noch ohne aufzuschauen, im Sessel saß, die Beine weit von sich gestreckt und in der Zeitung las.
Es gab ihr einen Schlag, fast prallte sie zurück. Dann zwang sie sich, weiterzugehen, setzte einen Fuß vor den anderen, lächelte Brigitte zu und sagte mit einer fröhlichen Stimme, die ihr selber fremd und unnatürlich klang: »’n Abend, Brigitte! Ich bin pünktlich, was? Mein Chef hat mich mit seinem Auto gebracht!«
Brigitte sah sie an, Spott in den schläfrigen Augen. »Fein, daß du gekommen bis … Ich war gar nicht sicher, ob du mich nicht wieder versetzen würdest!«
»Unsinn!« Verena gelang es, zu lachen.
Georg war aufgestanden, die zusammengelegte Zeitung in der Linken. Sie mußte ihn begrüßen.
Sein warmer, fester Händedruck tat ihr fast unerträglich wohl. Ohne ihn anzusehen, spürte sie doch seine braunen, ernsten Augen auf ihr Gesicht gerichtet. Ein, zwei Sekunden, dann war es überstanden.
»Setz dich doch, Verena«, sagte Brigitte, »wie geht’s dir denn?«
»Oh, danke, alles beim alten!« Verena redete nervös drauflos. »Ärger mit Neuhausen wie immer, und Ina scheint sich wieder mal verliebt zu haben.«
»Und du?«
»Ich?«
»Na, ich meine nur. Willst du deine Tugend weiterhin eisern verteidigen?«
»Ihr entschuldigt mich wohl«, sagte Georg, der stehen geblieben war, »es wird Zeit für mich!«
»Geh nur, Liebling, wir halten dich gewiß nicht!« sagte Brigitte süß.
Verena blickte in Georgs Richtung. Er verbeugte sich knapp, sah sie mit traurigen Augen an, und dann hatte er das Zimmer verlassen.
Die Atmosphäre war mit einem Schlag verändert, die gefährliche Spannung, die Verena fast körperlich gespürt hatte, war in ein Nichts zerronnen; jetzt war sie mit Brigitte allein, eine Plauderstunde zwischen alten Freundinnen sollte beginnen, kein Grund mehr zu irgendeiner Beklemmung.
Verena zündete sich eine Zigarette an und überließ sich einen wohligen Augenblick lang ihrem Entspanntsein.
»Warum kannst du Georg eigentlich nicht leiden?« fragte Brigitte unvermittelt und ohne Verena anzusehen. Sie hatte den Kopf über eine Strickarbeit gebeugt. Jetzt stellte Verena fest, daß sie ihre Haarfarbe wieder einmal gewechselt hatte. Ihre kurzgeschnittene, künstlich verstrubbelte Frisur leuchtete kupferrot im Licht der Stehlampe.
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