»Eine gewisse Schwierigkeit!« Er lachte hysterisch auf. »Eine gewisse Schwierigkeit! Frau van den Berg, bitte, seien Sie doch so gut und teilen Sie mir mit, wem ich einen solchen Roman verkaufen soll! Sie wissen es, nicht wahr, ich bin sicher, daß Sie es wissen! Also, sagen Sie es mir!«
Verena schwieg.
»Nun, Sie schweigen – auch eine Antwort! Dann will ich es Ihnen sagen. Ein Roman, der in der Zeit vor der Währungsreform spielt, läßt sich überhaupt nicht verkaufen! Hören Sie gut zu, Frau van den Berg … läßt – sich – überhaupt – nicht – verkaufen! Nirgendwo! An niemanden! Kein Verleger auf der ganzen Welt wird einen solchen Roman drukken, verstanden?«
Verena blickte auf. Neuhausen war stehengeblieben, rang nach Luft und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Die Story ist gut, Chef, und der Roman ist wirklich glänzend geschrieben, das werden Sie doch auch festgestellt haben!« sagte sie.
Ihre Stimme klang ruhig, aber Zorn brannte in ihrem Inneren. Verdammt will ich sein, dachte sie wütend, wenn du auch nur einen Blick in das Manuskript getan hast, du ekelhafter alter Idiot! Sie senkte rasch die Augen, aus Angst, er vermöchte ihre Gedanken zu lesen.
»Meinen Sie, daß sich die Story auch in eine andere Zeit transponieren ließe?«
»Sicher«, sagte Verena, »obwohl …«
»Danke! Dann schreiben Sie das dem Autor gefälligst! Schreiben Sie ihm, er soll’s transponieren. Oder er soll seinen Roman die nächsten zehn Jahre in der Schublade liegen lassen, aber in der hintersten! Vielleicht nimmt ihn später mal jemand ab. Jetzt nicht … jetzt kriegt er ihn nirgends unter, auf keinen Fall!«
»Jawohl, Chef!«
»Schreiben Sie ihm am besten, er soll das ganze in … na, sagen wir mal, ins Elisabethanische England transponieren. Oder auch nach Frankreich in die Zeit der Französischen Revolution. Historische Schinken ziehen immer! Sagen Sie mal, was schauen Sie mich denn so an, Frau Heinzelmann?«
»Ich … nicht daß ich wüßte …« Frau Heinzelmann senkte erschrocken den Blick.
»Los! Sie haben mich angesehen, als ob Sie was sagen wollten!«
»Nein, wirklich nicht.«
»Raus mit der Sprache!« brüllte er.
»Ich … ich wollte nur sagen. Ich dachte nur … zwischen der Zeit vor der Währungsreform bei uns und dem Elisabethanischen England … da gibt es doch gar keine Ähnlichkeit!«
»So? Sie wissen also genau, wie es im Elisabethanischen England zugegangen ist? Interessant, sehr interessant! Dann erzählen Sie mir doch, bitte, was darüber. Seien Sie so gut!«
»Nein, ich – ich weiß natürlich nicht …«
»Und wer, glauben Sie, weiß es?«
Frau Heinzeimann schwieg und wagte nicht aufzusehen.
»Niemand, sage ich Ihnen! Man braucht den Leuten nur zu erzählen, im Himmel ist Jahrmarkt, und sie glauben es, da können Sie sicher sein. Und warum auch nicht? Ich frage Sie!«
Frau Heinzelmann wußte nichts zu antworten.
»Also, Verena, Sie wissen, was Sie dem Autor zu schreiben haben! Er soll die Sache ins Elisabethanische England transponieren, seien Sie so gut, ja?«
»Ja, Chef!«
Einen Augenblick noch blieb er mitten im Raum stehen und starrte die beiden Frauen durch seine dunklen Brillengläser an, dann ging er zur Tür. »Ich werde Ihnen das Manuskript gleich rüberschicken«, meinte er noch; dann war er gegangen.
»Na, ich hoffe nur, jetzt ist ihm wohler«, sagte Verena nach einem kurzen Schweigen.
»Ich sag’s ja immer«, murmelte Frau Heinzelmann.
Wo sind wir stehengeblieben?«
»Es tut mir so leid, Frau van den Berg.«
»Was denn?« fragte Verena leicht gereizt.
»Daß ich das gesagt habe! Jetzt hat er sich nur noch mehr in sein Elisabethanisches England verbissen.«
»Unsinn! Bis der Autor das Manuskript überarbeitet hat – falls er sich überhaupt darauf einläßt – hat Neuhausen das längst vergessen, das sollten Sie doch wissen.«
»Manchmal wundere ich mich wirklich …«, sagte Frau Heinzelmann, stockte mitten im Satz und fügte hinzu: »Aber so was soll man wohl besser gar nicht aussprechen!«
Verena spielte mit ihrem Bleistift; sie hatte gute Lust, ihn in der Mitte durchzubrechen.
»Daß ein Mann wie Neuhausen sich überhaupt halten kann«, platzte Frau Heinzelmann heraus. »Lesen tut er nie etwas, das weiß doch jeder hier, und …«
»Dafür hat er ja uns!«
»Das sag ich ja.«
»Frau Heinzelmann, Sie sehen das falsch!« Verena versuchte Neuhausen mehr noch vor sich selbst als vor ihrer Sekretärin zu verteidigen. »Neuhausen ist Geschäftsmann, ein tüchtiger Geschäftsmann. Er versteht es, mit den Autoren Verträge zu machen, bei denen er so viel wie möglich für die Agentur rausholt – und sie lassen sich das gefallen, weil er in seinen Verträgen mit den Verlagen so viel wie möglich für die Autoren rausholt. Machen Sie ihm das mal nach, wenn Sie können! Ich kann es nicht!«
»Aber, trotzdem, er …«
»Er ist krank, Frau Heinzelmann, seine Nerven sind kaputt. Drei Jahre KZ sind kein Kinderspiel. Und wo soll er sich denn abreagieren, wenn nicht bei uns?«
»Wenn Sie das so sehen …«
»Ja, so sehe ich das! Wo waren wir stehengeblieben?«
Kaum eine halbe Stunde später läutete das Telefon. Frau Heinzelmann warf Verena einen fragenden Blick zu, dann nahm sie den Hörer ab und hielt ihn sich ans Ohr.
»Der Chef!« sagte sie, als sie wieder aufgelegt hatte. »Sie möchten bitte ins Konferenzzimmer kommen!«
»Was ist denn nun schon wieder los?«
»Ein Autor – soviel ich verstanden habe.«
Verena unterdrückte einen Fluch und erhob sich. »Na schön!« Sie öffnete die Tür zum Waschraum. »Meine Schuhe sind noch klitschnaß«, stellte sie fest.
»Haben Sie kein Zeitungspapier hineingestopft?«
»Ich hab’nicht dran gedacht.«
»Ziehen Sie doch einfach Ihre Strümpfe an und dann nehmen Sie wieder die Sandalen.«
»Wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben.«
Als Verena wenige Minuten später ins Konferenzzimmer trat, sah sie Neuhausen im Gespräch mit einem rothaarigen Mann, der ihr den Rücken zukehrte, stehen.
»Da bist du ja endlich, Verenchen!« rief er und zeigte seine falschen Zähne. »Ich möchte dir Herrn Schmitz vorstellen, einen hoffnungsvollen jungen Autor …«
Der junge Mann hatte sich Verena, die durch das Zimmer ging, zugewandt. »Schmidt«, berichtigte er ernsthaft, »Jochen Schmidt!«
Neuhausen ließ sich nicht beirren, er streckte den Arm aus und zog Verena an seine Brust; sie wurde steif wie eine Puppe.
»Herr Schmidt«, sagte er feierlich, »dieses ist Verena van den Berg, meine bildschöne Cheflektorin und – nebenbei gesagt –, eine der intelligentesten Frauen Europas! Halten Sie sich an Verenchen, Herr Schmidt, und Sie sind ein gemachter Mann!«
Verena versuchte sich loszuwinden, aber seine Hand umklammerte ihren Oberarm mit eisernem Griff. Sie warf ihm einen Blick zu, der jeden anderen Mann zumindest in Verlegenheit versetzt hätte; Neuhausen entlockte er nur ein amüsiertes Grinsen.
Jochen Schmidt verzog keine Miene, er beobachtete die beiden mit höflichem Ernst.
Ganz plötzlich gab Neuhausen Verena frei. »Na, dann überlasse ich euch also eurem literarischen Gespräch«, sagte er, »sei so gut und berichte mir nachher, Verenchen …« Mit hölzernen Schritten stolzierte er hinaus.
Verena und Jochen Schmidt standen sich gegenüber. Sie sah ihn an, ohne mehr als einen blassen Schatten seiner Persönlichkeit wahrzunehmen. Sie hätte weinen mögen vor Wut.
Erst als Jochen Schmidt irgend etwas sagte, fand sie in die Situation zurück.
»Entschuldigen Sie, bitte«, murmelte sie.
»Ich sagte, Herr Neuhausen scheint bis heute keine blasse Ahnung von meiner Existenz gehabt zu haben«, wiederholte er seinen Satz.
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