»Öfters … alle paar Tage. Und dabei sind wir natürlich ins Gespräch gekommen. Weißt du, er gehört nicht zu den Leuten, die Wildwestromane lesen, oder Kriminalromane – einfach so – der Reihe nach herunter. Im Gegenteil, er ist sehr wählerisch, er hat sozusagen einen literarischen Geschmack …«
»Du lieber Himmel!«
»Nichts vom lieben Himmel! Er versteht was von Literatur! Und da hat es mir natürlich Spaß gemacht, ihn ein bißchen zu beraten. Dabei hat sich herausgestellt, daß wir in jeder Beziehung genau denselben Geschmack haben, ganz komisch … was Literatur betrifft, heißt das natürlich. Privat haben wir kaum ein Wort miteinander gewechselt … bis heute!«
»Und heute hat er dich dann eingeladen?«
»Ja. Aber es war gar nicht so einfach, bis ich ihn soweit hatte, er ist nämlich schrecklich schüchtern. Heute abend hat er mir gesagt, daß er sich gar nicht hätte vorstellen können, daß eine Frau wie ich mit ihm ausgehen würde. Stell dir so was vor!«
»Wirklich?« fragte Verena vorsichtig und nahm einen Schluck Gin.
»Direkt glücklich war er! Natürlich immer noch schüchtern. Aber trotzdem, man merkte es ihm an … also ich meine, es muß ihm doch etwas an mir gefallen …«
»Ja, warum auch nicht?«
Ina hatte ihr Gesicht mit Fettcreme eingerieben und starrte versonnen und augenscheinlich ohne etwas wahrzunehmen ihr Spiegelbild an. »Einmal, heute abend, da hat er meine Hand genommen. Ganz unwillkürlich. Und als er es gemerkt hat, hat er seine ganz rasch zurückgezogen … und er hat mich angesehen, so verlegen, als wenn er erwarten würde, ich wäre böse!«
»Komm ins Bett, Ina«, mahnte Verena sachte, »du weißt, wir müssen morgen früh raus!«
Ina schloß einen Augenblick die Lider, dann stand sie auf, knipste das Licht über dem Spiegel aus, ergriff das Likörglas und schlüpfte ins Bett. »Ich glaube, ich kann heute nacht kein Auge zutun«, behauptete sie.
»Trottel!«
»Wirklich, Verena, du weißt nicht, wie das ist!« Verena löschte ihre Nachttischlampe und rollte sich auf die Seite. »Und worüber habt ihr sonst noch gesprochen – außer über die Gleichberechtigung?«
»Über alles mögliche, über Bücher und so. Worüber man eben so redet!«
»Und kein Wort über Liebe?«
»Nein!«
»Hat er denn wenigstens was von sich erzählt?«
»Auch nicht, ich …« Ina stockte.
»Was?«
»Ach, Verena, warum ist alles so verwickelt?«
»Aber, Ina, was ist denn los? Es ist doch gar nichts verwickelt! Oder ist er verheiratet?«
»Nein, nein …«
»Hat er dir das gesagt?«
»Das weiß ich doch!«
»Woher?«
»Weil … er holt doch immer nur Bücher für sich selbst. Und eine Frau Eckert habe ich noch nie bei mir gesehen und …«
»Vielleicht liest sie nicht«
»Aber er hätte mir das bestimmt erzählt!«
»Hoffentlich.«
»Ganz bestimmt. So wie du denkst, ist er nicht. Er ist ganz anders! Und das macht die Sache für mich so schwer.«
»Was hat er denn für einen Beruf? Das müßtest du doch wenigstens wissen.«
»Weiß ich auch! Er ist Vertreter bei einer Schraubenfabrik …«
»Aha!«
»Aber nicht so, wie du dir einen Vertreter vorstellst! Gar nicht leichtlebig oder so.«
»Davon habe ich doch kein Wort gesagt.«
»Aber gedacht hast du’s!«
»Unsinn! Nun sag mir bloß … Wenn er nicht verheiratet ist, sehe ich nicht ein, was die Sache dann für dich so kompliziert machen könnte.«
»Ach, Verena, denk doch mal nach! Schließlich bin ich ja keine achtzehn mehr!«
»Du kannst doch nicht erwarten, daß du mit jeder Liebe wieder achtzehn Jahre jung wirst!«
»Natürlich nicht, nur … ich glaube, ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht …«
Verena wartete schweigend ab.
»… aber er war so interessiert, und ich dachte, er muß es doch schließlich wissen. Er muß sich doch denken können, daß eine Frau von achtundzwanzig Jahren … also …«
»Von wem redest du denn jetzt?« unterbrach Verena sie. »Welche Frau von achtundzwanzig?«
»Verena, bitte, sei nicht so! Mach’s mir nicht noch schwerer! Natürlich habe ich nicht zugegeben, wie alt ich wirklich bin. Wozu denn auch? Schließlich sehe ich noch nicht aus wie dreiunddreißig. Kein Mensch würde mich für so alt halten, ganz ausgeschlossen. Und deshalb habe ich ihm gesagt …«
»Gut, daß ich das weiß. Könnte ja sein, daß ich ihn auch mal kennenlerne. So was muß man doch wissen.«
»Willst du mich jetzt ausreden lassen, oder?«
»Ich lausche.«
»Es war wahrscheinlich dumm von mir, ich könnte mich ohrfeigen … Ich habe ihm von Kurt erzählt!«
»Alles?«
»So ungefähr. Daß er mir versprochen hatte, mich zu heiraten und daß ich ihm geglaubt habe …«
»Auch, daß er schon verheiratet war?«
»Ja, natürlich! Aber er wollte sich doch scheiden lassen. Er hat es mir immer gesagt, wieder und wieder. Bloß, dann ging es ja nicht mehr.«
»Weil seine Frau wieder ein Kind erwartete! Hast du das auch erzählt!?«
»Ich habe ihm gesagt, daß nachher eben doch nichts draus geworden ist und daß er mir die Leihbücherei geschenkt hat zum Abschied. Findest du das so schlimm?«
»Inalein! Auf meine Meinung kommt es doch nicht an! Was hat er dazu gesagt?«
»Das ist es ja! Er hat nicht viel gesagt. Gar nichts Bestimmtes, aber ich habe das Gefühl, als wenn es ihn irgendwie schockiert hätte. Als wenn er daraufhin noch zurückhaltender geworden wäre, verstehst du?«
»Das bildest du dir sicher nur ein!« sagte Verena tröstend.
»Möglich. Aber weißt du, ich habe einfach kein gutes Gefühl …«
»Na hör mal, Ina. Früher oder später hätte er es ja doch erfahren. Eine Leihbuchhandlung fällt ja nicht einfach vom Himmel, nicht wahr? Und es wäre bestimmt falsch gewesen, wenn du dir ein ganzes Lügengewebe ausgedacht hättest, nur um diese Tatsache zu verheimlichen.«
»Aber ich hätte es ihm doch nicht gleich heute zu erzählen brauchen! Nicht gleich am ersten Abend!«
»Es muß ihm ein Beweis für deine Offenheit sein.«
»Schon, nur …«
»Und wenn er nun abspringt … wäre das denn so schlimm?«
»Scheußlich!« erwiderte Ina nach einer kleinen Pause.
»Du hast doch nicht etwa ernste Absichten, Ina? Du weißt doch gar nicht, was für ein Mensch er ist!«
»Doch … das habe ich doch auf den ersten Blick gesehen!«
»Ina! Das ist Unsinn! Mann kann einen Menschen nicht auf den ersten Blick durchschauen. Und du kannst das schon gar nicht. Bitte, Ina, verrenne dich nicht leichtfertig in eine Sache, die …«
»Aber das tue ich doch gar nicht, Verena! Wie oft soll ich dir noch sagen, daß er nicht so ist, daß er ganz anders ist als andere Männer! Niemals würde er so etwas von mir verlangen.«
»O Gott, Ina, du bist unverbesserlich! Bitte denk doch auch mal ein kleines bißchen daran, was wir ausgemacht haben, bevor wir zusammengezogen sind …«
»Er wird niemals von mir erwarten, daß ich ihn mit raufnehme.«
»Aber das meine ich doch gar nicht!«
Einen Augenblick blieb es still. Dann lachte Ina, ein nicht ganz echtes, nicht ganz überzeugendes Lachen, wie es Verena scheinen wollte.
»Aber, Verena! Du hältst mich doch nicht etwa für so verrückt, daß ich heiraten möchte? Nach all den Erfahrungen, die ich mit Männern gemacht habe? Also wirklich, mein Schatz, wenn du keine anderen Sorgen hast …«
Am nächsten Morgen regnete es in Strömen. Bleigrau verhangen lastete der wolkenschwere Himmel über der Stadt.
Als Verena in ihr Büro kam, war es noch so düster, daß sie die Deckenbeleuchtung einschalten mußte. Das warme, goldene Licht verwandelte den Raum von einer Sekunde zur anderen. Der leuchtend blaue Teppichboden strahlte, die Stahlrohrmöbel schimmerten silbrig.
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