Manfred Kohler - Tiefpunkt - Thriller

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Die packende Fortsetzung von «Schreckensgletscher»!Nelli Prenz ist den Fängen des Massenmörders Andi Cernowski entkommen, aber trotzdem will sich ein Gefühl der Erlösung einfach nicht einstellen. Ihre Finanzen stehen schlecht, und daher nimmt sie das Angebot an, ihre Geschichte an eine Klatsch-Illustrierte zu verkaufen. Es dauert nicht lange, bis sie einen Erpresserbrief erhält und darin glaubt, ihren Peiniger zu erkennen. Da sie mit dieser Unsicherheit nicht zu Ruhe kommen kann, entschließt sie sich zu dem Ort ihres Leidens zurückzukehren und die Wahrheit herauszufinden.-

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Manfred Köhler

Tiefpunkt - Thriller

Saga

Tiefpunkt - Thriller Coverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 2008, 2019 Manfred Köhler und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726323276

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

1. Teil

1

»Was, wie? Seine Leiche ist nicht mehr da?«

Nelli räusperte sich und wechselte den Telefonhörer von der linken in die rechte Hand.

»Nicht mehr da?«, wiederholte sie. »Das heißt dann wohl, er wurde verbrannt statt beerdigt?«

»Nein, das heißt ganz offen gestanden, dass wir nicht wissen, was mit der Leiche passiert ist.«

Die Stimme des Polizisten klang schuldbewusst. Woran hörte sie das? Sie hörte auch heraus, dass er sich bemühte, die Stimme fest klingen zu lassen, beruhigend und überlegen und keinesfalls bereit, sich auf irgendwelche Vorwürfe einzulassen. Aber nach Vorwürfen stand Nelli auch gar nicht der Sinn. Sie wollte nur Klarheit. Und keinesfalls wollte sie in den Würgegriff der Angst geraten, der sich schleichend und kriechend wieder um ihre Seele zu legen begann.

»Dann ...« Nun musste sie sich bemühen, ihre Stimme fest klingen zu lassen. Sie räusperte sich abermals und fragte so emotionslos wie möglich: »Dann lebt er womöglich noch?«

Die Antwort kam augenblicklich, kam hart, klar und völlig überzeugt:

»Nein, natürlich nicht. Das auf keinen Fall. Sie haben doch, glaube ich, seine Leiche sogar berührt?«

Nelli schüttelte sich bei dem Gedanken daran, wie sie den Finger an Andis harte, kalte Wange gedrückt hatte. Gott sei Dank, hatte sie damals gedacht, Gott sei Dank, der steht nie mehr auf.

»Sollte ich deshalb bei Ihnen anrufen? Weil Sie denken, ich wüßte, was passiert ist?«

»Sie sollten mich anrufen, um uns Ihren Aufenthaltsort mitzuteilen. Auch wenn die Leiche nicht verschwunden wäre, müssten wir wissen ...«

»Wie kann denn eine Leiche überhaupt verschwinden?«, fiel ihm Nelli ins Wort.

»... müssten wir wissen, wie wir Sie erreichen können, wenn noch Fragen auftreten«, redete er gegen ihre Frage an, ohne die Stimme zu heben. »Immerhin handelt es sich um einen der ungewöhnlichsten Serienmordfälle der Polizeigeschichte. Die Ermittlungen werden sich noch Monate hinziehen, und Sie sind das einzig überlebende ..., äh, unsere einzige lebende Zeugin.«

»Ich habe nach wie vor keinen festen Aufenthaltsort«, sagte Nelli leise und ahnte, dass sie bei der Polizei ohnehin längst als Herumtreiberin eingestuft worden war.

»Und wo sind Sie zur Zeit?«

»In Oberfranken, ein paar Kilometer südlich von meiner Heimatstadt Hof. Der Ort heißt Oberkotzau. Aber hier bleibe ich nicht ...«

»Wo wollen Sie denn hin?«

»Ich weiß es nicht, wirklich, keine Ahnung. Würden Sie mir jetzt bitte erklären ...?«

»Ich weiß es auch nicht. Wir haben ihn nach der Bergung im Gletscher bei den anderen Toten abgelegt, und am nächsten Tag, äh ... beziehungsweise am übernächsten Tag ...«

»Warum das denn?«, fragte Nelli entsetzt dazwischen. Sie hatten ihn abgelegt! Ihn unbeobachtet liegen und das Monstrum einfach so entkommen lassen!

»Beruhigen Sie sich. Es war, wie Sie wissen, ein Samstagabend, als die Bergwacht ihn aus der Gletscherspalte zog. Wir hatten weder einen Krankennoch einen Leichenwagen vor Ort.«

»Warum eigentlich nicht?«

»Weil am Montag darauf ohnehin die Bergung der Opfer begonnen hätte, ob wir ihn bis dahin gefunden gehabt hätten oder nicht. Die Ermittlungen am Tatort waren beendet, es hätte sich alles schön in einem Abwasch erledigen lassen.«

»In einem Abwasch, ja? Und Sie haben ihn und die anderen bis dahin unbewacht im Gletscher zurückgelassen?«

»Das Gelände war hinreichend abgesperrt. Und Tote muss man in der Regel nicht bewachen, Nelli.«

»Offensichtlich doch!«

»Ein Zwischenfall wie dieser ...«

»Zwischenfall?!«

»Es ist nun mal passiert.«

»Und wie soll das jetzt weitergehen?«

»Wir ermitteln natürlich in alle Richtungen, aber ...«

»In alle Richtungen, na toll! Tun Sie das sonst etwa nicht?«

»Hören Sie, Nelli!«

»Und mir gefällt auch nicht, dass Sie mich dauernd Nelli nennen. Das ist seine Art zu sprechen.«

»Was? Wessen Art?«

Die direkte Anrede mit ihrem Vornamen hatte eine Welle von Ekel in Nelli ausgelöst. Andis Stimme war wieder in ihren Ohren, seine an ihr festgemachten Selbstgespräche, seine Art, mit ihr umzugehen wie mit etwas, das ihm gehörte und womit er machen konnte, was er wollte.

»Ahnst du schon, worauf es hinausläuft, Nelli? Was soll denn das, warum krümmst du dich so zusammen, Nelli? Genauso hat er mit mir geredet, als ich da lag und ihm ausgeliefert war.«

Der Polizist schnaufte hörbar, und seine Stimme klang deutlich weniger plump vertraulich, als er weiter sprach.

»Es tut mir leid, Frau Prenz, das konnte ich nicht wissen.«

»Das konnten Sie nicht wissen und wir duzen uns nicht. Und ich bin auch keine Minderbemittelte, mit freundlichem Blabla zu Tätschelnde ... – Hallo, sind Sie noch da?«

»Was ist?«

»Mein Geld ist gleich durch.«

»Wie kann ich Sie erreichen?«

»Gar nicht. Ich rufe Sie wieder an.«

»Aber da wäre noch was ganz Wichtiges zu bespre...« – Klick.

»Verdammt!«

Das war ihr letztes Kleingeld gewesen. Und sie hatte auch sonst nicht mehr viel Geld. Nelli ließ den Hörer sinken, bis die Telefonschnur spannte, und stützte sich an den Apparat. Ihr Atem ging stoßweise. Da stand ihr Fahrrad, wie sie selbst an die Telefonstele gelehnt. Sie war frei und unbedroht, konnte tun und lassen, was immer, konnte aufsitzen und fahren, wohin immer sie wollte.

Aber Andi war verschwunden. Leiche oder lebendig, niemand wusste, wo das Scheusal steckte, und was es mit seinem Verschwinden auf sich hatte.

Egal, was – es betraf Nelli unmittelbar. Er konnte hier sein, nur eine Ecke weiter, sie aus einem Geschäft heraus durchs Schaufenster beobachten. Auf sie lauern.

Die Todesangst war mit voller Wucht wieder aufgeflammt.

Sie sehnte sich nach dem Gefühl der Leere zurück, das sie in den vergangenen Tagen und vor allem seit dem letzten Tag, dem Besuch bei ihrer Stieftochter Monika, gelähmt hatte. Leere, Perspektivlosigkeit, Verzweiflung – alles war besser als dieses Grauen.

Sie stand noch fünf, sechs, vielleicht auch 10 Minuten an der Hauptstraße von Hof in Richtung Schwarzenbach/Saale, starrte blicklos auf die vorbeifahrenden Autos und Lastwagen und wusste einfach nicht, was sie machen sollte. Eigentlich wollte sie zur Förmitztalsperre und von da aus zum Waldstein, zum Weißenstädter See, über Gefrees nach Bad Berneck, wieder hoch Richtung Münchberg ... – die Zickzack-Route ihres Aufbruches vor sieben Jahren. Damals hatte sie gewusst, sie musste umkehren, denn daheim wartete das Kind, ihre Stieftochter Monika, und hatte keine Ahnung, wo Nelli war. Sie hatte das Umkehren an der Förmitztalsperre aufgeschoben, hatte es auf dem Waldstein aufgeschoben, in den Fichtelgebirgsorten Weißenstadt und Bad Berneck, war ziellos auf dem alten Herrenfahrrad ihres verstorbenen Mannes, mit Stöckelschuhen und im Sommerkleid, durchs hufeisenförmige Mittelgebirge geradelt, bis sie in Richtung Bayreuth ausgeschert war, sich dort in einem Kaufhaus in der Fußgängerzone eine Radlerausrüstung gekauft und damit allen Gedanken an Rückkehr eine mehr als nur vorläufige Absage erteilt hatte.

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