Danach fühlte ich mich stark genug, die heimische Frontlage zu klären. Irgendwie und irgendwann musste schließlich auch Albert erfahren, dass ich mich von ihm trennte.
Auf dem Heimweg kaufte ich im Blumenladen Gothic Blooms dreißig schwarze Rosen.
Zu Hause hängte ich als allererstes meine Kunst wieder auf. Abgehängt hatte Albert ausgerechnet meine feministisch-kritischsten Werke: »Er meint es doch nur gut«, »Beim nächsten Mann wird alles besser« und »Hilfe, ich bin die Weltputzfrau!« Das war in meinen Augen kein Zufall!
Sorgfältig arrangierte ich die Rosen in einem Putzeimer (!) auf dem Küchentisch und nahm mein pinkfarbenes Briefpapier aus der Schublade. Mit Füller schrieb ich in Schönschrift:
Albert —
willst Du mein Exmann werden?
Dann sag Ja zur Scheidung
Constanze
P.S.: u.A.w.g. bis morgen.
Ich steckte den Bogen ins magentafarbene Kuvert, bestäubte es mit einem Hauch Parfüm und schob es zwischen die Rosen. Mein Scheidungsantrag machte ziemlich was her.
Zuletzt stellte ich im Flur alle achtundzwanzig Kuckucksuhren auf fünf Uhr achtundvierzig und entsicherte die Schlagwerke. Albert würde ein frohes Erwachen haben! Höchste Zeit …
Dann packte ich meine kleine Reisetasche und verließ das Haus.
Als ich die Wohnungstür hinter mir zuzog, überkam mich Traurigkeit. Wie Albert wohl guckte, wenn er meinen Brief las? Würde er vielleicht sogar weinen? Vergrübe er verzweifelt den Kopf in meinem Duft? Hinge ihm Tinte an Nase und Stirn, wenn er sein tränennasses Antlitz wieder höbe, um dem Himmel seinen bitteren Schmerz zu klagen …?
Wie schade, dass ich das nicht sehen konnte!
Im Mamma Mia winkte mir meine beste Freundin Mira zu, als sei ich in Seenot und sie Sea-Watch-Kapitänin. Das war nett von ihr, aber unnötig. Die Schlafcouch, die sie mir großzügig für eine Nacht angeboten hatte, reichte vollkommen. Vorher würden wir zusammen essen und ausgehen, damit ich nicht vom Fleisch fiel und mich von dem Ärger mit Albert ablenken konnte. Analytische Gespräche über meine Trennung würde ich heute Abend nicht führen. Mira brachte für das Schicksal anderer Leute Empathie auf, aber höchstens für fünf Minuten. Dann richtete sich ihre innere Kompassnadel wieder auf sie selbst.
Im Mamma Mia war es voll, und das seit Jahren. Sobald Luigi aufschloss, stürmten die Leute den Laden. Die Pizzeria war die Arche im kulinarischen Untergang Bornheims und Luigi der Noah. Auf Archen retten sich gewöhnlich Paare; ich war und bin da die Ausnahme. Als Studentin zog ich allein durch Kneipen, seit meiner Heirat gehe ich allein in Restaurants. Albert arbeitet ja entweder, oder er spart. Bei Luigi esse ich, seit er vor zweiundzwanzig Jahren zum ersten Mal seine Pforten öffnete. Wenn ich ins Restaurant komme, stürzt er gleich auf mich zu, haucht mir einen Kuss auf die Hand und geleitet mich an einen freien Platz. Für mich hat er immer einen.
Ich schob mich durch die engen Reihen in den hinteren Teil des Raumes. »Konnte gerade noch den letzten Tisch für uns ergattern«, versicherte Mira in strahlendem Unwissen. »Gut siehst du aus!« Dabei glitt ihr Blick über mein Outfit.
Das sagt sie immer. Schwer vorstellbar, dass ihr meine Kleidung wirklich gefiel. Ich trage gern Farben. Möglicherweise brachte mein Stil in ihrem tiefsten Innern eine ungekannte Saite zum Klingen. Sie selbst kleidet sich passend zu ihrem blassen Teint. Wenn sie einem Farbrausch verfällt, schmeißt sie sich in dunkelblau. Heute trug sie ein Twinset, darüber ein Perlenkettchen mit Kreuz. Sie kam direkt aus dem Büro.
»Und jetzt erzähl!« Mit dieser Aufforderung tarnt Mira immer den Beginn eines ihrer Monologe. Einen Sepia mit Gemüse später wusste ich alles über ihren neuen Job. Wer wen mag, wer sein Büro neben wem hat, wer wessen Boss ist und wer wessen Bitch. Ihre neue Vorgesetzte glich der alten bis aufs Haar, was Mira nicht davon abhielt, mir auch die neue Vorgesetzte haarklein zu beschreiben. Ich kannte keine von beiden, hätte sie aber sicher auf der Straße erkannt.
»Sie also so: Das und das gehört dann auch zu Ihrem Tätigkeitsfeld. Sie machen das ja wohl nicht zum ersten Mal, oder? Und dann schaut sie mich an, weißt du. Genau so, wie mich früher die Schmitter immer angeschaut hat. Mit diesem Blick, bei dem ich nie wusste, will die mich jetzt provozieren, damit ich was sage, worauf sie dann sagen kann: Aber Frau Birger, das versteht sich doch wohl von selbst – bei Ihrem Portfolio! Wie das die Schmitter halt gemacht hat, du weißt ja.«
Ich wusste es, als hätten wir all die Jahre im selben Büro gesessen. »Was macht die neue Firma nochmal?«
»Financial Outsourcing.«
»Aha. Also dasselbe wie die alte.«
Mira sah mich groß an. »Nee, was ganz anderes! HCPT war ja der Shareholder für den Megadeal mit Forcythe Geografics!«
Wie hatte ich das vergessen können! Ich bestellte mir noch einen Rotwein. Falls es zum Härtesten käme und ich mir einen Job suchen musste, würde ich das Finanzwesen meiden.
Während Mira mir der Reihe nach ihre neuen Chefs vorstellte und einen ausführlichen Überblick über die Aufgaben in ihrem neuen Job gab, dachte ich über den Sinn des Lebens und der Liebe nach.
Wenn man solo lebt wie zum Beispiel Mira, sucht die Libido nach Ersatzbefriedigung und wirft sich schamlos aufs Feld der Arbeit. Das hatte schon der alte Sigmund durchschaut und Triebsublimierung genannt. Geiz ist geil, fand dagegen Albert, und in der Tat war es seit Jahren das einzige, was ihn noch geil machte. Seine protestantische Ethik blies ins selbe Horn. Mir erschien das alles zu lustfeindlich. Warum soll Geld mehr Spaß machen als Sex?
Mira sah mich erwartungsvoll an. Hatte ich laut gedacht? Ich schaute erwartungsvoll zurück.
»Wie auch immer«, gab sie sich selbst die Antwort. »Letzten Endes habt ihr nie wirklich zusammengepasst. Jedenfalls herzlich willkommen im Club! Let’s go!«
Ich nickte, obwohl ich mir nur schwer vorstellen konnte, mit Mira in ein und denselben Club zu gehen. Zuletzt war das vor rund einem Jahrzehnt vorgekommen.
Wir tranken die Grappini, die Luigi uns spendierte, und machten uns auf den Weg.
Im Riverside tanzte der Bär, obwohl es erst kurz vor neun war. Das machte den Laden jeden zweiten Donnerstag im Monat zum Hotspot für das reifere Alter. Man musste nicht erst vorschlafen und um elf Uhr nachts von der Couch hochkommen, um sich müde aufzubretzeln, sondern konnte direkt nach dem After-Shopping-Häppchen in den Club gehen. Um zwanzig Uhr schlossen die Geschäfte und das Riverside öffnete.
FOURTYPLUS hieß das Motto dieser Donnerstagabende und ziemlich viel Plus bot auch Usch, die DJane. Ihre Musikauswahl war aber große Klasse.
Kaum hatten wir die Mäntel abgegeben, verschwand Mira schon wieder aufs Klo. Anscheinend litt sie unter Blasenschwäche. Ich schob mich an die Theke, von der aus man die Tanzfläche im Blick hat, und überflog die wogenden Häupter ein Geschoss tiefer. Nur vereinzelte grauweiße Schöpfe und wenige kahlnasse Glatzen. Also wieder kaum Männer da.
Zwischen den zuckenden Leibern trudelte eine bunte Kugel wie in einem Flipperautomaten. Kaum stieß sie an einen anderen Körper, löste sie sich wieder und trudelte weiter. Offenbar hatte vor Beginn der Disko ein Kontakttango-Workshop stattgefunden. Gerade umkreiste die Kugel einen langen Kerl, der wie ein Mast aus dem Gewoge ragte. Sein weißes Hemd machte sich gut als Segel. Überraschenderweise hatte der Kerl dichtes Haar, ja sogar eine Haarfarbe und war mir kein Unbekannter – sondern mein Quasi-Lover Henri! Was für ein Zufall! Um ein Haar wären Henri und ich vor fünf, sechs Jahren im Bett gelandet, doch mit Rücksicht auf Kinder und Ehepartner hatten wir uns in sexuellem Verzicht geübt. Henri und ich waren zum leibhaftigen Beweis geworden, dass Freundschaft zwischen Mann und Frau möglich ist. Leider mussten wir unseren Angetrauten diesen Triumph verschweigen. Dabei hätten sie stolz auf uns sein können. »Sie haben einen echt tollen Mann! So sexy und dabei unkaputtbar treu!«, hätte ich Henris Frau am liebsten gesagt, als ich die beiden beim Edeka traf.
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