Synold nickte mit überlegener Miene und sprach: „So man den Landstreicher nicht längst mit Feuer gebrannt, oder ihn aufgeknüpft hat, wollen wir ihn schon finden! Hab eine Spürnase, die schon mehr im Leben ausgewittert hat, denn einen fahrenden Mann! Da ich als frommer Pilger durch die Wüste, die längs dem Jordan liegt, wanderte, verlor ich den Nagel, damit mein Kreuzfähnlein an die Lanze genagelt war. Ohne dieses mochte ich nicht wandern, und so liess ich den Zug vorauf gehn, wandte mich, obwohl es sehr gefährlich war, und suchte meinen Nagel in der Wüste. Da hatte ich viele Kämpfe mit den ungläubigen Räubern zu bestehn, und hätte ich nicht deren Blut getrunken, wäre ich verschmachtet. Aber meinen Nagel fand ich nicht, besonders da der heisse Wind Schirokko sich erhoben und mich dreimal im Sand begraben hatte, so dass es mir nah ans Leben ging. Als ich just voll Missmut nach der dritten Tagereis’ das Ding will sein lassen, — da seh’ ich einen mächtigen Löwen, der hinkend und langsam einher kam. „Eia, denk ich, sollte sich selbes Ungeheuer vielleicht meinen Nagel in die Pfote gerannt haben?“ — Mache mich flugs an ihn heran, und da ich all meine Pfeile wider die Räuber verschossen hatte, würg’ ich ihn mit der Faust zu Tode und untersuch seine Tatze! — Richtig, da stak mein Nagel, und so kehrte ich denn fröhlich zu dem Pilgerzug zurück und ward hochgeehrt, und noch heutigen Tages spricht man im Lande Palästina von dem „Helden Synold mit dem Nagel!“
Wie hätte der Einsiedler von der Burg Darsberg eine solche Historie bezweifeln wögen? Schier ehrfurchtsvoll und stolz schaute der junge Ritter auf den Sprecher, und schämte sich beinah, dass ein solcher als Vasall mit ihm, dem tatenlosen, unberühmten Jüngling, reiten soll! Aber seine Augen blitzten in kampflustiger Ungeduld, und er ordnete alles in der Burg für die Zeit seiner Abwesenheit.
Der Vogt Amadeus war mit den Jahren ein gichtkranker, kopfhängeriger Mann geworden, der sich gehorsam dem Regiment seiner gestrengen Hausehre fügte. Und das war gut, denn die Vogtin war ein kraftvoll Weibsbild; die alles wohl in Orduung hielt und eine gerechte Zucht führte, der konnte man eine so einsam und sicher gelegene Burg getrosten Herzens anvertrauen.
Ein zuverlässiger Schutz ist auch der Torwart Lambert, der noch eisenfest und rüstig auf den Beinen steht, obwohl sich sein Haar schon silberweiss auf dem Schädel lockt. Der ist das treue Auge, welches über Darsberg wacht, das nicht ruhen und schlummern wird, wenn ein verdächtig Wölkchen am Himmel treibt. Was soll auch geschehen und was soll man hier rauben? So lange Jorg denken kann, läuft alles in der Burg im gewohnten Geleise, unverändert seit Grossvaters Zeiten, soll just zu der Zeit, da der junge Herr eine Fahrt in die Welt und das Leben tut, das Fundament erzittern und aussergewöhnliches geschehn? — Narretei! Hat doch der edle Sänger Wolfram auch den Stab zur Hand genommen, hat lachend sein Tüchlein rückwärts geschwenkt und sich nicht halten lassen von seiner Scholle.
„Jedoch er sprach: got huete din!“
und machte sich davon und fuhr in die Welt!
Die Linden auf dem Burgtor standen in weisser Blütenpracht, just, als wollten sie mit lichten Schleiern ihrem jungen Herrn ein „Behüt dich Gott“ in die Ferne nachwinken.
Die Rosse scharrten im Hof, und Junker Jorg, strahlend vor Freude und Jugendlust, klirrte einher in seinem Eisenkleid und achtete es gering, dass solches ihm viel Last und Hitze bereiten werde. Synold aber schnallte sich wohlweislich die einzelnen Rüststücke an den Sattel, denn er war nicht mehr gar so jung wie er tat und schien, und zumeist nur mit dem Munde ein grosser Held, der gewaltige Taten tat.
Eine kraftvolle, schier königliche Gestalt war der junge Jossa in des Vaters dunkler Wehre, und da man in der Burg nichts von Welt und Mode gewahrte, so dachte auch niemand daran, dass der Jüngling ein gar altertümlich Ansehen hatte, dass sein Wamms vertragen, seine Stiefeln schrunstig und die scharlachfarbene Feldbinde ein absonderlich Gebilde war. — Er selber gedachte dessen am wenigsten, und stieg so wohlgemut und zuversichtlich in den Sattel, als reite er durch offene Tore direkt in sein Glück hinein! — An nichts hatte er mehr gedacht, und sogar geglaubt, er nehme genug des Gepäckes mit, wenn er sein Schwert Sigenôt in Händen halte und ein Dolchgehänge seine Hüfte schmücke, aber Synold Wackerstein hatte Sorge getragen, dass ein Lederbeutlein, gefüllt mit den wenigen Goldgülden, welche Herr Leberecht in den Kasten gespart, auf des jungen Herrn Brust liege, und er hatte einen ganz beträchtlichen Schnappsack hinter den Sattel eines jeden Rosses geschnallt.
Der „Held mit dem Nagel“ hatte zwar erzählt, dass er sich einst gleich dem frommen Täufer viele Monate lang von Heuschrecken habe nähren müssen und diese krabbelige Kost sehr possierlich gefunden habe, — aber er vermeinte: „Auf die Maikäfer wollten sie sich lieber nicht mehr verlassen, sondern eine kräftige Wegzehrung einpacken, die dem Satanas ein Schnippchen schlüge!“ Junker Jorg war’s wohl zufrieden, denn er war ja kein Held, sondern ein ganz gewöhnlich Menschenkind, dessen Magen bislang noch niemals ein unfreiwillig Fasten gehalten.
Die Zugbrücke dröhnte hernieder. Zum letztenmal hub das Burggesinde ein Tücherschwenken, Weinen und Lamentieren an, und dem jungen Ritter ward davon so weich und unsicher um das Herz, dass er beinah’ sein schweres Ross angehalten hätte, solch ein Herzeleid nicht an seinen Lieben zu verschulden! Aber der Synold sang ein gar keckes Wanderlied, das von Herrn Heinrich von Marungen gedichtet war und also begann:
Ich will varn eine reise,
wünschet, daz ich wohl gevar.
da wirt mannic weise,
Din lande will ich brenen gar!
Er lachte mit übermütigem Sinn, gab dem dicken Apfelschimmel die Sporen und galoppierte schmetternden Hufes dem Junker voran. — Da gab’s auch für diesen kein Halt mehr! Got huete din! und dann wogten die schwarzen Straussfedern von seinem Helmbusch hoch auf, das Schwert tanzte klirrend an der Seite und Jorg von Jossa sprengte hinaus in die sonnenlichte Welt, hinaus in die Fremde, hinaus in das Glück! Funken stob das Steinicht des Burgbergs, und wo ehemals des Irregangs flüchtige Füsse geeilt, wo seine Tränen geflossen, da klang des jungen Ritters jauchzendes: „Heisa, johe!“
Die Eichen spannten ihr lichtdurchflammtes Geäst über sein Haupt, der Sommer streute ihm seine duftigen Blumen auf den Weg, und die Vögel am Himmel mochten nicht glückseliger ihre Schwingen in der Unendlichkeit baden, denn Jorg von Jossa den Odem der Freiheit um seine Brust wehen liess! Got huete din!
Es ist ein gar absonderlich reiten, wenn es so ohne Ziel und Zweck in die Welt hinein geht! —
Das Edelwild zog flüchtig vor den beiden Reitern vorüber, setzte über die Strasse und verschwand in dem rauschenden Buschwerk, und gewohnheitsgemäss zuckte es in des Junkers Hand, den Speer zu fassen und zu folgen mit Hussa und Trara! Aber er liess lächelnd die Finger vom Schwertgriff abgleiten und gedachte daran, dass der Sigenôt es gewohnt war, andre Gegner anzugehn, dass jetzt eine friedliche Zeit für den heimischen Forst anbrechen werde, und dass der Edle vom Darsberg diesmal ausgeritten sei, um andrer Hantierung als der eines harmlosen Gejaides willen.
Die Rosse griffen so wacker aus, als es ihnen bei der ansehnlichen Bürde und den schlechten Wegen möglich war. — Heisse Sonnenstrahlen glühten hernieder, wenn der Tann sich lichtete und die Felder einzelner Dorfschaften die Fahrstrasse säumten, und obwohl erst eine ganz kurze Zeit vergangen war, aber eine frischsprudelnde Quelle am Wiesenhang just zum rasten einlud, räusperte sich Synold, wischte sehr bemerklich den Schweiss von seinem blauroten, hiebdurchnarbten Angesicht und sprach: „So wir in gleichem Trabe weiter reiten, Junker, klopfen wir in sieben Tagen schon an die Tore der ewigen Stadt; aber unsere Rosse sind Schindmähren geworden, und ihre Herren steife Besenstiele, die ein Trossknecht aus dem Sattel heben muss. Dafür aber muss bei Zeiten eine Rettung geschaffen werden, und so vermeine ich, wir binden die Gäule an jenes Lindenstämmlein neben dem Bach, dann können sie fressen und saufen, so viel es ihnen behagt, und wir tun uns nieder im Schatten und greifen zum Rucksack.“
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