„Hollah! Solches ist ein närrisch Beginnen! Aber du hast recht! Wohlauf denn, lass das Kasparlein zeigen, ob es artige Schelmstücke kann!“ und hart gegen Irregang vortretend, schrie er ihn mit gewaltiger Stimme an: „So geh’ herfür und mach dein Späss, und falls du ein tauglicher Possenreisser bist, magst du leben, sonsten aber schlagen wir dich tot!“
Da rang es sich wie ein Jammerschrei der Verzweiflung von des Kindes Lippen: „Jû nârro! jû nârro!“ Die bebenden Glieder überpurzelten sich in eingelernter Weise, und wie die Weidgesellen und Ratsherrn über die drolligen Kunststücke lachten, hob sich der Irregang wieder auf die Füsse, tanzte einher neben dem blutenden Leichnam der Mutter und sang mit tränenerstickter Stimme und zitternden Lippen seine lustigen Narrenlieder. Diese waren im derben Geschmack der Zeit, und darum fand Peter Helzinger ein grosses Wohlgefallen daran und rief im dröhnenden Bass: „Beim Satanas! So du diesen kleinen Hallunk nicht bereits für dich zu eigen genommen hättest, Gevatter, würd ich ihn jetzt selber mit mir führen, den Hanswurst in meinem Haus zu halten!“
Da schoss unbemerkt unter des Knaben gesenkten Wimpern ein Blick zu dem Mörder der Mutter empor, der barg eine furchtbare Prophezeiung; der gütige Mann aber mit dem Knebelbart nahm Irregang abermals auf den Arm empor und fragte ihn: „Willst du mit mir gehn, Büblein, und meiner kleinen Tochter dienstwilliger Hofnarr sein, so soll’s dir gut gehn in meinem Hause und sollst sesshaft sein und eine Heimstätt’ haben!“ Ein halberstickter Laut rang sich von des Kleinen Lippen, er schlang jählings die Arme um den Hals des Ratsherrn und rief: „Ja, Herr Konrad Pfalz, mit Euch will ich gehn, und Euch will ich gehorchen! Denn Euch hat mein Mütterlein gesegnet, bevor sie Euch geschaut!“ —
Ein grosses Staunen erhob sich unter den Umstehenden, und Herr Konrad schaute überrascht in des Knaben dunkeläugig Angesicht und fragte: „Woher weisst du meinen Namen, da du mich doch zum ersten Male erblicktest!“
Da sprach Irregang in der geheimnisvollen Weise, welche er von Zinkra und Goykos gewohnt war, wenn sie eine Wissenschaft verwerten wollten: „Siehe, Herr, dein Name ist lebendig, und die Blätter im Wald sind Zungen, die ihn sprechen! Du bist gut und brav, und darum nennet dich alle Kreatur und die Sonne leuchtet auf deinem Haupte heller, denn auf andern!“
Des Peter Helzinger gedunsen Angesicht entfärbte sich im abergläubischen Grauen, und alle andern drängten näher und starrten auf das Wunder solch eines übernatürlichen Kindes.
„Hast du den hellen Blick, dass du Sterne, Vögel und Blumen verstehen und deuten magst?“ fragte der Bürgermeister, näher tretend und in feiger Betretenheit den Hals in die Schultern drückend. Der braune Bub nickte mit stolzem Gesicht, und Michel Raak drängte herzu und rief:
„Ich bin der Bürgermeister von Zwingenberg, sag’ mir die Zukunft!“
„Du lügst, Herr Michel Raak, ein so hoher Herr bist du nicht und wirst es nimmer sein, denn der Bürgermeister herrscht gleich wie ein König und hat einen Vetter, der ist kahl geschoren und obwohl kein Ratsherr, so dennoch mächtiger wie du!“
Da bog Peter Helzinger den Rücken in schallendem Gelächter und fühlte sich geschmeichelt und sprach: „Ei, so nenne uns doch den Höchsten allhier!“
„Selbiger bist du!“
„Heisa! hast’s getroffen! und hier ... schau meine Hand ... was wird mein Schicksal sein?“
Da brach abermals ein Blitz aus des Knaben Auge, und er sah seinem Vater ähnlicher denn je und sprach durch die Zähne: „Glück über dich, Peter Helzinger, wirst alles haben, was du begehrst. Die Bürger und Ritter werden dir nichts anhaben können, aber dein Fuss hat auf ein Gewürm getreten, das ist dein Todfeind geworden. Aus dem Wurm macht die Zeit eine Schlange, die spricht: „Für jeden Schlag einen Hieb, für jeden Tritt einen Biss!“ — — und so die Zeit gekommen, sticht sie dich. — Aber des fürchte dich noch nicht, denn du bist gross und machtvoll und geniessest ein langes Leben.“
Die stieren Augen des Bürgermeisters richteten sich in ängstlicher Frage auf einen Mann im schwarzen Wamms, der hinter ihm stand: „So du ein gelahrter Doktor bist, Tobias, so deute mir die Schlang!“
Frommstädter zog die Augenbrauen hoch und krähte lachend auf: „Die Schlang heisset auf zwei Namen „Wein und Weib!“ — solche ziehest du an deinem Herzen gross, und wirst unmässig sein, dass der Wurm zur Schlang wird und dich sticht! Wirst dich totsaufen, Gevatter, und deine Herzliebsten werden dich im Schellenkleid zu Grabe tragen und singen:
„Und die Glöcklein klingen
In regis curia!“ —
Ein grosses Gelächter erhob sich, in welches der Helzinger am unbändigsten einstimmte.
Herr Konrad Pfalz aber hatte sich wieder zu Ross gesetzt, hatte den Knaben vor sich genommen und war seitlich zum Heimweg in den Wald eingeritten. Da las keiner die wahre Deutung der Schlange, welche in des Kindes Angesicht mit krassen Linien geschrieben stand.
Nie zuvor im Leben hatte klein Irregang eines Bürgers Stüblein, geschweige eines Ratsherrn Haus betreten. Fahrend Volk liess kein Christenmensch gern über seine Schwelle, und man hielt darum die Gaukler auf dem Hof, auf Plätzen und Strassen, um ihre Kunststücke anzuschauen. Da war es für den Sohn des Zigeuners, als träte er in ein Wunderland, in eine fremde, nie geahnte Welt, als er zum erstenmal die geschnitzte Decke eines solchen Prunkzimmers zu seinen Häupten sah, welche zu jener Zeit den Reichtum und den Glanz eines Kaufherrnhauses überwölbte. Da gleisste es von Gold- und Silbergerät auf den breiten Wandborden, da lagen köstliche, bilderreiche Gewebe auf den Dielen, und jed’ Möbel trug ein geschnitzt Bildwerk an sich, und die Kissen, welche die Sitze deckten, waren bezogen mit Pfeller, Triblât, Baldekîn, durch Goldbleche und blitzende Nadelköpfe herrlich verziert. Bilder von Frauen und Männern so deutlich, dass man vermeinte, sie lebend zu schauen, hingen an den Wänden, auch Kreuze mit dem Herrn darunter, und in den Ecken prunkten Laden, mit Edelstein und Elfenbein verziert.
Regungslos stand der Sohn des fahrenden Mannes und starrte auf solche Pracht, Herr Konrad Pfalz aber schritt davon, sein Töchterlein zu holen.
Währenddes kam ein kleines, dürres Frauenbild durch die Tür, stemmte die Arme in die Seite und begann ein furchtbar Wettern, dass Herr Konrad in seiner törichten Güte gar das Ungeziefer auf der Gasse auflese, es heim in sein ehrlich Haus zu bringen! — Irregang aber war so geblendet von all der Pracht, dass er solche Worte nicht vernahm, sondern mit übervollem Herzen andächtig die Hände vor der geputzten Frau faltete und sprach: „So dies das Himmelreich ist, in welches ich gekommen, so bist du wohl einer von den lieben Engeln, die darin wohnen, und darum will dich fein bitten, du schöne Jungfrau, dass du mich in deine Huld nehmen mögest!“
Verblüfft schaute die Wirtschafterin Marlies auf das Kind nieder, und da just das andere Gesinde, darunter auch der Schreiber Jonathus, neugierig in das Zimmer einschauten, hob sie geschmeichelt das scharfknochige Haupt und fragte mit lauter Stimme: „Für einen Cherubim nimmst du mich, du gescheites Büblein? Hast du denn nicht schon viel schönere Frauenbilder im Leben geschaut?“ Treuherzig schüttelte Irregang den Lockenkopf.
„So schön wie du war wohl noch keine, denn eine solche güldene Haube erblickte ich noch nie zuvor!“
Der Marlies giftige Miene ward zuckersüss, und sie klopfte seine Wange und nickte: „So es Herr Konrad befiehlt, magst du bei uns bleiben, und sollst’s gut haben, denn sieh, ich bin nicht nur von aussen gleich einem guten Engel anzuschauen, sondern bin auch von Herzen eine gar sänftigliche Jungfrau!“ — Sprach’s und blickte den kleinen Schreiber herausfordernd an.
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