Zinkra aber schüttelte traurig das Haupt und sprach: „Die Wälder sind gross und dicht, und wenn der Goykos unsere Spur verliert, sind wir auf immerdar zersprengt. Unser Weg führte uns nach Zwingenberg und Gernsheim, und wenn er uns auf dieser Strasse sucht, so muss er uns bereit finden, denn wir haben Vorsprung.“ — Und die Heimatlose küsste des freundlichen Wirtes Mantel und dankte ihm und befahl ihn in Gottes Schutz, und da Homus Eremitus ihr noch einen Mundvorrat gegeben und den Weg so genau beschrieben hatte, als er selber ihn anzugeben wusste, schieden sie. — Er reichte der Geächteten mit festem Druck die Hand, und da er seine Rechte auf des Irregang lockig Haupt legte, sprach er leise: „Werde ein Mann, du Büblein, und so du hörest, dass man einen Holzstoss schüret für einen Propheten, der aus der Asche des Johann Huss erstanden, so nimm die Axt zur Hand und klopf’ an die Klause des Homus Eremitus! dann wird ein Wolf herfür treten und wird mit dir kämpfen im grossen Hauf aller derer, die die Freiheit gesäuget!“
Irregang nickte mit ernsthaftem Gesichtchen, und der Einsiedler stand vor seiner Tür und schaute den fahrenden Leuten nach, wie sie im Sonnengold durch den herbstlichen Wald davon schritten. Zinkra wandte sich und grüsste zurück, und da sie des Mannes flammend Adlerauge auf ihrem Knaben ruhen sah, da ging es ihr wie eine Ahnung durch die Seele, dass der Irregang wohl nicht zum letztenmal vor diesem wundersamen Einsiedler gestanden.
— — — Welch eine Wonne war solch Wandern durch die würzige, duft’ge Haide! — warm und wohlig schien die Sonne, tausend Blütenglocken breiteten einen rotleuchtenden Mantel über die ruhende Welt, Summen, — Surren, — Vogelgesang allüberall, von den Buchenkronen am Waldsaume träuft es hernieder wie geschmolzenes Gold, und von Eiche und Esche prunkt’s wie flatternd Purpurbanner. Hier ist die Welt so zaubrisch wie ein lichter Traum, den ein überglücklicher Phantast im Schoss der Minne träumt. — Frieden und paradiesische Schöne, und jene Waldeinsamkeit, welche des fahrenden Volkes sorgenfreie Heimat ist.
Mit trunkenem Blick stand die Zigeunerin und schaute über die lachenden Gefilde des Odenwalds. Sie hatte eines Berges Gipfel erklommen, schirmte mit der Hand die Augen und schaute hinab über das farbenhelle Wipfelmeer, über blumige Wiesen und klüftiges Felsgestein. Und da sie wohl schon an anderthalb Stunden gegangen und nur wenig gerastet hatten, so warf sie sich nieder in das schwellende Gras, zog ihr Knäblein an die Seite, auf dass es sich wohlig dehne zwischen Herbstlosen und buntem Klee, und stützte das Haupt, das ruhelose, vogelfreie voll Entzücken in die Hand. Da schaute sie noch einmal alle Pracht und Herrlichkeit ihrer Welt, der weiten Natur ohne Menschenhass und Menschenelend, so wie sie in sonniger Einsamkeit zum Troste derer geschaffen war, die hinter Wall und Mauer keine bleibende Stätte suchen durften. Und sie schaute lange, lange, wie der Bergmann zur Sonne aufschaut, ehe er auf Tod und Leben zur Finsternis hinabsteigt. — Da .. horch .. was gellt und schmettert im Wald? Hussaruf, Meutengekläff und wüst Geschrei.
Zinkra springt empor, — ein Zittern und Beben fliegt durch ihre Glieder, ein Todesweh, welches ihr wie bange Ahnung eisig durch das Mark schauert. — Sie lauscht, verwirrt und unsicher, — fasst des Knaben Hand und stürzt in wilder Flucht in den Wald zurück. — Hat sie ein Echo getrogen? Der Lärm nähert sich, anstatt sich zu entfernen, und da sie sich in sinnloser Hast seitlich wendet, schmettert plötzlich ein Horn dicht vor ihr, es knattert und rauscht im Wald, flüchtig Wild bricht hervor, verfolgt von tobender Meute. Hinter einen Knirksbusch reisst die Zigeunerin ihr Kind, drückt es nieder und wirft sich schützend über den Knaben. Schon fletschen die Bracken vor ihr die Zähne, weichen aufheulend zurück und verbellen das seltene Wild. Da erscheint eines Rosses Haupt über dem Gebüsch, ein rotes, dick aufgedunsenes Gesicht mit ein paar Augen, daraus Roheit und Brutalität drohen, wird hinter ihm sichtbar. — Zinkra streckt ihm die gefaltenen Hände voll flehender Todesangst entgegen. Ein böses Lachen verzerrt die wulstigen Lippen, — eine schnelle Bewegung, und der Jagdspiess zischt durch die Luft, der Gauklerin Brust zu durchbohren. Ohne einen Laut, wie eine Blume unter scharfem Sensenschnitt, bricht das braune Weib zusammen. Ihre Hände zucken nach der Brust, dann krampfen sie sich, ein Röcheln und Zittern ... und die Sonne strahlt am Himmel und ein Vöglein jubelt hoch über der Sterbenden in blauer Luft.
Da knattert es von allen Seiten an Rosses Hufen herzu, und der Mörder des schutzlosen Weibes stösst gellend ins Horn und schreit mit lachender Stimme: „Heho, Michel Raak, diesmal hab ich den Königspreis erjaget! Habt Ihr jemals solch ein Wild zur Strecke gebracht? Da schaut die Landstreicherin, die ehrlose, wie sie an des Helzingers sichre Hand glauben musste!“
Michel Raaks Lachen dröhnt im tiefsten Bass und findet ein Echo bei den Weidgesellen, welche sich von den Pferden schwingen, die seltene Beute näher zu schauen, schon aber ist ihnen ein anderer zuvorgekommen. Sein Apfelschimmel schnauft im Zügel, und die hohe, würdige Männergestalt mit dem schwarzen Knebelbart und dem langgelockten Haar neigt sich hastig über die Zigeunerin, voll Zorn und Entrüstung zu schauen, ob er die Untat durch schnelle Hülfe ungeschehen machen kann. Umsonst, vor ihm liegt eine Tote, und da er sie emporrichten will, erhebt sich ein gellend Wehgeschrei, — des Weibes Knäblein, welches mit angstverzerrtem Gesicht aus den roten Rockfalten der Mutter hervorschaut. „Haha! heben wir auch noch das Nest mit der Brut aus?“ — schreit Peter Helzinger, „mach dich zur Seite, Gevatter, auf dass ich mit diesem Gewürm auch ein Ende mach, — sonst schnappt mir der Michel noch die Beute weg!“
Jammernd klammert sich der Irregang an den Mann mit dem Knebelbart, und dieser hebt jählings den Knaben auf den Arm, tritt mit blitzendem Auge vor den Bürgermeister von Zwingenberg und ruft mit einer Stimme, halb erstickt in Zorn und Abscheu: „Wenn Ihr dieses wehrlose Kind würget, so treffet meine Brust mit! — Pfui der Pest über Männer, die Menschenfleisch auf die Strecke liefern!“
„Hoho! Zigeuner sind keine Menschen, sind schlimmer wie das liebe Vieh, denn man heisset sie ehrlose Zauberer und Hexenmeister und hat sie für vogelfrei erklärt!“
„So ein Schandbub sie mordet, ist’s eine Greueltat, die der Herrgott anschreiben wird, wenn es kein weltlich Gericht dafür gibt! Ihr aber, Peter Helzinger, seid ein Christ und hättet nicht Menschenblut vergiessen sollen!“
„Haha! der Tugendspiegel hält wieder einen gar ergötzlichen Sermon!“ spottete Raak, „bist ein guter Kerl, Freundchen, aber kein Weidmann. Wer einen solchen Schinder und Gaukler antrifft, den jucket es in den Fingern, solch stinkend Lebenslichtlein auszublasen!“
„Ist die schwarze Hex’ abgefahren zur Höllen?“
„Maustot, Peter Helzinger!“
„So mag sie der Füchse Frass sein, wenn sie nicht zwischen Has und Rehlein aufgelegt werden soll.“
„Und der Bub, der braune Landstreicher? He, Gevatter, willst ihn an Sohnesstatt nehmen und ihn ehrbar machen, auf dass solches Gesindel fein sorglich grossgezogen und aufgespart werde?“
Abermals ein allgemeines Gelächter; der Angeredete aber setzte das zitternde Kind zur Erde, fasste seine Hand und hob stolz das Haupt: „Da du es fragst, Peter, magst du’s wissen. Da man dem Kind die Mutter gemordet, wäre es ein teuflisch Beginnen, es auszustossen oder es der Alten nachzuschicken. Da schaut sein fröhlich Schellenhemdchen, es ist gewiss ein artig Spassmacherlein und weiss die Leute zu ergötzen. Meine Walpurg daheim aber ist ein gar verwöhnt Prinzesslein, hat erzählen hören vom Hofnarr, den man der Königin Isold gehalten, und wünscht sich solchen Lustigmacher. Der Kleine hier ist mein Eigentum, ich schenk ihn drum dem Töchterlein zum Hausgesind.“
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