Obwohl er kein Rezept dafür hinterlassen hat, gilt La Varenne als der Erfinder von Duxelles: Einer Füllung aus gehackten Champignons, Schalotten und Zwiebeln, die in Butter gedünstet werden. Sie dienen wiederum als Grundlage für die mit Weißwein aufgekochte Duxellessauce. Von La Varenne stammt auch das Rezept zu Boeuf à la mode (gespickter und in Cognac eingelegter Rinderschmorbraten) sowie Rezepte für luftigen Blätterteig.
Viele Gewürze waren im Laufe der Renaissance so günstig geworden, dass sie für die Oberschicht – adelig oder nicht – kein Statussymbol mehr darstellten. Allein Muskatnüsse wurden durch das Monopol der Niederländer noch im 17. Jahrhundert regelrecht mit Gold aufgewogen. Erst um 1770 gelang es Pierre Poivre, Samen und Stecklinge von Gewürznelke und Muskatnuss von den Gewürzinseln zu schmuggeln und erfolgreich auf den französischen Inseln Mauritius und La Réunion anzupflanzen.
La Réunion, früher Île Bourbon, sollte im 19. Jahrhundert noch für ein anderes Gewürz bekannt werden: die Vanille. Die dorthin geschmuggelten Stecklinge bildeten zunächst keine Schoten. Nachdem der belgische Botaniker Charles Morren das Geheimnis der Bestäubung entdeckt und der Plantagensklave Edmond Albius im Jahr 1841 eine Methode für die künstliche Bestäubung entwickelt hatte, war ein weiteres Monopol gefallen: Die Insel Île Bourbon löste Mexiko als größten Vanilleexporteur ab.
Auf der Suche nach neuen Raffinessen, die exklusiv der Oberschicht vorbehalten waren, entstand in Europa erstmals seit der Antike ein gebildeter Diskurs über das Kochen. Man setzte sich von der „arabischen“ Küche des Mittelalters ab, womit man alles bezeichnete, was stark gewürzt war. Bereits Mitte des 17. Jahrhunderts entwickelten sich erste Ansätze einer neuen europäischen Küche, die vor allem den Eigengeschmack der Lebensmittel betonte und sich beim Würzen erstmals zurückhielt: die klassische „Haute Cuisine“, wie sie später genannt werden sollte. Die französische Küche mit ihrem Vorkämpfer François-Pierre de La Varenne (1618–1678) wurde stilprägend in ganz Europa, sie galt als Synonym für guten Geschmack. Das sollte sich auch in den kommenden Jahrhunderten nicht ändern.
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Ein siebenpfündiger Kapaun, gefüllt mit Trüffeln von Périgord bis zur völligen Kugelgestalt.
Eine ungeheure Straßburger Gänseleberpastete, wie die Vision eines Festungsturmes.
Ein großer Rheinkarpfen à la Chambord, schön und reich serviert.
Getrüffelte Wachteln mit Ochsenmark, auf Toast aux basilie.
Ein gespickter Flußhecht, farciert, in Krebssauce nach allen Regeln der Kunst.
Ein Fasan auf seiner Höhe, als Toupet gespickt, auf einer Bratröste serviert à la Sainte-Alliance.
Hundert Spargel von 5 Zentimeter Durchmesser, Primeurs, in Fleischbrühensauce.
Eine Pyramide von mit Vanille gefüllten Baisers. (Letzteres nur für Damen und Herren mit Abbé-Beinen.)
Reaktion: „Ah, Monseigneur! Was für ein Juwel von Koch! Solche Finessen findet man nur bei Ihnen!“
DIE REGENTSCHAFT DER FRANZÖSISCHEN HOCHKÜCHE
Trotz La Varennes Forderungen nach Zurückhaltung beim Würzen setzte sich die Haute Cuisine in den gehobenen Kreisen zunächst nur langsam durch. Die „Unsitte“ des Überwürzens und das Auftischen riesiger Mengen war noch immer weit verbreitet, man wollte bei seinen Gästen Eindruck schinden wie früher die Aristokratie. Inzwischen wirkten jedoch – ganz wie im alten Rom und in China – „Intellektuelle“ dieser Tendenz entgegen. Von Jean Anthèlme Brillat-Savarin (1755–1826) erschien 1826 posthum die „Physiologie du goût ou méditations de gastronomie transcendante“ (Physiologie des Geschmacks oder Betrachtungen über das höhere Tafelvergnügen, 1865). Darin schreibt er: „Ich meinerseits bin vollständig überzeugt, dass ohne Teilnahme des Geruchs keine vollständige Geschmacksempfindung stattfinden kann [...] Verhindert man den Geruch, so lähmt man den Geschmack.“ Eine ebenso simple wie bahnbrechende Beobachtung: Wie man heute weiß, hatte er ganz richtig vermutet (
Ein Fest für die Sinne, Seite 6). Köstlich und vermutlich durchaus repräsentativ, wenn auch in satirisch-kritischer Zuspitzung, sind Brillat-Savarins Menübeschreibungen, etwa für ein reiches Haus (
siehe links).
Endgültig räumte mit dieser Art der opulenten, auf Showeffekte setzenden Küche Ende des 19. Jahrhunderts Auguste Escoffier auf, der „Koch der Könige und König der Köche“. Er vereinfachte die komplizierte französische Küche und machte sie bekömmlicher. Dabei nahm er auch neue internationale Einflüsse auf, zum Beispiel das aus umgezüchteten Chilischoten erzeugte milde Paprikapulver aus Ungarn in seinem berühmten „Paprikahuhn“. Escoffier war auch Küchen-Praktiker: Er erfand die „Posten“ und rationalisierte so die Arbeit in großen Hotelküchen. Diese zwar nicht mehr überladene, aber immer noch sehr prächtige „Grande Cuisine“ ging einher mit der Belle Époque in Europa und den USA. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs sollte auch sie enden, denn abgesehen von der generell knappen Versorgungslage konnte sie sich kaum noch jemand leisten.
ESCOFFIERS POSTEN
Escoffier revolutionierte die Küche auch organisatorisch, indem er Spezialisten jeweils ein bestimmtes Aufgabengebiet zuwies: Küchenchef war der „gros bonnet“, erkennbar an seiner übergroßen Chefmütze. Der „chef saucier“ war für die (damals) so entscheidenden Jus und Fonds der Saucen zuständig, der „entremettier“ für Suppen, Gemüse und Nachspeisen, der „rotisseur“ für das Fleisch, der „garde-manger“ für Beilagen und kalte Speisen und schließlich der „patissier“ für alle Nachspeisen und Süßes. Solche Aufteilungen sind noch heute in großen Restaurantküchen üblich.
Zwischen den Weltkriegen und nach 1945 waren die Menüs der internationalen, französisch geprägten „Cuisine Bourgeoise“ simpler geworden: Aus Beilagen wurden eigenständige Gerichte, die Zubereitung und Würzung wurde insgesamt schlichter. Doch auch die Blütezeit dieser neuen „bürgerlichen Küche“ sollte nicht ewig währen, sie verlor sich wie schon die „Haute Cuisine“ des 19. Jahrhunderts in Dogmatismus, Starre und Langeweile. Darauf reagierte eine neue Generation von Köchen und Gourmetkritikern und erfand in den 1970er-Jahren die „Nouvelle Cuisine“. Ihre Vertreter forderten kürzere Garzeiten, ausschließlich marktfrische Zutaten und den Einsatz der neuesten Technik – inklusive Mikrowelle, Mixer und automatischer Garöfen. Doch auch die „klassische“ Nouvelle Cuisine à la Paul Bocuse wurde letztlich ein Opfer ihres eigenen Erfolgs, weil sie unzählige Nachahmer fand, die nur noch schwache Kopien ablieferten. Ihr Verdienst bleibt, den Fokus wirkungsvoll auf gesunde und frische Zutaten gelegt zu haben, sie hat neue Gewürze wie Rosa Beeren bekannt gemacht und den Weg für neue, ungewöhnliche Gewürzkombinationen wie Pfeffer zu Erdbeeren geebnet.
PFIRSICH MELBA
Escoffiers vielleicht populärste Kreation: Ein halber geschälter Pfirsich wird in Läuterzucker 15 Minuten sanft gekocht. Dann in eine Sektschale – Escoffier bestand auf einer aus Silber – auf Vanilleeis setzen, mit Himbeerpüree überziehen und mit Schlagsahne dekorieren. Dazu Waffeln servieren. Man kann auch noch Mandelsplitter darüber geben.
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