«Kommt mal her und riecht an meinen Stiefeln, Arne und Mimi!», schrie sie.
«Nein, pfui Teufel», sagte Arne, «nicht für eine Million.»
Lindas Mama blieb stehen und sah ärgerlich aus.
«Das sind Stiefel mit Geruch, bist du schwer von Begriff?», sagte Linda wütend und streckte einen Fuß vor.
Aber Arne hielt sich die Nase zu, und da taten Eddie und ich das auch.
«Ich riech lieber an meinen eigenen Stiefeln, wenn ich was erleben will», sagte Arne mit erstickter Stimme.
«Was ist das denn für ein Benehmen!», rief Lindas Mama.
«Das sind Stiefel mit Geruch aus Amerika, schnallt ihr das nicht?», fauchte Linda. «Echte Mondstiefel mit Kaugummigeruch. Reib mal an den Zehen, dann riechst du es.»
«Niemals!», sagte ich und guckte Arne an.
Arne stöhnte nur und hielt sich die Nase zu.
«Komm, Linda, wir gehen», sagte ihre Mama streng. «Diese Kinder können das Wort Erziehung wahrscheinlich nicht mal buchstabieren.»
«Doch!», schrien Arne und ich im Chor. «E-R-Z-I-E-H-U-N-G!!» Linda und ihre Mama waren schon ein Stück weg, und ihre Rücken sahen richtig aufgeblasen aus. Plötzlich drehte Linda sich um und rief: «Erziehung schreibt sich aber mit k am Ende, falls ihr das noch nicht wisst!»
Wir gaben keine Antwort.
«Das waren die blödesten Stiefel, die ich jemals gesehen hab», sagte Arne. «Und ich hab schon ziemlich viel blöde Stiefel gesehen. In Stockholm zum Beispiel, der königlichen Hauptstadt.»
«Hast du da denn königliche Stiefel gesehen?», fragte ich. «Mit Kronen drauf?»
Arne nickte.
«Ich will auch Stiefel mit Geruch haben», sagte Eddie schluchzend. «Nie krieg ich Stiefel mit Geruch und nichts.»
«Halt die Klappe», sagte Arne. «Wir können uns keine Stiefel mit Geruch leisten. Du bist ja beknackt.»
Eddie dachte lange nach, während er in seinen Taschen suchte, vermutlich nach Geld. Aber er fand keins, nur einen Haufen anderer mehr oder weniger schrecklicher Sachen, die ich lieber nicht aufzählen will.
Arne setzte sich auf die Straße. Das macht er immer, wenn er nachdenkt. Wir setzten uns neben ihn.
«Ich hab keins gefunden», sagte Eddie, «kein Geld.»
«Still», sagte Arne. «Ich denk über was Wichtiges nach.»
«Wollen wir so lange Ball spielen?», fragte Eddie mich, und seine Augen leuchteten, dass ich ihn am liebsten hochgehoben und umarmt hätte. Das hätte ich leicht gekonnt, obwohl er sechs Jahre alt ist und ich acht, es sind also eigentlich nur zwei Jahre Unterschied zwischen uns. Aber ich heb Eddie nicht einfach hoch, wenn er mich nicht darum bittet. Man will ja schließlich keine runtergehauen kriegen.
Arne dachte lange nach, mindestens vier Minuten. Währenddessen wurde es ganz dunkel, und die Straßenbeleuchtung ging an.
Schließlich war er fertig.
«Wir müssen Millionäre werden», sagte er ernst.
«Warum nicht?», sagte Eddie und zuckte mit den Schultern.
«Klingt gut», sagte ich.
Wir saßen lange auf der Straße und dachten nach. Zum Glück gibt es Thermohosen. Wir grübelten und überlegten, aber weder Arne noch mir fiel auch nur ein einziger Nachteil ein, wenn man Millionär ist.
«Vielleicht», sagte Arne, «kriegt man Ärger, wenn man mitten in der Nacht durch eine dunkle Gasse geht. Da stürzt sich vielleicht eine Alte aus einem Tor auf einen und haut einem mit einem Knüppel auf den Schädel, und dann klaut sie den ganzen Packen Scheine, und da liegt man dann allein auf der Straße, nackt und arm.»
«Ja, das schon», sagte ich, «aber sonst gibt es wohl meistens nur Vorteile.»
Später am Abend, als Mama mir gute Nacht sagte, fragte ich, was sie tun würde, wenn sie Millionärin wäre. Dann würde sie auf der Stelle kündigen, sagte sie, und nicht einen einzigen Handschlag mehr in ihrem ganzen Leben tun.
«Aber wenn du nicht mehr im ‹Goldenen Schwan› arbeitest, kannst du ja nie mehr lachen und mit Roberto und Rodolfo italienische Pastalieder singen», sagte ich.
«Nein, das nicht», sagte Mama seufzend. «Aber ich kann ja ein eigenes Restaurant eröffnen und die beiden anstellen.»
«Doch nicht hier zu Hause bei uns?», fragte ich.
Am nächsten Morgen beim Frühstück fragte ich Papa, was er tun würde, wenn er Millionär werden würde. Er zögerte nicht eine Sekunde. Dann würde er sechzehn Kartons mit exklusiven Zwiebeln aus Holland kaufen, eine Kreuzung von dunklen Tulpen und blassen Orchideen.
«Warum nur sechzehn?», fragten Mama und ich im Chor. «Wenn du Millionär bist, kannst du sechzehntausend kaufen!»
«Aber das macht nicht solchen Spaß», antwortete Papa schniefend.
Manchmal wache ich morgens früher auf als alle Menschen auf der Welt.
Dann kann ich so gut denken.
Ich kann in meinem Bett liegen und auf die drei Punkte an der Decke gucken und mir wer weiß was für kluge und intelligente Sachen ausdenken.
Wenn ich allerdings fertig gedacht habe, überkommt mich eine große Schläfrigkeit und versetzt mir einen Schlag auf den Kopf, sodass ich innerhalb einer Sekunde tief einschlafe. Dann ist es immer Viertel vor sieben, und das ist in dem Augenblick, wenn mein Papa an meinem Bett steht und mich schüttelt und sagt, dass ich ein Langschläfer bin. Das ist ziemlich ungerecht.
Heute war so ein Morgen. Draußen war es ganz schwarz, als ich aufwachte, obwohl es April und alles und ganz still auf der Straße war.
Ich dachte an Arne und Eddie und ob sie schliefen. Sie wohnen in einem kleinen komischen kaputten Haus draußen auf dem Lande. Manchmal ist ihr Papa zu Hause, manchmal ist er nicht zu Hause, und dann kocht Arne und bringt den Abfall weg. Sein Papa hat einen blauen Laster, der ziemlich geil ist. Damit arbeitet er. Manchmal schlafen Arne und Eddie ganz allein da draußen im Wilden Westen. Das ist ja lebensgefährlich! Aber Arne wird furchtbar wütend, wenn ich ihn frage, ob er Angst hat. Er sagt, er steckt mich in den Basketballkorb in der Turnhalle, wenn ich ihn nochmal so was Blödes frage.
Während ich so toll nachdachte, fiel mir ein, dass Arne und Eddie, wenn wir Millionäre werden, die ganze Nacht die Lampen im Haus anlassen können, obwohl das so teuer ist. Dann schlief ich ein.
Auf dem Weg zur Schule dachte ich darüber nach, wie anders alles wird, wenn ich Millionärin bin und auf derselben Straße gehe.
Wenn ich zum Beispiel einen Zehnkronenschein ain meinem Rucksack als Spende für irgendeinen Verein hätte und wenn der Schein plötzlich aus meinem Rucksack flattert und auf der Straße landet ... Wenn mir das heute passierte, würde ich mich furchtbar aufregen und hinterherjagen und ihn wieder in meinen Rucksack stecken. Aber wenn ich Millionärin wäre, würde ich nur rufen: «Tschüs, du oller Zehner!»
Es ist ein großer Unterschied, ob man Millionär ist oder ob man keiner ist.
Aber in der Schule hatten wir nicht die kleinste Chance, an Geld und wichtige Sachen zu denken, denn unsere Lehrerin wollte, dass wir das Frühlingsfest planen.
«Klassenelternvertreter sind, wie ihr wisst, Eltern, die bestimmen, dass alle ein Frühlingsfest feiern und miteinander Spaß haben sollen», sagte Frau Svensson säuerlich. «Jetzt haben sie entschieden, dass das Fest am Sonntag, dem 10. April stattfinden soll. Das ist zufällig der Geburtstag meiner Mutter. Aber ich kann sie ja Weihnachten besuchen. Ja also», fuhr sie fort und stöhnte, «jetzt sollen wir entscheiden, wer eine Schnitzeljagd will und wer gegrillte Würstchen essen oder wer einen echten Bauernhof besuchen möchte, obwohl, das kann Johan wohl nicht, denn er ist ja allergisch ...»
Frau Svensson ließ sich schwer auf ihren Stuhl fallen, und Janna hob die Hand.
«Müssen wir so was jetzt planen?», fragte sie. «Können wir nicht lieber Mathe haben?»
Da lächelte Frau Svensson. Das war das erste Mal seit zwei Monaten.
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