Stadtviertel, in denen Kirchen früher willkommen waren, führen heute Gerichtsprozesse gegen sie. Dabei geht es nicht nur um das erhöhte Verkehrsaufkommen oder fehlende Parkplätze. Nein: „Wir wollen keine Kirche in unserem Viertel!“ Diese Abneigung wird öffentlich thematisiert, wenn prominente Sportler über ihren Glauben sprechen. Vor einigen Jahren wurden Quarterback Tim Tebow und Basketballspieler Jeremy Lin von einigen Christen für ihren sauberen Lebensstil gelobt und auch für ihre Bereitschaft, über ihren Glauben zu diskutieren. Gleichzeitig wurden sie in Sportsendungen, auf Webseiten und Blogs und in Late-Night-Comedy-Shows gnadenlos durch den Kakao gezogen.
Zu unserer Schande muss ich einräumen, dass die Kirche oder zumindest bestimmte Gruppierungen manchmal auch gute Gründe für diese Aversion liefern. Gerade habe ich beim Abfassen dieses Kapitels eine Pause gemacht, CNN geschaut und einen Bericht über einen Pastor in North Carolina gesehen.10 Der schlug vor, alle „Lesben und Schwulen“ zusammenzupferchen, einen vielleicht hundertfünfzig Kilometer langen Zaun um sie herumzuziehen und sie dann mit Lebensmitteln aus der Luft zu versorgen. Schließlich und endlich werden sie aussterben, jubelt er, weil sie ja keine Kinder bekommen. In derselben Woche applaudierte eine Gemeinde begeistert einem siebenjährigen Jungen, der ein selbstgeschriebenes Lied vortrug: „Homos kommen nicht in den Himmel.“11 Nach dem Amoklauf an der Grundschule von Sandy Hook in Connecticut machte ein prominenter Evangelikaler Homosexuelle, iPods, die Evolutionslehre und Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs gegen das Schulgebet dafür verantwortlich.
Vor einiger Zeit bekam ich einen Brief von einer Bekannten. Sie ist Agnostikerin, beklagte sich, wie sich Christen bei der Beerdigung ihrer Mutter benommen hatten, und schilderte die „Angst machenden Komm-zu-Jesus-Aufrufe“ eines Pastors der „Grace Community-Irgendwas-Megakirche“ – ausgerechnet einer Gemeinde, die die Gnade im Namen trägt. Sie fügte hinzu: „Nur aus einem einzigen Grund bin ich nicht über die Bänke geklettert und nach draußen geflohen: Ich hatte Respekt vor dem evangelikalen Glauben meiner Mutter.“ Einige Leute, die an der Trauerfeier teilgenommen hatten, meinten zu ihr: „Wenn auch nur ein Mensch aufgrund dieser Predigt Christus angenommen hat, war es das wert.“
Der Film Saved! – Die Highschool-Missionarinnen von 2004 zeigt uns manches darüber, wie Christen von weiten Teilen unserer Kultur gesehen werden.12 Regie führte Brian Dannelly, der es als Kind und Jugendlicher fertigbrachte, erst von einer katholischen Grundschule und später von einer baptistischen High School geworfen zu werden. Der Film ist teils bissige Satire, teils abgedrehte Komödie. Hilary Faye, eine prüde Christin, leitet die Acapella-Gruppe Christian Jewels („Christliche Juwelen“). Sie kidnappen potenzielle Bekehrungsopfer und versuchen, ihnen Dämonen auszutreiben. Die einzige jüdische Schülerin der Schule ist eine Rebellin, spielt vor, in Zungen zu sprechen, und reißt sich während des Schulgottesdienstes die Bluse auf. Ein schwuler Junge wird von seinen Eltern in ein christliches Rehabilitationszentrum geschickt – mit dem unpassenden Namen Mercy House („Haus der Barmherzigkeit“) –, um sich dort ein Jahr behandeln zu lassen. In der Zwischenzeit merkt Mary, die ihn verführt hat, um ihn von seiner Homosexualität zu heilen, dass sie schwanger ist. Im Lauf der Handlung werden alle Christen als Heuchler entlarvt, allen voran Hilary Faye, dicht gefolgt von ihrem Pastor, der gerne mal fremdgeht.
In der Schlussszene flieht der homosexuelle Junge aus dem Mercy House und versammelt sich mit den anderen in Marys Krankenhauszimmer, nachdem sie ihr Kind zur Welt gebracht hat. Die Botschaft ist deutlich: Warum können wir einander nicht in unserer Unterschiedlichkeit – Glauben, Moral, sexuelle Orientierung und allem anderen – akzeptieren? Warum kommen wir nicht miteinander aus?
Heute regiert die Toleranz. Wenn eine Religion mit dem Anspruch auftritt, auch nur ein Körnchen der Wahrheit erkannt zu haben, ist sie uns suspekt. Kombinieren wir das mit dem Ruf der Christen, andere für ihr Verhalten zu verurteilen, dann müssen wir uns nicht wundern, dass die Gegner immer hitziger reagieren. Wie ein Kritiker anmerkte: „Die meisten Leute, denen ich begegne, nehmen an, Christ zu sein bedeute, äußerst konservativ zu sein, mit betonierten Einstellungen gegen Homosexualität und Abtreibung, zornig, gewalttätig, unlogisch, machtbesessen; sie wollen jeden bekehren und können im Allgemeinen nicht friedlich mit Menschen auskommen, die nicht glauben, was sie glauben.“13
Jesus hat uns nie befohlen, in Meinungsumfragen gut abzuschneiden, doch wenn ich mir die Begriffe durch den Kopf gehen lasse, die man zur Beschreibung von Christen nutzt, frage ich mich, wie wir Salz und Sauerteig in einer Gesellschaft sein können, die uns in einem so negativen Licht sieht.
Reagiere ich über? Ich fragte mich, ob negative Gefühle gegenüber Religion vielleicht ein lokal begrenztes Phänomen wären, bis ich auf eine Meinungsumfrage stieß, bei der achtzehntausend Menschen in dreiundzwanzig Ländern befragt wurden.14 Zur Vorbereitung einer 2010 geführten Debatte zwischen dem ehemaligen britischen Premier Tony Blair und dem Atheisten Christopher Hitchens gaben die Sponsoren aus Toronto eine kleine Umfrage in Auftrag. Hier nun die Ergebnisse der Umfrage zum Thema „Ist Religion eine Kraft, die Gutes bewirkt?“:
Land |
Prozentsatz derjenigen, die mit Ja antworteten |
Saudi-Arabien |
92 |
Indonesien |
91 |
Indien |
69 |
USA |
65 |
Russland |
59 |
Italien |
50 |
Türkei |
43 |
Kanada |
36 |
Deutschland |
36 |
Australien |
32 |
Großbritannien |
29 |
Japan |
29 |
Frankreich |
24 |
Belgien |
21 |
Schweden |
19 |
Insgesamt waren 52 Prozent der Befragten der Meinung, dass Religion mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt. Obwohl die Umfrage nicht weiter untersuchte, was hinter diesen Antworten stehen mochte, fiel mir auf, dass gerade die Länder, die am engsten mit der Geschichte des Christentums verknüpft sind – vor allen Dingen in Europa – Religion am wenigsten respektierten und für gut hielten. Im Gegensatz dazu lag der Prozentsatz in Russland viel höher, obwohl der atheistische Staat im letzten Jahrhundert versucht hatte, Religion auszumerzen. Darüber hinaus fiel mir auf, dass Länder in Afrika und Südamerika, in denen Religion eine neue Blüte erfährt, in der Umfrage nicht berücksichtigt wurden.
In den Vereinigten Staaten bringt man der Religion grundsätzlich noch Respekt entgegen, obwohl sie in einer Hinsicht möglicherweise einem europäischen Trend folgt: Umfragen zeigen ein stetiges Anwachsen der Religionslosen (heute ein Drittel der Unter-Dreißigjährigen). Das sind mehr als Episkopale, Presbyterianer, Methodisten und Lutheraner zusammengenommen.
Die Umfrageergebnisse gingen mir noch im Kopf herum, als ich mich an einen Artikel erinnerte, den Tim Stafford vor einigen Jahren in Christianity Today veröffentlicht hatte.15 Er zog eine Parallele zur biblischen Zeit und sagte, dass Christen in den USA manchmal glaubten, wir lebten in Babylon als Flüchtlinge in einer Kultur, die Werte lebt, die unseren widersprechen (man denke nur an Hollywoodfilme). In Wirklichkeit leben wir eher in Samarien. Zur Zeit Jesu bewohnten die Samaritaner ein Gebiet, das unmittelbar an das ihrer Cousins, den Juden, angrenzte. Obwohl sie so viel gemeinsam hatten, kamen die beiden Gruppen nicht miteinander zurecht. Wie einander entfremdete Verwandte hegten sie Groll gegeneinander. Für die Juden waren die Samaritaner schlicht und einfach Häretiker. Im Johannesevangelium 4,9 heißt es: „Die Juden verkehren nicht mit den Samaritern“ (ELB).
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