»Verheddert?«, fragte Mons mit vollem Mund.
»Er meint, dass er sich nicht so gut fühlt«, erklärte Papa.
»Na ja, er ist doch auch sechsundneunzig«, meinte Mons. »In dem Alter verheddert es sich bestimmt für viele«, fügte er zu Urgroßvater gewandt hinzu. Manchmal gibt Mons wirklich sein Bestes.
»Hattest du denn eine schöne Reise?«, versuchte Mama ein Gespräch einzuleiten.
»Ach ja.«
»Ja?«
Mama sah etwas angespannt aus. Sie ist es gewohnt, dass die Leute erzählen, wenn man sie etwas fragt, und nicht nur »Ach ja« sagen und dann wieder den Mund halten.
»Hast du vielleicht nette Leute getroffen?«
»Ach ja.«
Stille.
»Hast du auch ’nen Kaffee gekriegt?«
Mama ließ nicht locker.
»Ja, ja, da war so ’ne Frau, die ist mit ’nem Wagen rumgefahren, weissnichwa.«
»Und bei ihr hast du dir einen Kaffee gekauft?«
»Na ja, wenn man das Kaffee nennen kann. Er war ganz dünn. Und reichlich teuer.«
»Weissnichwa«, sagte Mikkel fasziniert. »Ich gehe raus und spiele ein bisschen Weissnichwa, darf ich?«
»Ja«, sagte Mama matt.
Zwei Tage vor Heiligabend kommt immer der Lions Club und verkauft zwischen den Häuserblocks von Ski-ferlia Tannenbäume. Ich hatte schon Angst, dass wir uns in diesem Jahr keinen Weihnachtsbaum leisten könnten, aber Papa zog sich Jacke und Stiefel an und fragte, ob wir mitwollten. Urgroßvater wollte auch mit, er fand es lustig zuzugucken, wie man sich in der Stadt einen Tannenbaum besorgt.
Ich suchte den Baum aus. Es war einer der größten mit vielen dichten Zweigen unten und ganz oben ein paar niedlichen hellgrünen.
»Dreihundert Kronen«, sagte der Lions-Mann.
»Wie viel?«, fragte Urgroßvater.
»Dreihundert Kronen«, sagte Mons.
»Dreihundert? Was will er für dreihundert Kronen?«
»Er will nichts kaufen«, erklärte ich, »er will uns den Baum für dreihundert Kronen verkaufen.«
»Den Baum?«, fragte Urgroßvater.
»Ja«, bestätigte ich.
Urgroßvater stand unbeweglich da und sah aus, als dächte er angestrengt nach.
»Da wird kein Geschäft draus.«
»Aber die Kinder brauchen doch einen Tannenbaum«, protestierte Papa.
»Ja, aber nicht diesen da«, entgegnete Urgroßvater.
Wir gaben es auf und gingen ohne Weihnachtsbaum nach Hause.
Um sechs Uhr am nächsten Morgen wachte ich davon auf, dass Mons mit Stiefeln und Jacke im Flur lärmte.
»Willst du raus?«, fragte ich.
Er zog mich zum Küchenfenster. »Guck mal«, flüsterte er.
Da draußen stand Urgroßvater mit Pudelmütze und dicker Jacke. Er hatte eine Axt in der Hand.
»Wohin wollt ihr?«, fragte ich.
Aber Mons war schon halb die Treppe hinunter.
Als wir anderen am Frühstückstisch saßen, schleppten Mons und Urgroßvater einen großen, schneenassen Baum an.
»Wo habt ihr den denn gefällt?«, fragte Papa verblüfft.
»Hinter der Schule«, berichtete Mons begeistert. »Ich freue mich schon drauf, wenn ich meinen Kumpels den Baumstumpf zeigen kann. Wir dürfen da nicht mal einen Ast abreißen, der Rektor sagt immer, das ist ein geschütztes Waldgebiet!«
»Vielleicht zeigst du dann lieber nicht den Baumstumpf«, sagte Mama trocken.
»Du Idiot«, flüsterte ich wütend Mons zu, »du hast doch gewusst, dass das nicht erlaubt ist. Du hast Urgroßvater angeschmiert!«
»Urgroßvater hat gefragt, ob der Wald der Gemeinde gehört«, murmelte er. »Und ich habe nur Ja gesagt.«
»Der Gemeinde! Dann könnte ja jeder da Bäume fällen!«
»Ich kann schließlich nicht alles wissen«, erwiderte Mons aufbrausend. »Jetzt ist es jedenfalls zu spät.«
»Da müsste mehr geschlagen werden«, sagte Urgroßvater.
Glücklicherweise hatte er nicht gehört, was Mons und ich geflüstert hatten. »Die Bäume stehen da viel zu dicht.«
»Da hörst du’s«, flüsterte Mons triumphierend. »Urgroßvater hat davon garantiert mehr Ahnung als der Rektor, oder?«
Heiligabend waren Eva und Mai-Katrin unten bei Julie, denn Eva wollte nicht, dass ihre Mutter ausgerechnet an diesem Abend traurig sein sollte. Wir anderen aßen Schweinerippen und kleine Würstchen. Aber so richtig konnten wir uns nicht entspannen, Papa hatte dauernd irgendwas auf dem Flur zu tun, um zu lauschen, zu hören, ob aus Julies Wohnung irgendwelcher Krach ertönte.
»Mir gefällt das nicht«, sagte er immer wieder, »mir gefällt das nicht, dass die Kinder da unten allein mit Julie und diesem Kinderprügler sind.«
Vor dem Essen lasen wir im Weihnachtsevangelium. Das hatten wir noch nie gemacht, aber ganz offensichtlich wollte Papa, dass Urgroßvater glauben sollte, das wäre bei uns eine alte Weihnachtstradition. »Und es war kein Raum für sie in der Herberge«, las Papa.
»Ist es nicht bald zu Ende?«, stöhnte Mons. »Können wir nicht bald anfangen zu essen?«
Danach packten wir unsere Weihnachtsgeschenke aus. Julie war am Vormittag mit einer Flasche Whisky für Mama und Papa da gewesen sowie einer Stange Zigaretten, die sie ihnen unbedingt aufdrängen wollte, obwohl doch beide nicht rauchten. Die lag jetzt auf dem Tisch und erinnerte an die beiden, die nicht bei uns waren.
Wir bekamen keine tollen Weihnachtsgeschenke. Von Mama und Papa gab es nur Skistiefel, so was Langweiliges, Skistiefel zu Weihnachten, die sie sowieso kaufen mussten. Aber ich sagte nichts. Mons dagegen war reichlich sauer. Er hatte einen Wollpullover und eine neue Federtasche bekommen. Von Urgroßvater bekamen wir jeder ein glänzendes Zehnkronenstück, es war wohl schon eine Weile her, dass er das letzte Mal in einem Geschäft gewesen war. Zum Schluss gab es da noch die Pakete von Jeanette, Mamas Schwester, die den Abend retteten. Ich bekam einen Kassettenrekorder von ihr, Mons einen unglaublich tollen Hockeyhelm und Mikkel ein Piratenschiff!
Tante Jeanette verschenkt immer so viel. Alle Kinder ihrer Familie schenken allen Kindern unserer Familie etwas, was für uns bedeutet, dass wir uns reichlich anstrengen müssen es ihnen gleich zu tun. Von meinen Cousinen Katharina und Madeleine bekam ich ein Tagebuch mit Schloss und einem Blumenstrauß drauf und einen schicken Pullover.
»Mein Gott«, sagte Mama, »das muss ja mehrere Tausender gekostet haben. Und ich habe ihnen nur so billige Sachen geschenkt! Von Mikkel nur Weihnachtsschmuck, den er im Kindergarten gebastelt hat!«
»Na, Jeanettes Kinder brauchen ja auch keine teuren Weihnachtsgeschenke«, sagte Papa, »die haben doch jetzt schon mehr als genug.«
Da kamen Eva und Mai-Katrin reingestolpert. Eva sah traurig aus, Mai-Katrin einfach nur müde. Wir legten die Kleinen schlafen und gingen wieder ins Wohnzimmer. Urgroßvater sortierte das Geschenkpapier, strich es glatt und legte es in einem ordentlichen Stapel zusammen. Dann löste er alle Knoten des benutzten Geschenkbands und wickelte es zu kleinen Knäueln zusammen. Zum Schluss machte er aus allen Grußkarten einen Stapel und gab ihn Papa.
»Wollen wir den Whisky aufmachen?«, fragte Mama fröhlich. »Wo wir alle so schön zusammensitzen und es uns gemütlich machen!«
Wir blieben noch lange auf, guckten ein wenig Fernsehen und versuchten, die Welt da draußen zu vergessen. Urgroßvater erzählte, wie Papa klein war und was er alles für Blödsinn machte. Einmal hatte er den Stall in Brand gesteckt. Ein anderes Mal, als er mit Urgroßvater auf einem anderen Hof half, die Kartoffeln zu ernten und in Tonnen zu lagern, nahm Papa alle leeren Tonnen und rollte sie die steilen Abhänge zum Fluss hinunter, sodass die Erwachsenen mehrere Stunden brauchten, sie wieder zu bergen und hinaufzubekommen.
»Warum bist du Papas Pflegevater geworden, nachdem seine Eltern gestorben waren?«, fragte ich. »Hast du ihn schon vorher gekannt?«
»Du kannst es ruhig erzählen«, sagte Papa.
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