Borussia Mönchengladbach gewann 1970, 1971 und 1975 unter Hennes Weisweiler die Deutsche Meisterschaft, 1973 den DFB- und 1975 den UEFA-Pokal. Unter Udo Lattek, der Weisweiler im Sommer 1975 ablöste, kamen 1976 und 1977 noch zwei weitere Meisterschaften sowie der zweite Gewinn des UEFA-Cups 1977 hinzu. Die siebziger Jahre waren geprägt von dem Zweikampf zwischen den Bayern aus München und den Gladbacher »Fohlen«. Von zehn möglichen Meistertiteln holte die Borussia deren fünf, die Bayern drei. Die Wochenzeitung »Die Zeit« schrieb damals: »Borussia stand für Frische, für Elan, Mut und Lebensfreude. Dagegen spielten die Münchner konservativ und verkörperten den Konservativismus, inklusive des Miefs und der Bräsigkeit der fünfziger, sechziger Jahre.« Das halte ich dann doch für reichlich überzogen, aber zweifelsfrei hat Mönchengladbach damals den attraktiveren Fußball geboten, was sogar Uli Hoeneß später einmal freimütig zugeben musste. Aber Hoeneß wäre nicht Hoeneß, wenn er nicht auch gesagt hätte: Die erfolgreichere Mannschaft war der FC Bayern. Die Münchner gewannen von 1974 bis 1976 dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister. »International waren die Bayern abgeklärter und hatten dadurch auch mehr Erfolg. Unser Spiel war da manchmal zu euphorisch«, musste Gladbachs Stürmer Herbert Laumen rückblickend eingestehen.
Weisweilers goldenes Händchen
Diese Euphorie hatte Trainer Hennes Weisweiler am legendären Bökelberg entfacht. Er brachte die »Fohlen« dazu, die Bundesliga sozusagen im gestreckten Galopp zu erobern. Als er die bis dahin nur mäßig erfolgreiche Borussia auf Empfehlung von Bundestrainer Sepp Herberger zur Saison 1964/65 übernahm, hatte zwar schon sein Vorgänger Fritz Langner Talente aus der Region in den Profikader eingebaut. Der große Unterschied war jedoch, dass Langner mit seinem Kasernenhofton die Youngster nicht erreichte. Manager Helmut Grashoff sagte anlässlich der Verpflichtung Weisweilers: »Es war an der Zeit, Langner gegen etwas Geniales einzutauschen – gegen einen Trainer, der die volle Entfaltung der hoffnungsvollen Ansätze bewirken könnte.« Weisweiler konnte das – Helmut Schön sagte einmal über seinen Trainerkollegen: »Hinter der bärbeißigen Schale steckte ein weicher Kern!« –, wenngleich es ein paar Jahre dauerte, bis er seine Ansammlung von »Bubis« zu einer absoluten Spitzenmannschaft geformt hatte.
Neben seinem goldenen Händchen für Talente war es vor allem Weisweilers Fußballphilosophie, die den Erfolg an den Niederrhein brachte. »Fußball muss Spaß machen. Mir ist ein 5:4 lieber als ein 1:0«, lautete sein Credo. Ohne ihn hätten sich Spieler wie Heynckes, Netzer, Vogts und Bonhof wohl kaum zu solchen Klassespielern entwickelt. Für einige, insbesondere für den Waisen Berti Vogts, war er sogar Vaterersatz. Mit anderen geriet der gestrenge Fußballlehrer regelmäßig aneinander. In Mönchengladbach vor allem mit Günter Netzer, dem er »keine Extrawürste braten wollte«.
Die Privatfehde zwischen dem Trainer und Netzer gipfelte im Pokalfinale 1973 gegen den 1. FC Köln. Weisweiler hatte seinen Superstar »aus rein sachlichen Gründen«, wie er behauptete, auf der Bank gelassen. Die Verbannung auf die Bank hatte aber wohl doch eher damit zu tun, dass Netzer zuvor seinen Wechsel zu Real Madrid bekannt gegeben hatte. Als es nach der regulären Spielzeit 1:1 stand, wechselte sich Netzer ohne Rücksprache mit dem Coach selbst ein. Der Rest ist Fußballgeschichte. Nach einem Doppelpass mit Rainer Bonhof schoss Netzer mit einem der schönsten Tore seiner Karriere den 2:1-Siegtreffer (in seinen eigenen Worten geschildert in Kapitel 18).
Idole, die auch als Sammelbildchen begehrt waren: die Gladbacher Stars Günter Netzer, Jupp Heynckes, Rainer Bohnhof und Berti Vogts.
Mit Netzer und Weisweiler trafen zwei ausgesprochen starke Charaktere, aber auch zwei extreme Sturköpfe aufeinander. Scherzhaft hatte Weisweiler mal gesagt: »Abseits is, wenn dat lange Arschloch mal wieder zu spät abgespielt hat.« Trotzdem war die Beziehung stets von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt voreinander gekennzeichnet und von großem Verantwortungsbewusstsein für das Gelingen der Arbeit auf beiden Seiten. Für den Trainer war Netzer der verlängerte Arm auf dem Spielfeld. »De Jünter« wusste, was der Coach wollte. Was natürlich nicht hieß, dass der alles widerspruchslos schluckte, was Weisweiler ihm auftrug. Und dann gab es schon mal Krach. Völlig überraschend hat sich Netzer immer wieder dafür stark gemacht, das Spiel der Gladbacher zu beruhigen, wie er das nannte. Im Grunde wollte er aber nur die Genehmigung dafür, Pausen einzulegen. Denn der Trainer wollte, dass es immer rauf und runter geht in diesem Spiel. Netzer monierte, dass das zwar gut aussieht, aber nicht durchzuhalten ist, so dass am Ende immer die Bayern den Titel gewinnen. Er wollte stattdessen einen gewissen Rhythmus ins Spielgeschehen bringen.
Funkstille zwischen Star und Trainer
Nach solchen kontroversen Diskussionen bemerkte man bisweilen Funkstille zwischen Star und Trainer. »Und dann herrschte Alarmstimmung«, hat der Gladbacher Kapitän einmal erläutert und diese aberwitzige Geschichte erzählt: »Die Mannschaft musste Runden laufen, während der Trainer, Berti Vogts in der Mitte und ich in einer Reihe nebeneinander hergingen. Weisweiler sprach dann über den ›Herrn Netzer‹ und ließ dem getreuen Berti Vogts auftragen, was er von mir wollte: ›Berti, sagen Sie dem Langen‹, hieß es dann, und der übermittelte die Anordnungen des Trainers an mich!« Und dann gab Netzer etwas Patziges zurück an Berti mit dem Auftrag, die Worte weiterzugeben. »Und Berti entgegnete: Das sage ich nicht!« Ein herrliches Theater, bei dem ich nur zu gern mal Mäuschen gespielt hätte, das aber auch etwas über das soziale Rollenverständnis der Führungsspieler damals aussagt. Eigentlich schade, dass davon heutzutage so gar nichts mehr zu finden ist.
Geb. 5.12.1919, gest. 5.7.1983
Stationen als Spieler:
VfB Lechenich
Kölner BC
Wacker München
1. FC Köln (62 Oberligaspiele)
Stationen als Trainer:
1948 – 1952: 1. FC Köln (Spielertrainer)
1952 – 1954: Rheydter SV
1954 – 1955: DFB (Assistent von Bundestrainer Sepp Herberger)
1955 – 1958: 1. FC Köln
1958 – 1964: Viktoria Köln
1964 – 1975: Borussia Mönchengladbach
1975 – 1976: FC Barcelona
1976 – 1980: 1. FC Köln
1980 – 1982: Cosmos New York
1982 – 1983: Grasshopper Club Zürich
Erfolge als Trainer:
Oberliga-Aufstieg 1949
(Spielertrainer)
Aufstieg in die Bundesliga 1965
Deutscher Meister 1970, 1971, 1975, 1978
Deutscher Vizemeister 1974
DFB-Pokalsieger 1973, 1977, 1978
UEFA-Cup-Sieger 1975
US-Meister 1980
US-Vizemeister 1981
Schweizer Meister und Pokalsieger 1983
Weisweiler war ein Perfektionist, den es immens wurmte, wenn es nicht nach seinen Vorstellungen lief. »Ich will immer den Erfolg und leide bei Niederlagen, ob nun beim Fußball, Tennis oder Ramschen. Und wenn ich glaube, ein Problem erkannt zu haben, brennt in mir die Ungeduld, bis es gelöst ist«, charakterisierte er sich selbst einmal. Und es nervte ihn eben kolossal, wenn sich Fußballkünstler wie Netzer manchmal für Defensivaufgaben zu schade waren oder aber wenn sie konditionell nicht auf der Höhe waren. Aber bei allem Flachs, das kam gar nicht oft vor, denn auch für Günter Netzer war Weisweiler trotz der gelegentlichen Auseinandersetzungen »der beste Trainer, den ein Spieler sich wünschen konnte. Er hat mich gemacht.«
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