Es hat sich in zweierlei Hinsicht eine »Verantwortungslücke« aufgetan. Zum einen gibt es keine Personen, die Verantwortung übernehmen könnten. Zum anderen erlaubt der Faktor Zeit, auf den Herbart hingewiesen hat, unverantwortliches Handeln. Man kann also in unserem Fall nicht sagen, dass irgendjemandem »die Zeit davonläuft«, vielmehr erlaubt die Zeit allen Tätern und Mittätern davonzulaufen. Erst mitlaufen, dann weglaufen – so machen es die, die es nachher nicht gewesen sein wollen. Wann sollte denn auch der richtige Zeitpunkt für eine kritische Überprüfung der Maßnahmen zur sexuellen Verfügbarmachung der Kinder sein? Wen sollte man dann für die seelischen Verwundungen verantwortlich machen?
Verantwortungslücken sind brandgefährlich; denn sie erlauben, wie es Günther Anders nennt, die »Möglichkeit zur unbestraften Unmenschlichkeit«, sie locken speziell Leute an, die so eine Chance nutzen wollen, um das auszuleben, was ihnen sonst untersagt wäre. »Schwärmer, wie bist du getäuscht, nimmst du die Menschen für gut!«, sagt Goethe in einer Zeile aus den Xenien .
Das Gute ist nicht selbstverständlich.
Das Böse schon. Es gibt einen Bodensatz von Feindseligkeit in jeder Beziehung, der durch besondere Umstände aktiviert werden könnte. Darauf hinzuweisen ist banal und müßig. Um das Schlechte und Böse zu vermeiden, müssen Verantwortungslücken sorgsam beobachtet und nach Möglichkeit geschlossen werden. An die neuen »Aufklärer« und »Befreier«, die oft selber keine Kinder haben und sich fremden Kindern zuwenden, müssen wir besonders hohe Ansprüche stellen, wenn uns das Kindeswohl etwas wert ist.
Ist es das? Den meisten Eltern gewiss, aber im Streitfall ist es ein Muster ohne Wert. Jugendämter und Gerichte agieren in einem unübersichtlichen Verschiebebahnhof von Zuständigkeiten: Da treten selbstgerechte Vereine und Interessengruppen auf, gelangweilte Richter (die sich hinter Gutachtern verstecken), teure Gutachter (die sich hinter Richtern verstecken), überforderte Prozessbegleiter (die sowieso nicht zuständig sind) und angeberische Rechtsanwälte (die ihr eigenes Geld verdienen wollen). Wenn ein Kind bei diesem grausamen Schauspiel den Eindruck hat, dass alle aus Eigeninteresse über seinen Kopf hinwegreden, dann trügt er nicht.
Das Kindeswohl ist in diesem Drama so etwas wie ein Joker und eine Karo Sieben zugleich. Einerseits sticht die Karte bei Familienstreitigkeiten, andererseits ist sie nichts wert. Familienrichter wissen, dass sie über das Kindeswohl substantiell nichts wissen können. Sie müssten eigentlich im Zweifel stets im Interesse der Kinder handeln und möglichen Schaden von ihnen abhalten. Doch gerade das tun sie nicht. Sie wissen, dass Scheidungen einem Kind Wunden zufügen; sie wissen, dass die Ausgrenzung eines Elternteils das Kind quält. Sie wissen, dass Prozessverzögerungen dem Kind schaden – und sie wissen, dass es letztlich um Geld geht.
Auch für die von der Politik abhängigen »Wissenschaftler«, »Experten« und Verfasser von Expertisen ist das Kindeswohl terra incognita . Es wird nicht einmal eine vorläufige Bestandsaufnahme gemacht. Wenn einzelne Studien bekannt werden, die das Elend dokumentieren, werden sie ignoriert. Wer wissen will, wie es Scheidungskindern geht und wie sich Kukkuckskinder fühlen, muss sich an Selbsthilfeorganisationen und private Initiativen wenden. Die Politik beschränkt sich darauf, Schaden anzurichten. Würde sie ihn zur Kenntnis nehmen, dürfte sie nicht mehr so weitermachen.
Ginge es nach dem Willen der Politik, dürften Kinder bei der Non-Stop-Sex-Party der Erwachsenen mitmachen, wenn sie auf ihre Kindheit verzichten, wenn sie sich sexualisieren und schon im Kindergarten auf ein »vielfältiges« Sexleben vorbereiten lassen. Neuerdings wird behauptet, Kinder hätten ein »Recht« auf Sexualität, es wird aber »vergessen«, dass sie zunächst einmal ein Recht auf Identität haben, ein Recht darauf zu wissen, wer der Vater ist.
Es wird so getan, als gäbe es die seriösen Forschungen zu dem Thema nicht mehr und als könnte man alles über Bord werfen, was Pädagogik und Psychologie hervorgebracht haben, alles, was man an Lehren aus der literarischen Überlieferung und der Geschichte – und aus den Erfahrungen unserer Eltern – ziehen könnte. Als könnten wir unser Schiff noch ein Weilchen vor dem Sinken bewahren, indem wir es leichter machen.
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