Kampfbereit galoppierte der Hengst an die Spitze, um seine Herde zu verteidigen. Ein fremder Geruch bedeutete immer etwas Unbekanntes, konnte Gefahr bedeuten.
Diesen Geruch aber kannte er. Hier war eine Gruppe junger Hengste gelaufen. Und das waren seine eigenen Söhne, die kurz vor Wirrus Geburt die Herde verlassen hatten und sich mitunter in der Nähe herumtrieben. Von ihnen drohte keine Gefahr. Im Gegenteil: Sie würden bei einem Angriff sogar zu Hilfe kommen. Auch sie waren auf dem Weg in die Bergregionen.
Der Hengst schnupperte aufmerksam. Die Spur roch nicht mehr frisch. Die Junghengste mußten schon vor längerer Zeit hier durchgezogen sein. Mit ein paar Sprüngen erklomm der Hengst eine flache Hügelkuppe und blickte sich um. Nirgendwo zeigte sich eine Bewegung.
Neugierig sog Wirru Luft durch seine Nüstern. Für ihn roch es hier nur nach Pferd. Die älteren Junghengste hatte er ja nicht mehr kennengelernt. Er wußte überhaupt nichts von anderen Pferden, kannte nur die Mitglieder seiner Herde, und er beroch den halbvertrockneten Dung.
Schließlich wurden ihm die Fliegen zu lästig, die summend den Dunghaufen umschwärmten. Unwirsch wackelte Wirru mit den Ohren, schlug heftig aus und versuchte sich mit den Hufen zu kratzen.
In diesem Augenblick bekam er von hinten einen sanften Stups. Der Hengst hatte ihn von der Hügelkuppe aus entdeckt, war zurückgelaufen und hatte ihn mit der Nase fürsorglich vors Hinterteil gestoßen. Säumige Fohlen duldete er nicht. Energisch trieb er ihn vor sich her zur Herde.
Folgsam galoppierte Wirru los und reihte sich hinter seiner Mutter ein. Unter ihrem wedelnden Schwanz fühlte er sich wohler. Und ihre langen Schweifhaare kitzelten angenehm seine Ohren.
Die Bergkette lag noch in weiter Ferne. Dazwischen erstreckte sich eine ausgedehnte Senke mit vereinzeltem Saksaulgesträuch. Weithin war die Landschaft übersehbar, schimmerte rötlich im Morgenlicht.
Wirru hatte sich satt getrunken und tobte mit den anderen Fohlen durch den nachtkühlen Sand. Die Großen weideten weit verstreut an spärlichen Grasinseln. Hartes Gras schmeckte Wirru noch nicht; er kostete nur ein wenig.
Spielerisch umkreiste er die kleine Stute, zog die Kreise immer enger, blieb dann vor ihr stehen, schnupperte an ihrer Nase und beknabberte behutsam ihren Hals. Mit seitlich nach hinten gehaltenen Ohren ließ sie es geschehen. Senja mochte Wirru als Putzkumpan. Vorsichtig beknabberte sie seine Flanke.
Doch viel Zeit blieb den beiden nicht. Plötzlich ertönte rasch näher kommendes Hufgetrappel. Der kleine Hengst galoppierte heran, schien die beiden umkreisen zu wollen, bog aber unverhofft ab und stieg wiehernd hoch auf die Hinterbeine. Von Körperpflege schien er nicht viel zu halten. Sarru wollte schon wieder raufen, entblößte seine Zähne und verpaßte Wirru einen Tritt.
Wirru reagierte blitzartig, bäumte kurz auf und schnappte nach Sarrus Ohr. Dabei verlor Sarru beinahe das Gleichgewicht, taumelte zur Seite und wandte sich zur Flucht.
Das gefiel Wirru. Fangspiele waren mehr nach seinem Geschmack. In gestrecktem Galopp jagte er hinter Sarru her. Die kleine Stute folgte ihm.
Sand und Steine wirbelten hoch: haarscharf an Wirrus Kopf vorbei. Wirru wich aus, überholte den kleinen Hengst seitwärts. So war er sicher vor Sarrus Hufschlägen. Sarru schien das zu wissen. Noch bevor Wirru an ihm vorbeiziehen konnte, änderte Sarru die Richtung und schlug einen Bogen.
Gerade wollte Wirru ebenfalls abbiegen, da zögerte er. Seinem scharfen Gehör entging nichts. In das Hufgetrappel mischte sich ein anderes Geräusch, noch weit entfernt, aber deutlich: ein dumpfes Brummen. Und am Horizont der Ebene erhob sich eine Staubwolke, wirbelnd im Wind, wuchs allmählich höher.
Witternd hob Wirru den Kopf, blähte die Nüstern, schwankend zwischen Neugier und Angst. Auch die kleine Stute hinter ihm blieb stehen, wartete offenbar, was Wirru tun würde. Sie wieherte leise.
Wirru zögerte noch immer. Die Staubwolke kam rasch näher, das Geräusch wurde lauter, das Brummen wuchs zum Dröhnen, klang bedrohlich. Und dann sah Wirru, was da heranrollte: ein unförmiges Gefährt, riesig in seinen Ausmaßen.
Wirru erschrak. So etwas hatte er noch nie gesehen: Es war ein Lastwagen, der über die staubige Piste schaukelte. Widerlicher Gestank wehte herüber, nahm ihm fast den Atem. Und Wirru schnaubte.
In diesem Augenblick ertönte hinter ihm ein unüberhörbarer Warnruf, vermischt mit dem Getrappel vieler Hufe. Der Hengst hatte sich an die Spitze seiner Herde gesetzt, um die Fohlen zurückzuholen. Er wußte um die Gefahr, und er kannte die Neugier der Kleinen.
Inzwischen dröhnte der Lastwagen heran, mahlte seine mächtigen Reifen knirschend durch den Sand, folgte einer ausgefahrenen Spur. Und die Spur führte in gerader Linie direkt auf Wirru zu.
Mit einem gewaltigen Satz sprang er zur Seite. Er spürte nur noch Angst. Dieses lärmende, stinkende Ding war ihm unheimlich. Und er jagte seine beiden Gefährten der heranstürmenden Herde entgegen.
Die Sonne verschwand hinter den hohen Bergkuppen im Westen, verbreitete ein diffuses Licht. Dämmerung senkte sich über das Land, den stetig ansteigenden Hang.
Allmählich gewann die kleine Herde an Höhe. Die Wüste lag weit zurück in der Senke. Hier oben dehnte sich Gebirgssteppe aus, hier war es kühler. Ein schmaler Bergbach plätscherte murmelnd über rundgeschliffenes Geröll.
Tagelang hatten die Wildpferde nur an den salzigen Tümpeln der Wüste ihren Durst löschen können, jetzt tranken sie gierig das klare Schmelzwasser. Wirru stand mit den beiden anderen Fohlen abseits. Er mochte nur Milch.
Neugierig streckte er seinen rechten Vorderhuf ins Wasser. Das fühlte sich kalt an, eisig kalt. Rasch zog er sein Bein zurück.
Wenig später überquerte die Herde den Bach. Wirru mußte mit allen vieren durch das eisige Naß. Und als er zögerte, scheuchte seine Mutter ihn unerbittlich vorwärts.
Wiehernd und spritzend planschte Wirru ans Ufer. Erst nach einem wilden Galopp fühlte er sich wohler. Dabei entfernte er sich ziemlich weit von der Herde.
Plötzlich stutzte er. Vor ihm wuchsen Schatten aus der Dämmerung. Und das war kein Gebüsch. Die Schatten bewegten sich, glitten fast lautlos auf ihn zu. Ein fremdartiger Geruch stieg ihm in die Nase. Instinktiv witterte Wirru die Gefahr. Im Galopp machte er kehrt.
Es war keinen Augenblick zu früh. Auch die Herde hatte die Gefahr erkannt: Wölfe! Blitzschnell bildete sie einen Kumpanenring, die Köpfe zur Mitte gewandt und die schlagkräftigen Hinterhufe nach außen. Wirru preschte durch eine für ihn offengelassene Gasse, die sich sofort hinter ihm schloß. Er schnaufte erleichtert. Hier im Kreis bei den anderen Fohlen fühlte er sich sicher.
Viel sah er nicht von dem, was außerhalb geschah. Aber er spürte die Erregung der Großen, hörte das Ausschlagen ihrer Hufe, das Aufheulen eines Wolfes, wenn der Tritt einer Stute ihn traf. Und er hörte den rasenden Hufschlag des Hengstes, der mitten unter das Wolfsrudel sprengte und mit seinen Vorderhufen tödliche Hiebe austeilte.
Mit einemmal ertönte durch das Kampfgetümmel fernes Hufgetrappel, das sich rasch näherte. Drei geschmeidige Gestalten glitten schräg hangabwärts. Es waren die Junghengste, auf deren Spur sie vor einigen Tagen gestoßen waren. Sie hatten sich auf dem Weg in die Berge ganz in ihrer Nähe aufgehalten und den Kampflärm gehört. Und sie waren bereit, ihre alte Herde zu schützen. Im gestreckten Galopp kamen sie dem Leithengst zu Hilfe.
Auch die Wölfe horchten auf. Ein paar von ihnen versuchten noch, den Schutzring der Wildpferde an anderer Stelle zu durchbrechen, um an eines der Fohlen heranzukommen. Doch sie schafften es nicht, gerieten plötzlich zwischen zwei Fronten.
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