August kommt mir entgegen, als ich über die Auffahrt radle. Es sieht so rührend aus, wie er angehinkt kommt und die rechte Vorderpfote in die Luft streckt. Wahrscheinlich tut es ihm weh, wenn er sie mit seinem ganzen Gewicht belastet.
Aber immerhin hat Großvater seine Pfote wieder zusammenflicken können. Das ist fast ein Wunder, wenn ich daran denke, wie die Pfote aussah, als sie in dem furchtbaren Tellereisen steckte. Dieses Bild von August im Wald, mit seiner Pfote in der Falle und all dem Blut, ist eine von meinen schlimmsten Erinnerungen.
Ich steige ab und kraule ihn hinter den Ohren. Dann schiebe ich mein Rad, damit er nicht so schnell gehen muss. „Hallo, August“, sage ich. „Wenn du gesund wärst, könntest du heute mitkommen. Wir wollen nach dem Pony schauen. Aber es ist zu weit für dich.“
Er sieht mich mit seinen goldenen Augen an und wedelt mit dem Schwanz. Früher war August überall mit dabei. Es macht mich traurig, dass wir ihn jetzt so oft zurücklassen müssen. Großvater sagt, ich soll froh sein, dass August überhaupt noch lebt.
Zum Glück ist Kathi, unsere Mutter, mit einem neuen Bild beschäftigt. Wenn sie malt, hört und sieht sie nichts anderes. Ich glaube, dann könnte einer von uns an ihr vorbeischlappen und den Kopf unter dem Arm tragen, ohne dass sie es bemerken würde.
Sie sitzt auf ihrem Klappstuhl in der Nähe des Komposthaufens vor der Staffelei und malt unser Haus mit den blühenden Schwertlilien drumherum.
Unser Vater ist nicht zu Hause. Nur Emma lungert auf der Hausbank herum, als Daniel und ich losradeln.
Natürlich will sie wissen, wohin wir fahren.
„Wir haben was zu erledigen“, brummelt Dani.
„Was denn?“, fragt Emma.
„Dieses und jenes“, sage ich.
„Wartet, ich komme mit!“
„Kein Bedarf!“, sagt Dani. Ich erinnere Emma daran, dass sie heute an der Reihe ist, bei den Pferden zu helfen.
August sieht uns traurig nach. Aber er versteht, dass er auf dem Hof bleiben muss, wir haben es ihm erklärt. Die Pferde kommen zum Koppelzaun, als wir durch den Obstgarten fahren. Lady wiehert leise, wie immer, wenn sie mich sieht. Sammy Langbein streckt seinen struppigen Kopf weit über das Gatter. Franzi scharrt aufgeregt mit dem Vorderhuf.
„Wir sind bald zurück!“, rufe ich ihnen zu. „Und Mick und Jenny kommen ja auch noch!“
Es ist ein ziemlich weiter Weg durch den Bärentalwald. Wir kommen nicht besonders schnell vorwärts, denn die Pfade sind holprig. Manchmal müssen wir die Räder schieben.
Auf einer Lichtung zeigt Dani mir die Stelle, wo er am Sonntag eine Springspinne fotografiert hat. „Die Springspinnen“, erklärt er, „machen Beute, indem sie sich an ihre Opfer heranschleichen und dann auf sie zuspringen. Sie sind total behaart und haben eine schwarze Augenmaske. Wenn sie groß wären, wären sie die perfekten Monster.“
Zweimal überqueren wir den Schwarzbach. Hier im Wald ist er noch nicht so breit und reißend wie unten im Tal, wo viele Quellen zusammenfließen. Wir hören den Kuckuck rufen und die Spechte hämmern. Drosseln singen, und irgendwo im Unterholz flötet ein Rotkehlchen. Der Wald ist wirklich ein wunderbarer Ort.
„Wenn ich mal sterbe, möchte ich im Wald begraben werden“, sage ich.
„Und ich möchte, dass meine Asche aus dem Flugzeug gestreut wird, hier über dem Bärental“, erklärt Dani.
Wir sind fast eine Stunde unterwegs. Dann kommen wir zu einem kleinen Tal, das Im Gründle heißt. Hier endet der Wald und geht in ausgedehnte Wiesen, Felder und sanfte Hügelketten über. Dazwischen sind immer wieder Gruppen von Büschen, Bäumen und Sträuchern wie kleine Inseln.
Wir holpern über einen Trampelpfad. Ein Dickicht aus Eichen und Brombeergestrüpp versperrt uns den Weg. Dann kommt eine große, mit Stacheldraht eingezäunte Wiese. Und mitten auf der Wiese steht ein Pony mutterseelenallein und hält den Kopf tief gesenkt.
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