»Och … sie kommt gleich«, flunkerte ich, obwohl ich wusste, dass sie im Klassenzimmer auf uns wartete. Die Sache war die, dass Konstantin vor Elli immer den Netten spielte.
Doch ich kannte sein wahres Gesicht. »Wolltest du nicht mit Erstklässlern spielen?«, fügte ich schnell hinzu, um vom Thema abzulenken.
»Heute nicht! Die kleinen Scheißer sind mir zu gut gelaunt.«
Nun stierte er uns an. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Wie die eines Hais, der gerade Blut gerochen hatte. »Was ist mit euch? Was treibt ihr zwei hier?«
»Wir … wir …«, stotterte ich.
»Wir wollten da rein«, erklärte Basti eilig. »Aber die Tür ist zu.«
Konstantin trat langsam auf uns zu. Einen Schritt, noch einen Schritt. »So, so. Ihr wollt also das Lehrerzimmer plündern?«
Basti und ich stolperten rückwärts. Einen Schritt zurück, noch einen Schritt zurück. Bis wir die Tür im Rücken spürten. Das war’s also. Nun würde uns Konstantin zu Apfelmus zerquetschen.
Ich griff nach Bastis feuchter Hand. Wenigstens musste ich nicht alleine sterben.
»Na dann. Zur Seite, ihr Popel«, befahl Konstantin auf einmal. »Und haltet eure Unterhosen fest. Jetzt rappelt’s nämlich.«
Er nahm Anlauf. Wie ein durchgeknalltes Walross schmiss er sich, den Kopf voraus, gegen die Tür. Sie gab sofort nach, als wäre sie bloß aus weicher Pappe.
Bastis Kinnlade klappte runter. »Was seine Eltern ihm wohl zu essen geben?«
»Egal, was es ist, auf jeden Fall bekommt er eimerweise davon.«
Konstantin streckte protzig den Kopf aus dem Lehrerzimmer. »Seid ihr fertig mit eurem Kaffeekränzchen?«
Um das Walross nicht zu verärgern, eilten wir schnell ins Zimmer. Und nachdem Konstantin sich der zweiten Tür gewidmet hatte, standen wir endlich in der fensterlosen, dunklen Kammer.
Konstantin ließ sein Feuerzeug aufleuchten, fand den Schalter und knipste das Licht an.
»Boah! Ich werd’ nicht mehr!« Das Walross pfiff verblüfft durch die Zähne. »Das ist ja der Wahnsinn!«
Aber nicht nur er machte große Augen. Ich blickte mich beeindruckt um. Die geheime Kammer war randvoll gefüllt mit Schätzen. Es fühlte sich an, als stünden wir im Lager des Weihnachtsmanns höchstpersönlich: Handys, Süßigkeiten, Spielsachen ÜBERALL. Mir blieb die Spucke weg. Der Anblick übertraf alles, was ich bisher gesehen hatte.
»Max, mach mal Räuberleiter«, rief Basti, »da oben ist mein Superman.«
Während wir beide unsere Sachen zusammensuchten, schleifte Konstantin einen gigantischen Pappkarton voller Böller und Raketen über die Türschwelle.
»Ha!«, grunzte er zufrieden. »Da haben sie also meinen Kram versteckt.«
»Was macht ihr denn da?« Ellis Stimme ließ Konstantin zusammenzucken. Verlegen strich er sich die verschwitzten Zotteln aus seinem roten Gesicht.
»Elli! Wie … wie schön, dass du da bist«, stammelte Konstantin. Seine tiefe Stimme wurde zu einem hohen Quieken. »Ich wollte dich gerade holen. Draußen gibt es gleich ein Riesenfest. Das solltest du dir nicht entgehen lassen.«
Als wir auf dem Schulhof ankamen, waren schon fast alle Schüler dort versammelt. Sie jubelten, tanzten und sangen Lieder. Keiner von den Lehrern schien sich daran zu stören. Ganz im Gegenteil. Frau Hoppe zündete jetzt gemeinsam mit Konstantin Böller, und Herr Nimmerfroh verteilte neben den Toiletten Kinderpunsch. Sogar Frau Besserdich hatte sich ans Lagerfeuer gesetzt und starrte mit einem seltsam abwesenden Grinsen in die Flammen.
Den Höhepunkt des Spektakels kündigte Konstantin mit einer kurzen Rede an: »Wir sind die Lichter! Lasst uns die Welt erleuchten!«
Ich rollte angewidert mit den Augen. Hatte er das aus einem Poesiealbum? Meine Oma besaß auch so eins, aus dem sie ständig vorlas.
Alle jubelten und klatschten. Staunend sahen wir hoch, als Raketen den strahlend blauen Himmel in eine bunte Explosion verwandelten.
Eine seltsame Wärme breitete sich in meinem Inneren aus und ich legte zufrieden meinen Arm um Bastis Schulter. Was für ein Tag! Und es wurde noch schöner, als ich bemerkte, dass Elli mich anlächelte. Während mein Herz plötzlich Purzelbäume schlug, lächelte ich zurück. Solche Freunde an seiner Seite zu haben, war wirklich das Beste auf der Welt.
Und eines musste ich zugeben: Konstantin war zwar das fieseste Kind, das ich kannte, doch für einen Augenblick, wirklich nur für eine mikroskopisch kurze Millisekunde, war ich froh, ihn jetzt hier zu haben.
Alles dreht am Rad
Nach der Schulhofparty beschlossen meine Freunde und ich, in den Stadtpark zu gehen. Dort wollten wir in Ruhe den Rest unseres freien Tages planen. Endlich durften wir all die Sachen machen, für die unter der Woche nie Zeit war. Wir konnten bis zum Umfallen spielen, die Grube für unser Versteck im Wald ausbuddeln, die Bürgermeisterwahlplakate mit Schnurrbärten dekorieren, bis tief in die Nacht am Computer zocken. Wir hatten ja nicht einmal Hausaufgaben auf! Was auch immer in der Schule los war, von mir aus hätte es die ganze Woche so bleiben können. Oder den ganzen Monat. Besser noch bis zum Ende des Schuljahres. Oder einfach für immer. Falls die verschwundenen Uhren etwas damit zu tun hatten, durfte der Dieb niemals geschnappt werden!
»Ich muss euch etwas erzählen«, setzte ich an. Meine Freunde saßen auf der Holzbank im Schatten einer großen Buche, während ich nachdenklich vor ihnen auf und ab marschierte. »Ich glaube, dass derselbe Dieb, der in der Schule die Uhren geklaut hat, heute Nacht auch bei uns zu Hause eingebrochen ist.«
Elli sah mich mit großen Augen an. »Bei uns haben heute Morgen auch alle Uhren gefehlt«, erzählte sie. »Ich hab aber nicht weiter darüber nachgedacht, weil ich viel zu sehr mit meinen Eltern beschäftigt war. Ihr hättet sie mal sehen sollen! So habe ich sie wirklich noch nie erlebt.« Elli klang besorgt und ein wenig traurig.
»Die kriegen sich bestimmt bald wieder ein«, beruhigte ich sie. Dass ich meine Eltern zur Abwechslung mal echt cool fand, erwähnte ich lieber nicht. Und sooo besonders war das ja nun auch nicht, schließlich waren meine Eltern nicht immer nervig. Nur unter der Woche und an Sonntagen. Aber ganz besonders an Montagen. Und manchmal, so vier- oder fünfmal im Monat, erwischte es auch mal einen Samstag. Aber sonst, an all den anderen Tagen, waren sie eigentlich echt in Ordnung.
Ich beobachtete, wie Basti seinen Unterarm anstarrte. Er blinzelte. »Verdammt! Meine Armbanduhr ist auch weg! Die lass ich sogar beim Baden an. Meine Eltern rasten aus.«
Nun musste ich mich setzen. Irgendwie wurde mir plötzlich etwas mulmig im Bauch. Eine Uhr von der Wand zu mopsen, war ja eine Sache, aber eine Armbanduhr zu klauen, war da doch eine andere Hausnummer. Das ging wortwörtlich an die Haut.
Waren die ritterlichen Absichten des Diebes doch nicht so ritterlich? Meinen besten Freund so schamlos zu bestehlen, ging nämlich zu weit.
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