Pastor Hinrichsen verstand von Geldgeschäften und Spekulationen ungefähr ebenso viel wie Bankier Markwalder von dem Beruf des Pastors.
Ein Unterschied war da freilich: Bankier Markwalder war sich über die Pflichten Hinrichsens wohl klar, aber auch über einen Fehler, den er besass: er wollte nie die schlechten Seiten der Menschen sehen. Erkannte er sie, so täuschte er sich geflissentlich darüber, und so kam er auch gar nicht auf den Gedanken, der Berliner Bankier könnte mit seinen Vorschlägen persönliche Vorteile verfolgen.
Seit zwanzig Jahren war Hinrichsen kaum über die Gemarkung seiner Gemeinde hinausgekommen. Die Zeitungen, die er las, brachten wenig oder nichts von dem gewaltigen Wettkampf, der dort draussen im Reich, in dem grossen Berlin unter ungeheurer Anstrengung aller Kräfte tobte. Er wusste nichts von dem Spekulantentum und Gründerwesen. Er sah nur die Erfüllung seines zwanzigjährigen Traumes: die neue Kirche!
Er sagte damals:
„Herr Markwalder, über das Geld, das meine Gemeinde mir anvertraut hat, darf ich, so gut und schön der Zweck auch ist, nicht nach Belieben verfügen. Aber ich selbst besitze zehntausend Mark. Das Geld ist teils ererbt, teils haben ich und meine selige Frau es in mancherlei Entbehrungen für unsere Tochter Hedwig erspart. Diese zehntausend Mark müssen dem Kinde erhalten bleiben. Was Sie aber damit verdienen können — wenn Sie wirklich so schön an unserer Gemeinde handeln wollen — das möchte ich zu dem Kapital legen, das für den Kirchbau bestimmt ist.“
Romeo Markwalder hatte die Unterlippen vorgeschoben und den Kopf gewiegt. Dann hatte er mit seinen kleinen, forschenden Augen, die die Menschen zu durchdringen schienen, den Pfarrer angesehen und schliesslich gesagt:
„Gut, Herr Pastor! Wir sprechen später noch darüber!“
Das war vor zwei Jahren gewesen. Romeo Markwalder hatte mit diesem Gelde, wie mit allen Einlagen seiner Kunden, waghalsig spekuliert. Mit Glück spekuliert, denn er zahlte fünfzehn, manchmal siebzehn Prozent, ja, er stellte mehr in Aussicht. Dass er nebenbei verlor, dass manche seiner Unternehmungen missglückten und dass die Kapitalien, aus denen er teilweise diese hohen Zinsen bezahlte, langsam verschwanden, darum wusste natürlich niemand.
Pastor Hinrichsen hatte nicht einmal die Zinsen genommen. Er begnügte sich mit den Abrechnungen und schrieb jedes Jahr nach Berlin:
„Legen Sie das Eine zum Anderen.“
In ein paar Jahren würde sich das Geld verdoppelt haben. Dann konnte Markwalder schon mit Zwanzigtausend operieren. In Pastor Hinrichsens Phantasie wuchsen die Zahlen schneller noch, als der gewagteste Zinsfuss sie vermehren konnte, und immer näher rückte die Erfüllung seines heissen Wunsches: die neue Kirche. Da kam nun Romeo Markwalder plötzlich ganz unangemeldet angereist. Gott sei Dank, es war also nichts zu befürchten. Denn heimlich fürchtete Pastor Hinrichsen manchmal doch, es könnte mit den Abrechnungen Romeo Markwalders nicht ganz seine Richtigkeit haben. Nicht, dass er auf den Gedanken gekommen wäre, der Bankier könnte ihn absichtlich betrügen.
Aber er konnte sich doch täuschen! Es konnten Ereignisse eintreten, die stärker waren als er.
Romeo Markwalder aber war bester Laune. Er goss sich schon von der zweiten Flasche Wein ein.
Sein Gesicht war gerötet. Dass seine unruhigen Augen noch ruheloser geworden waren, entging Hinrichsen.
„Wissen Sie, Pastor, dass wir nun über Nacht reich werden können?“
Seine Augen hatten einen fieberhaften Glanz. Der Pfarrer lächelte.
„Wirklich?“
„Wirklich — das sagen Sie, Pastor Hinrichsen, als ob es sich rein um nichts handelte!“
„Was hätte ich davon, wenn ich reich wäre, Herr Markwalder? Meine Gemeinde würde mir dann eher misstrauen, als nach wie vor ihre Zuneigung bewahren. Ich vertrete Gott und bin bemüht, den göttlichen Gedanken meiner Gemeinde zu übermitteln, ihn wach zu halten Jahr um Jahr. Was sollte mir dabei der Reichtum?“
Romeo Markwalder blinzelte listig:
„Aber die Kirche, Herr Pastor!“
„Ja, die Kirche!“
Pastor Hinrichsen legte die Hände ineinander, schloss ein wenig die Augen und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
Die neue Kirche!
Romeo Markwalder fuhr rasch fort:
„Hören Sie, lieber Pastor, ich habe Ihretwegen die Strapazen der Reise nicht gescheut und bin ohne weitere Veranlassung von Berlin nach F. gefahren. Das bedeutet doch immerhin etwas, nicht wahr? Dann der letzte Teil der Fahrt im Bummelzug und dann mit dem Wagen, das sind für einen Menschen, der gewohnt ist, täglich mit der Geschwindigkeit der Zeit in Wettbewerb zu treten, Opfer der Geduld.“
„Ich bin Ihnen auch sehr dankbar, Herr Markwalder,“ entgegnete Hinrichsen ehrlich. „Es muss Sie etwas ganz Besonderes hierher geführt haben....“
„Na freilich! Das ist es doch gerade! Haben Sie mich denn noch nicht verstanden, Pastor? Geld ist zu verdienen! Zu scheffeln ist das Geld! Zu verzehnfachen! Irgendwo da in Sigmaringen ist Kohle entdeckt worden. Ein Unternehmer hat begonnen, ein Bergwerk abzubauen, aber nicht das nötige Kapital zur Durchführung gehabt. Nun aber birgt das Bergwerk ungeheure Schätze. Heute sind die Kuxen um siebzig zu kaufen! In acht Tagen, lieber Pastor, wenn erst die Grube richtig in Betrieb gesetzt wird und die Welt erfährt, welche Schätze da unten lagern, kosten sie hundert, und in vierzehn Tagen einhundertfünfzig, ja, ich behaupte —“ hier schlug Bankier Markwalder mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Gläser zitterten — „ich behaupte, die Kuxen steigen auf zweihundertfünfzig! Können Sie rechnen, Pastor Hinrichsen, he? Siebzig und zweihundertfünfzig — ein Unterschied, was?“
„Ja, aber ....“
„Nichts aber, lieber Pastor. Sie müssen Ihre Kirche bauen — entweder, oder. Trommeln Sie morgen Ihre Gemeinde zusammen, legen Sie ihr das Problem vor! Markwalder, derselbe, der lumpige zweitausend Mark gestiftet und gerne mehr getan hätte, wenn die Zeiten nicht so schlecht wären, ist selber hier. Die Gemeinde soll das bis jetzt gesammelte Kapital in Sigmaringer Kuxen anlegen. Ich werde die Sache vermitteln. Wieviel Kapital ist denn vorhanden, Herr Pastor?“
„Bis jetzt neunundachtzigtausend und etliche hundert Mark.“
„Wenig, wenig! Damit wollen Sie eine Kirche bauen? Wollen warten, bis das Geld auf den Schneckenfüssen des heutigen Zinsfusses wächst? Darüber sinken Sie ins Grab, Pastor! Rechnen Sie aus: neunundachtzigtausend, angelegt in Kuxen zu siebzig — in zwei, drei Monaten zweihundertfünfzig! Donnerwetter, das ist doch ein Fortschritt!“
Pastor Hinrichsen schwindelte es. Die Zahlen tanzten vor seinen Augen und nahmen rätselhafte Dimensionen an. Er schämte sich beinahe, Markwalder noch weiteren Widerstand entgegenzusetzen, der ihm als Starrsinn ausgelegt werden musste. Der Bankier hypnotisierte ihn förmlich. Es war auch zu verlockend ... da würde man ja mit der Kirche schon bald beginnen können! Hinrichsens Brust weitete sich und spannte sich in tiefer, hehrer Freude. Er sah das Gotteshaus wachsen und wachsen ....
„Hier, meine Hand, Herr Markwalder. Die Gemeinde ist zwar vorsichtig — der Herr Bürgermeister wird wohl Unterlagen von Ihnen fordern —“
„Ist ja alles da. Ist ja da!“ Markwalder sah an dem Pfarrer vorbei. —
Am nächsten Tage trug Pastor Hinrichsen in einer Versammlung des Gemeinderats das Projekt vor. Der Bürgermeister war auch nur ein einfacher Bauer. Aber so viel wusste er, dass dort oben in Berlin das Geld förmlich aus der Erde wuchs. Dass die Millionen kreisten und dass, wer es verstand, rechtzeitig aus diesem unversiegbaren, goldenen Brunnen zu schöpfen, märchenhaft reich werden konnte.
Schade, dass sein Kapital in Feldern und reichem Viehstand angelegt war! Spekuliert hätte er längst für sein Leben gern! Und was das auf der Deutschen Bank deponierte Geld für den Kirchbau anbelangte —
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