1 ...7 8 9 11 12 13 ...24 „Wo bist du?“, fragte Angelo.
„Ich bin in Louisville.“
Angelo fragte: „Wie willst du dann hierherkommen?“
„Ich komme mit dem Auto,“ antwortete mein Bruder.
Also fuhr er den ganzen Weg nach Miami, eine Fahrt von 15 Stunden, doch in Muhammads Augen war es das allemal wert.
Am nächsten Tag, es war ein Sonntagmorgen, machte sich Muhammad auf den Weg ins berühmte 5th Street Gym. Angelos kleiner Sohn Jimmy kam sonntags mit seinem Vater immer mit ins Studio. Als die Dundees um 10 Uhr vormittags ankamen, sahen sie Muhammad geduldig auf den Stiegen sitzen und warten. Jimmy war von meinem Bruder sofort beeindruckt.
Zusammen gingen sie dann die Treppe hoch ins Boxstudio, wo Angelo meinem Bruder die bescheidene Trainingshalle zeigte. Muhammad überraschte Angelo damit, als er meinte, dass er gerne ein Sparring haben würde und einen Kampf am Dienstag – zwei Tage nach der Marathonfahrt. Angelos Bruder Chris, der ein Promoter war, sollte den Kampf ansetzen. Muhammad wollte natürlich unbedingt die verlorene Zeit aufholen. Also ließ Angelo ihn mit Willie Pastrano und einer Handvoll anderer Schwergewichte sparren.
Es war eine Sparring-Session, an die sich alle erinnern sollten, und eine weitere Demonstration der frühen Genialität meines Bruders. Um ehrlich zu sein, versohlte mein Bruder Willie und Angelos anderen jungen Schwergewichten ordentlich den Hintern. Er war einfach genial im Ring. Beeindruckt von Muhammads ausgezeichneter Vorstellung, drehte sich der Coach zu seinem Starschüler Willie – der ja immerhin Weltmeister im Halbschwergewicht war – und sagte zu ihm: „Du hattest einen schlechten Tag. Du gehst besser nach Hause. Du bist müde.“
Muhammad wollte dem Coach einfach unbedingt zeigen, was er zu bieten hatte. Normalerweise schonte er seine Trainingspartner, doch diesmal war er vollgepumpt mit Adrenalin und wollte sein Können zeigen. Er nahm daher keine Rücksicht auf seine Sparringspartner und nahm sie ziemlich her.
Sein neuer Coach hatte schnell erkannt, was hier abgelaufen war, und nannte meinen Bruder „the best kid“, also den besten Jungen. Das war aber nicht das Ende des ersten Aufenthalts meines Bruders in Miami. Nach dem ersten Training trafen sich Muhammad sowie Angelo und Jimmy mit Freunden zum Mittagessen in einem Lokal am Ende der Straße. Angelo war ganz begierig darauf, seinen Freunden seinen neuen Olympiahelden vorzustellen. Als die drei das Lokal betraten, starrte der Mann hinter der Theke Muhammad finster an und sagte: „Wir haben hier keine Neger.“
Danach folgten dann noch viel schlimmer Beleidigungen, die meinem Bruder überhaupt nicht gefielen. Es war, als hätte ein Außerirdischer das Lokal betreten. Man hätte es Muhammad nicht verübeln können, wenn er diesem Mann Manieren beigebracht hätte, doch in diesem Moment griff Angelo ein.
„Wir wollen ja auch keine haben“, sagte er und blickte dem Mann dabei in die Augen. „Wir wollen Hamburger. Wir setzen uns jetzt hier hin und essen in Ruhe zu Mittag.“
Damit war der Punkt erreicht, an dem auch der Kellner nicht mehr viel dagegen tun konnte. Es war in seinem eigenen Interesse, ein Auge zuzudrücken und den Mund zu halten. Nach dieser unerfreulichen Begegnung setzten sich alle und aßen, und Muhammads Coach stellte ihn mehreren seiner Freunde vor.
Aufgrund der Rassentrennungsgesetze war es nicht einfach, eine Unterkunft für Muhammad zu besorgen. Bevor sein neuer Coach ein Quartier für ihn fand, wohnte Muhammad erst im Mary Elizabeth und dann im Sir John Hotel in Overtown, einem ausschließlich Weißen vorbehaltenen Stadtteil. Angelo machte sich um das Wohlergehen meines Bruders Sorgen, und das hatte auch seinen Grund. Allein die Anwesenheit eines Farbigen in einer solchen Gegend reichte aus, um ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und mein Bruder gehörte nicht gerade zu den Menschen, die sich unauffällig verhielten.
Schließlich fand Angelo eine Unterkunft für ihn in der 7th Avenue und 118th Street, die gleich um die Ecke von Angelos Wohnung war. Ein graues, ebenerdiges Haus mit einem kleinen Garten nach vorn und hinten raus. Nicht gerade eines Olympiasiegers würdig. Aber selbst dann endeten die Probleme aufgrund seiner Hautfarbe nicht. Wenn Muhammad als Teil seines Trainingsprogramms zum Studio lief, wurde er immer wieder von der Polizei aufgehalten. Angelo erhielt fast täglich Anrufe von der Polizei, die alle sehr ähnlich klangen. Sie glaubten meinem Bruder nicht, dass er im berühmten 5th Street Gym trainierte, und bestanden darauf, seine Geschichte zu überprüfen.
„Angelo, boxt der junge Mann für dich?“, fragte der Polizist am anderen Ende der Leitung.
„Ja, das ist einer von meinen Jungs“, antwortete dann Angelo manchmal schon verärgert. „Lasst ihn bitte zum Training gehen.“
Miami war nicht gerade besser als andere Orte in den Vereinigten Staaten, wenn es um Vorurteile ging, doch Gott sei Dank wohnte mein Bruder in der Nähe von Angelos Haus. Als dann ihr Verhältnis immer besser wurde, verbrachte Muhammad jeden Feiertag mit der Familie Dundee.
Ich war in meinem letzten Schuljahr, als mein Bruder den Vertrag mit der Louisville Group unterzeichnete und nach Miami Beach übersiedelte. Nachdem er ins Profilager gewechselt war, gab er einen großen Teil seines Geldes, das er von dem Konsortium aus Louisville erhielt, dafür aus, unseren Eltern ein neues Heim zu kaufen. Mutter hatte oft über die Dinge gesprochen, die sie gerne gehabt hätte – darunter auch ein neues Haus. Ich erinnere mich noch genau daran, wie glücklich unsere Mutter war. Nun konnte sich unsere Familie den einen oder anderen Luxus leisten, da mein Bruder eine erfolgreiche Zukunft vor sich zu haben schien. Es dauerte nicht lange, und Muhammad holte mich zu sich nach Miami. Trotz seines engen Verhältnisses mit den Dundees hatte mein Bruder kaum jemanden, dem er vertrauen konnte, und so holte er mich 1962 zu sich, da er jemanden aus der Familie um sich haben wollte. Für meinen Teil muss ich sagen, dass ich bis dahin nie einen ordentlichen Job hatte, und so ergriff ich die Gelegenheit mit beiden Händen. Meine erste Aufgabe war es, ein Mitglied von Muhammads Entourage und seinem Team zu sein. Unnötig zu erwähnen, dass ich sofort meine Koffer packte und bei ihm einzog. Ich lebte mich schnell bei meinem Bruder ein. Muhammad und ich verbrachten unsere Freizeit oft damit, im Wohnzimmer zu sitzen, Filme anzuschauen und uns zu entspannen. Um spätestens 11 Uhr nachts waren wir dann meist im Bett, da wir ja schon früh am Morgen rausmussten, um das Lauftraining zu absolvieren.
Neben seiner Geduld im Umgang mit der Polizei war Angelo genau das, was mein Bruder brauchte. Er war ein wunderbarer Mensch, der die Herzlichkeit eines Lieblingsonkels mit einem ans Übernatürliche grenzenden Verständnis für die Psyche eines Boxers in sich vereinte. Er schaffte es, in die Köpfe seiner Schützlinge zu sehen und sie dazu zu bringen, Dinge zu vollbringen, ohne dass sie etwas davon mitbekamen, was genau das war, was mein Bruder zu diesem Zeitpunkt in seiner Karriere benötigte. Muhammad war immer dickköpfig gewesen, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, und so musste Angelo Mittel und Wege finden, ihn davon zu überzeugen, dass alles, was er tat, seine eigene Idee war. Angelo verbrachte viel Zeit damit, Muhammad zu manipulieren und ihm vorzugaukeln, dass er selbst die Entscheidung traf, mehr oder weniger zu trainieren, an einem bestimmten Schlag zu arbeiten oder sonst etwas. Wenn er wollte, dass mein Bruder mehr Uppercuts schlagen sollte, dann lobte er ihn für das eine Mal in der Runde, als er einen schlug, und in der nächsten Runde schlug Muhammad dann vielleicht sogar ein halbes Dutzend.
Eine meiner Lieblingsanekdoten über Angelo hat allerdings mit einem anderen Boxer zu tun, den er zur selben Zeit wie meinen Bruder trainierte. Dieser Boxer hatte sein Selbstvertrauen in seine Schläge verloren und dachte, seine Schläge wären einfach nicht mehr hart genug. Wie wahrscheinlich jeder Boxer weiß, sind solche Zweifel pures Gift – wenn du dir nicht mehr zutraust, hart genug zu schlagen, traust du dir auch keinen Schlagabtausch mehr zu, und du gehst unter. Eines Tages also, vor Beginn des Trainings, lockerte Angelo die Verankerung an der Boxbirne, und als der besagte Boxer das erste Mal zuschlug, löste sich die Schraube, und die Boxbirne flog in hohem Bogen durch die Halle. Der verdutzte Boxer dachte, sein Schlag wäre wieder so richtig explosiv, und boxte von nun an wieder voller Selbstvertrauen.
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