Bringen Farbe in den tristen Gelsenkirchener Alltag: Trainer Rudi Gutendorf und seine attraktive Frau Ute.
Am Ende beweisen die Gastgeber die bessere Orientierung, gewinnen das Spiel 2:1. In der Kabine ist Norbert Nigbur erstaunt über das Trikot von Klaus Scheer: „Wovon bist du eigentlich so dreckig?“ Dem Torwart war – mangels Sicht – völlig entgangen, dass Scheer zehn Minuten vor Schluss eingewechselt worden war. Die Wut über die Niederlage lässt die Mannschaft noch in der kleinen stickigen Kabine schwören: „Im Rückspiel kriegen die zehn Stück.“ Es werden immerhin drei.
In Runde zwei fällt gegen IFK Norrköping aus Schweden ein einziges Tor. Klaus Scheer erzielt es im Rückspiel, bei dem auch Aki Lütkebohmert mittun darf. Gutendorf setzt den Bundeswehrsoldaten immer häufiger im Mittelfeld ein. Mit dem 3:1-Sieg bei Dinamo Zagreb gelingt im Hinspiel des Viertelfinales eine echte Sensation. Grund genug eigentlich, die Tassen hochzuheben. Stattdessen kommt es zum Eklat. Nach dem Schlusspfiff poltert Günter Siebert in die Kabine rein, droht dem Trainer vor der versammelten Mannschaft lautstark mit Rauswurf.
Was war passiert? Gutendorf soll Siebert auf der Trainerbank als „Schwein“ beleidigt haben. Später nach der Landung auf dem Düsseldorfer Flughafen sieht sich der Trainer genötigt, zu schwören, dass er Siebert nicht beleidigt habe. Wohl aber habe ihm Siebert ständig in taktische Dinge hineingeredet, habe unter anderem nach Erlhoff und Lütkebohmert mit Galbierz noch einen dritten Einwechselspieler gefordert. Gutendorf fürchtet um seine ohnehin bereits stark lädierte Autorität. Am darauffolgenden Freitagabend, den 6. März 1970, wird der Streit nach einer dreistündigen Sitzung von Vorstand und Verwaltungsrat offiziell beigelegt. Der bedauernswerte Beinbruch von Verteidiger Klaus Senger sowie die besondere Bedeutung des Spiels hätten die ungewohnte Nervosität verursacht. Beide Seiten garantieren – offiziell – weiterhin harmonische Zusammenarbeit.
Das Rückspiel gewinnt Schalke 1:0. Wieder ist Klaus Scheer der Siegtorschütze, wenn auch kein astreiner. Sein ohnehin nicht mehr entscheidender Treffer hätte gar nicht zählen dürfen. Durch ein Loch im Netz findet der flach geschossene Ball knapp neben dem Außenpfosten den Weg ins Tor. Viele haben’s gesehen, der rumänische Schiedsrichter nicht.
Sei’s drum. Schalke steht im Halbfinale. Angesichts des größten internationalen Erfolgs der Vereinsgeschichte glätten sich die Wogen im Machtkampf Präsident gegen Trainer. Vorübergehend. Der Spielerrat wird bei Siebert vorstellig. Der Präsident soll eine Prämie fürs Erreichen des Halbfinales locker machen. Schon für den Einzug in den Wettbewerb hatte Siebert nichts zahlen wollen. Nach zähem Ringen bewilligte er 500 Mark pro Mann. Jetzt ist’s immerhin das Doppelte. Im Schneeregen des 1. April bezwingen die Schalker Manchester City durch ein Libuda-Tor mit 1:0. Siebert erhöht den Einsatz für den Fall, dass die Sensation, der Einzug ins Finale, gelingt. Von 5.000 Mark, der höchsten je auf Schalke gezahlten Prämie, ist die Rede. Er kann sich sein Geld sparen.
Vorher aber noch sorgen zwei äußerst schwache Darbietungen in der Bundesliga für reichlich Gesprächsstoff. Beim 1:3 in Hannover taucht erstmals das Wort „Schiebung“ im Zusammenhang mit einem Schalker Spiel auf. Gutendorf und die Spieler weisen die Vorwürfe weit von sich. In der Presse kommt besonders Aki Lütkebohmert schlecht weg. In wenigen Tagen würde er seinen Wehrdienst nach insgesamt 18 Monaten beenden. Für Siebert und Gutendorf steht jetzt – ausnahmsweise mal unisono – fest: Aki wird seine Form steigern und in Zukunft noch Großes für Schalke leisten. Siebert ist diese Überzeugung eine Vertragsverlängerung um zwei Jahre und ein Handgeld in Höhe von 40.000 Mark wert. Noch aber ist nichts unterschrieben. Und noch ist Aki nicht in der Lage, das in ihn gesetzte Vertrauen zurückzuzahlen.
Auch nicht eine Woche später. Beim Heimspiel gegen den HSV muss er wieder als Linksaußen ran. Diesmal quittieren die 10.000 verbliebenen Schalker Fans die müde Vorstellung der Mannschaft mit „Aufhören, Aufhören“-Rufen. In der 62. Minute greift Gutendorf zu einer unkonventionellen Maßnahme. Er lässt den Stadionsprecher eine Entschuldigung sprechen: „Haben Sie doch bitte Verständnis dafür, dass unsere Mannschaft innerhalb von 50 Tagen ihr 18. Spiel austrägt!“ Die Durchsage geht im Hohngelächter unter. Das Spiel endet 1:1.
Doch damit an schlechter Stimmung noch nicht genug vorm historischen Rückspiel in Manchester. Eine Woche zuvor, beim Freundschaftsländerspiel Österreich gegen CSSR, verletzt sich Hansi Pirkner so schwer, dass er fürs Rückspiel in England ausfällt. Der DFB hatte Pirkners Freistellung für Schalkes DFB-Pokalspiel am folgenden Tag in Alsenborn ausgehandelt. Siebert hatte gegen Gutendorfs Willen Verzicht geäußert, sonnte sich dafür jetzt in Zeitungs- und Fernsehinterviews als Zuschauer im Wiener Praterstadion. In der folgenden Nacht platzt dem Präsidenten auf der Rückfahrt vom 5:1-Erfolg in Alsenborn bei Tempo 170 auf der Autobahn ein Reifen seines Autos. Mit an Bord: Klaus Fichtel. Die beiden haben riesiges Glück im Unglück. Ob das der Grund ist, weshalb sich der Nationalmannschaftsverteidiger vorm Abflug nach England auf dem Düsseldorfer Flughafen noch mit dem Western-Bestseller Das letzte Gefecht eindeckt? Vielleicht ahnt Fichtel aber auch einfach nur, was ihn und die Mannschaft in Manchester erwartet.
Sein Zimmernachbar in Sportschulen und Hotels hätte den Abflug beinahe verpasst. Als Aki Lütkebohmert seinen nagelneuen BMW am Flughafen parkt, rollt der Mannschaftsbus bereits an ihm vorbei. Aki kommt direkt aus der Kaserne, muss seinen Koffer zum Abfertigungsgebäude selbst schleppen. Im Spiel hat dies keine besonders negativen Auswirkungen. Als Aki das Spielfeld nach gut einer Stunde betreten darf, ist das letzte Gefecht der Europacup-Saison bereits verloren.
Dass es so kommt, hat sich schon vorm Spiel angedeutet. Dabei werden die Königsblauen vor Ort herzlich empfangen – von der deutschen City-Legende Bert Trautmann. Obwohl Manchester City an der heimischen Maine Road seit fünf Spielen sieglos und in der Tabelle nur Zwölfter ist, warnt Trautmann ausdrücklich. Von den kleinen Tricks im Vorfeld des Spiels verrät der einstige Torhüter aber nichts. Als Schalkes Spieler eine Stunde vorm Spiel die Kabine betreten, herrscht darin Sauna-Atmosphäre. Die Engländer haben Stunden vorher die Heizungen hochgedreht. Schon nach dem Umziehen sind die Schalker Spieler klitschnass. Ein Schicksal, das auch den Platz ereilt hat. Der ist offensichtlich kurz zuvor geflutet worden. Not very British, das Ganze. Nach dem Spiel wartet die Mannschaft vergeblich auf das bei Auswärtsreisen übliche späte Abendessen. Im Hotel ist die Küche zu. Die Spieler gehen hungrig ins Bett.
Eigentlich sollte ihnen der Appetit aber auch vergangen sein. Angesichts der 90-minütigen Vorführung. Nach 27 Minuten steht es bereits 3:0 für Manchester. Der City-Stürmer mit dem Musikernamen Neil Young bläst Schalke gehörig den Marsch. Gegenspieler Slomiany vergeht schnell Hören und Sehen. Rudi Gutendorfs PR-trächtiger Englischunterricht zwei Tage vorm Spiel in der Sportschule Wedau ist nicht von Erfolg gekrönt. Was auch daran liegt, dass der Lehrer seinen Schülern die entscheidende Vokabel vorenthalten hat: Positionswechsel. Dass bei Manchester alle zehn Feldspieler wild durcheinanderlaufen, Slomiany sich plötzlich im Mittelfeld wiederfindet, van Haaren in der Abwehr und Erlhoff im Sturm, damit hat keiner gerechnet. Am wenigsten Schalkes Trainer.
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