Am folgenden Tag nahmen Helle und ich Abschied voneinander. Durch allerlei Kanäle hatten wir erfahren, daß die Polizei mit ihr reden wollte. Natürlich wünschten sie sich auch ein nettes Plauderstündchen mit mir, aber bis auf weiteres gaben sie das alles als pure Routine aus.
Die Zeitungen schwelgten noch immer in phantastischen Geschichten. Offenbar vermißten die dänischen Kriminalredaktionen schmerzlich schwerere Kriminalität. Irgend etwas mit Mafia oder so. Meine Aktion mußte ihnen erscheinen wie ein Geschenk des Pressehimmels. Schakal angeheuert, um Makrele umzunieten konnte man lesen – und gleich nach der Untat sei der Killer ins Ausland geflohen. Wo er es sich vermutlich gutgehen ließ. Egal. Ich war kein bezahlter Killer, und im Ausland war ich auch nicht, aber ich ließ es mir gutgehen. Nachmittags ging ich mit meinem neuen Gastgeber zum Fußballspielen in einen in der Nähe gelegenen Park. Ich kannte mehrere von unseren Mitspielern, aber nur ein einziger bemerkte, daß hier wohl jemand beim Friseur gewesen war.
Abends kam Middelboe zu Besuch. Er erzählte von den Aktivitäten der vergangenen Tage. Die Polizei hatte eine weitere Razzia im Club veranstaltet und Helle zur Vernehmung geholt. Sie war so grob in die Mangel genommen worden, wie das unseren Frauen immer passierte. Middelboe hatte zwei Brüdern von meiner Tat erzählt. Das war schon in Ordnung, sollte für sie später aber noch entscheidende Folgen haben. Die Polizei hatte in aller Heimlichkeit den Club verwanzt. Und die von Middelboe und den anderen aufgezeichneten Bemerkungen sollten interpretiert werden als Teilnahme an der Planung des Mordes.
Seit dem Mord war jetzt eine Woche vergangen. Nach mir wurde immer energischer gefahndet, auch wenn die Polizei sich offiziell alle Mühe gab, um meine »Beliebtheit« zu unterdrücken. Ich hatte abermals meine Zelte abgebrochen und hauste jetzt im Herzen Kopenhagens bei einer kinderreichen Familie. Nur dem Mann war meine wirkliche Identität bekannt, und ich sollte auch nur kurz dort bleiben. Wir hatten mir Kleidung und eine Sonnenbrille gekauft, die wie eine normale Brille aussah. Nicht einmal meine eigene Mutter hätte mich jetzt erkannt.
Jeden Tag genoß ich an den Seen das gute Wetter. Oft sah ich Streifenwagen, aber keiner kam in meine Nähe. Den Zeitungen zufolge fahndete die Polizei energisch nach meinem Kastenwagen. Der war wirklich überall gesehen worden. Ob das ein Rauchteppich sein sollte oder ob wirklich so viele Leute glaubten, ihn gesehen zu haben, wußte ich nicht. Aber ich wußte, daß der Wagen seit meinem Einsatz nicht mehr benutzt worden war.
Middelboe und Carlo kamen zu Besuch. Sie hatten alle möglichen Haken schlagen müssen, um der Bullerei zu entwischen. Die wiederum amüsierte sich rund um die Uhr mit Razzien und Beschattungen. Helle war abermals vernommen worden, und abermals hatten sie sie unmöglich behandelt. Es war nur gut, daß sie meinen neuen Aufenthaltsort nicht kannte. Ich hatte zwar Vertrauen zu ihr, wußte aber auch, daß die Mordkommission keine Hemmungen kannte. Mein Rennrad war gefunden worden, nachdem ein Fahrraddieb darauf herumgegurkt war. »Da ist es ja nur gut, daß ich es nicht geholt habe«, fand Middelboe. Am Mordtag hatte ich ihn darum gebeten. Aber er wollte nicht, er wollte nicht wegen eines blöden Fahrrads in die Sache hineingezogen werden. Da hatte er recht gehabt. Die Polizei, die zu diesem Zeitpunkt emsig die Gespräche in der Titangade abhorchte, teilte diese Auffassung allerdings nicht. Sie hatten den Fahrraddiebstahl geheimgehalten, in der Hoffnung, daß jemand von uns auftauchen würde.
Ich zog wieder um. In eine Wohnung in Nørrebro, nicht weit vom Club entfernt. Sie war kein großartiger Aufenthaltsort, aber sie war einigermaßen sicher. In meiner Situation war es klüger, immer weiterzuziehen. Wieder kam Helle zu Besuch. Sie hatte es satt, zur Vernehmung geholt zu werden und sich anhören zu müssen, wie die Bullerei mich durch den Dreck zog. Aber sie hatte alles im Griff. Die Mordkommission war verrückt nach ihr und sie wurde beschattet. Aber doch nicht so sehr, daß sie nicht mit Hilfe meiner Brüder entwischen konnte. Wir machten es uns mit Kerzen und Rotwein in der kleinen Wohnung gemütlich, während Gert und Helge Markt und Straßen absuchten. Es gab inzwischen kaum noch einen Ort, an dem ich nicht gesehen worden war.
Meine Eltern bekamen Besuch von der Polizei. Mein Vater, der Prototyp des autoritätshörigen Bürgers, ließ sich vernehmen, hatte aber nichts zu erzählen. Der erste Besuch kam eines Abends kurz nach dem Mord. Mein Vater hatte mit seinem Abendkaffee vor dem Fernseher gesessen, als plötzlich zwei Kripobeamte auf der Veranda standen und ins Zimmer glotzten. Er hatte mit dem Anwalt gedroht, was sein gutes Recht war. Niemand ist gezwungen, mit der Polizei zu sprechen, und Eltern sind nicht aussagepflichtig, wenn es um ihre Kinder geht.
Bei meiner Mutter lief es ganz anders. Ihr Mann empfing die ersten Polizisten auf der Garagenauffahrt. Hier erzählt er kurz und bündig, daß meine Mutter mir natürlich nicht schaden wolle und sich deshalb nicht vernehmen lassen werde. Die Polizei versuchte wie üblich, sich einen Weg ins Haus zu erzwingen, aber das gelang ihnen nicht. Nun fingen sie an, meine Eltern, die damals etliche Firmen betrieben, zu schikanieren. Nachbarn, Freunde, Geschäftspartner und Angestellte stellten Fragen, nachdem die Polizei sie aufgesucht hatte. Stimmte es wirklich, daß Jönke ihr Sohn war und daß er Makrele ermordet hatte? Erst, als der Mann meiner Mutter sich bei der Mordkommission beschwerte, war Schluß mit den Schikanen. Aber wer hatte damit angefangen?
Ich hatte meinen ersten Nahkontakt zu den Behörden. Es passierte, als ich zwei Tage in der neuen Wohnung lebte. Ich wollte für meinen Geburtstag einkaufen. Gert und Helge hielten zehn Meter weiter die Straße hinunter, wo eine Bande Betrunkener herumhing. Und als ich im Laden stand und Bier und Wasser in Tüten stopfte, tauchten sie hinter mir auf. Abgesehen von einem leichten Lufthauch im Nacken bemerkte ich ihre Anwesenheit nicht und ließ mir auch nichts anmerken. Wenn sie mich hier verhaften wollten, könnte ich auch nichts daran ändern, und deshalb gab es keinen Grund zur Nervosität. Die Polizisten teilten dem Ladenbesitzer mit, daß die Suffköppe die Öffentlichkeit störten, danach zogen sie wieder ab. Ich bezahlte und trottete zurück in meine Wohnung.
Mein vierundzwanzigster Geburtstag wurde im besten Gangsterstil gefeiert. Die Gäste kamen einer nach dem anderen über die Hintertreppe. Mehrere von ihnen hatten die Polizei abschütteln müssen, und die Vorhänge waren dicht geschlossen. Alle schleppten Essen und Wein an. Obwohl wir nur zu zehnt waren, ging es volle Kanne ab. Middelboe und Jens waren nicht dabei, sie waren zum jährlichen Run in die USA gefahren. Gaukler rauchte sich die Birne voll und lachte sich über die ganze Situation schimmelig. »Hinter jeder Laterne steht ein Bulle, und du sitzt einfach nur hier und holst dir einen runter.« Ich bekam nicht viele Geschenke, denn was soll man schon einem Mann geben, der aus dem Koffer lebt? Die meisten brachten Jahrgangsweine, und mir war das nur recht.
Vier Tage darauf fand in der Kirche von Tårnby die Trauerfeier für Makrele statt. Die letzten Kuhfladen und ihre Freunde folgten dem Leichenwagen. Im ersten Auto des Korteges saß die Witwe. Was in unseren Kreisen einfach lächerlich war. Aber okay, sie gehörten ja nicht zu unseren Kreisen und würden das auch niemals tun. Soviel Geschrei um einen toten Hering , sagte eine Frau, die dem Leichenzug zusah. Es heißt ja, daß man über Tote nicht schlecht sprechen soll. Andererseits gab es bei mir keine Sympathie zu holen. Er hatte es ja eigentlich nicht anders gewollt.
Die Sonne knallte und in Kopenhagen war Karneval. Ich saß schwitzend in meiner kleinen Wohnung und mopste mich zu Tode. Helle war in Ungarn, um irgendwelche Verwandten zu besuchen, und ich erwartete sie erst in einer Woche zurück. Ach! Während dieser Tage war es der absolute Gipfel der Langeweile, ein gesuchter Mörder zu sein. Ich hatte die Wohnung aufgeräumt und sie kreuz und quer gewienert. Ich hatte einige Bücher zum Lesen, aber gegen die Hitze half das auch nicht weiter. Der Wohnungsbesitzer tauchte auf, sein Gesicht war mit Theaterschminke knallgrün gemalt. Ich spielte mit dem Gedanken, mit ihm in die Stadt zu gehen und einen wilden Samba zu tanzen, aber es blieb dann bei diesem Gedanken. Obwohl er bald wieder verschwand, hatte er doch registriert, daß ich mich fühlte wie ein Löwe im Käfig. Am nächsten Tag erschien er in Sommeranzug und Tropenhelm. Und wir dampften nach Dronningmølle ab.
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