Es war eigentlich überraschend leicht gegangen. Mein größtes Problem war die Herfahrt gewesen. Ich konnte Autos nicht leiden und besaß nur geringe Erfahrung darin, diese Blechdosen mit ihren viel zu vielen Rädern zu lenken. Der Morgenverkehr hatte sich in Grenzen gehalten. Ich war damit durch die Stadt und hinaus über Langebro geglitten. Unterwegs war mir nur ein einziger Streifenwagen begegnet. An der Kreuzung zwischen Amager Boulevard und Amagerfælledvej. Ich bog in den Fælledvej ab, und Gert und Helge fuhren geradeaus weiter.
Keine Menschenseele war zu sehen gewesen, als ich fünfzehn Meter von Makreles Gartentor entfernt hielt. Es war früh und noch kühl. Ich vergeudete keine Zeit, sondern setzte mich sofort in den Laderaum. Ich war keinen Augenblick zu früh in Deckung gegangen. Eine Frau mit einem Kind in der Karre kam hinter mir aus einem Garten. Ich konnte sie durch das Rückfenster des Führerhauses für einen Moment sehen. Frau und Kind verschwanden, und ich konnte mich auf das Geschehen draußen konzentrieren. Makreles VW-Bus stand mit dem Hintern zu mir. Ich setzte mich auf einen Bierkasten und hatte einen guten Blick durch Vorder- und Rückfenster. Die Maschinenpistole lag kalt und tödlich vor mir. Ich könnte weggehen und sie liegenlassen, wenn ich das wollte. Nie im Leben. Ich war fest entschlossen, das auszuführen, wozu ich gekommen war.
Im Wagen wurde es warm, und mein Hintern wies das Rillenmuster des Bierkastens auf. Jetzt tauchte Makreles Frau im Vorgarten auf. Ich zog die Maske übers Gesicht und war bereit. Sie schaute zu mir herüber, und ich mußte mich in die Ecke drücken. Sie fuhr allein davon. Für das Frühstück einkaufen, tippte – und hoffte – ich. Ich wußte nicht mit Sicherheit, ob Makrele zu Hause war, ich hatte keine Zeit gehabt, das festzustellen. Die Frau kam zurück und zu meiner Zufriedenheit direkt auf mich zu. Das würde alles leichter machen, und ich würde ihn von vorne niederschießen können. Ihm dabei in die Augen blicken.
Zwei Stunden vergingen, aber an meiner Geduld war nichts auszusetzen. Wenn nötig, wäre ich noch den halben Nachmittag sitzengeblieben. Wieder mußte ich mich in die Ecke drükken. Diesmal wegen eines Streifenwagens. Vorsichtig rückte ich vor und schaute nach. Der Streifenwagen fuhr jetzt langsamer, und die beiden Beamten schauten zu Makreles Haus hinüber. Sie hätten in die andere Richtung blicken sollen. Aber sie konnten ja nicht wissen, daß dort ein Mann mit einer Maschinenpistole in einem harmlosen Lieferwagen wartete. Ich behielt sie aufmerksam im Auge, bis sie abbogen und verschwanden. Wieder allein.
Und jetzt passierte etwas. Zuerst tauchte im Garten ein Hund auf, dann folgten Herr und Frau Makrele. Sie stritten sich. Ich trug die Maske. Ich hob die Stengun vom Boden. Sie war schußbereit. Der Hund wurde hinten ins Auto gesetzt. Gut! Damit war er aus dem Weg. Makreles Frau stieg ins Auto, und gleich darauf glitt Makrele hinter das Lenkrad. Ich wartete, bis er die Tür zugeschlagen hatte. Schaute nach hinten den Agerlandsvej entlang. Ich hatte keine Lust, vor einem Auto auf die Straße zu springen. Aber ich hatte freie Bahn, abgesehen von einem Radfahrer Ich riß die Schiebetür auf und sprang hinaus. Makreles Frau entdeckte mich als erste. Sie schrie und öffnete die Tür, um wegzulaufen. Makrele und ich schauten einander in die Augen. Er war wie gelähmt und bewegte sich nicht. Ich spürte, daß er mich erkannt hatte. Dann schrie er und versuchte, hinter seiner Frau herzulaufen. Das war die verkehrte Richtung, aber für einen unter Schock stehenden Mann die logischste – die Tür stand doch offen.
Ich ging in die Knie und gab eine kurze Salve auf die Mitte und die rechte Seite des Führerhauses ab, um sie zu trennen. Das gelang mir. Makreles Frau stand zu diesem Zeitpunkt neben dem Auto und Makrele saß noch immer darin. Ich konnte ihn nicht sehen, während ich auf den VW zurannte. Mit einer kurzen Bewegung des Abzugshahns jagte ich noch eine Ladung Blei durch Scheinwerfer und Kotflügel. Sicherheitshalber. Er konnte unter dem Sitz doch eine Kanone liegen haben. Ich lief um die offene Tür herum. Er lag halb auf dem Sitz und halb auf dem Boden und streckte den Kopf aus der Türöffnung. Ich leerte die Maschinenpistole in ihn aus. Er bebte und war auf jeden Fall tot.
Ein kurzer Blick über die Straße zeigte, daß die Witwe gerade in einen kleinen Wagen stieg. Ich lief zu meinem Lieferwagen zurück und warf die Stengun auf die Ladefläche. Wenn sie im Zweiten Weltkrieg ihre Wehrpflicht nicht abgedient hatte, dann doch auf jeden Fall jetzt. Her jetzt mit dem Rad und weg von hier!
Am nächsten Tag ergingen die Zeitungen sich in den ungeheuerlichsten Schilderungen. »Von eiskaltem Mörder niedergemetzelt«, schrieb Ekstra Bladet – und das konnte man ihr wohl auch nicht übelnehmen. Auch wenn ich mich selber nicht so sah, dann traf das doch wohl in gewisser Weise zu. Die Zeitungen brachten Bilder der Autos im Agerlandsvej aus allen möglichen Winkeln. Und der Chef der Mordkommission hatte den Tatort höchstpersönlich aufgesucht: Das ist eine von einem überaus kaltblütigen und überaus geübten Maschinenpistolenschützen ausgeführte Liquidierung . Worauf die Zeitungen sich vor Begeisterung überschlugen. »Professioneller Schütze« und »sorgfältig geplante Liquidierung«. Wenn die gewußt hätten, wie wenig diese Liquidierung geplant gewesen war, dann hätten sie sich wegen dieses Textes die Haare gerauft. Ich las voller Zufriedenheit, daß Makreles Hund überlebt hatte. Die Perlen mußten ihm doch um die Ohren gepfiffen sein. In einem Punkt hatten die Zeitungen allerdings recht. Die Witwe war verschont worden. Es war zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen, sie ebenfalls zu töten. Sie war ein mieses Stück, und niemand in unseren Kreisen konnte sie ausstehen, aber es gab eben doch Grenzen. Und man bringt Leute nicht um, bloß weil man sie nicht leiden kann.
Meine Beschreibung war überraschend zutreffend. Was Größe und Alter anging. Fünfundzwanzig Jahre. Tja, es waren nur noch zehn Tage bis zu meinem vierundzwanzigsten Geburtstag. Haare und Bart: Ich sah aus wie ein Wollknäuel, und allein das alles unter die Maske zu stopfen war ein Problem an sich gewesen. Den Zeitungen zufolge waren einzelne Haarsträhnen nicht dort geblieben, wo ich sie verstaut hatte. Also war eine neue Frisur angesagt.
Helle stürzte sich mit Leib und Seele in dieses Projekt. Sie hatte schon lange wissen wollen, wie ihr Bekannter wirklich aussah. Mein Kumpel stand in der Badezimmertür und lächelte ebenfalls erwartungsvoll. Zuerst wurden die goldenen Lokken geopfert, dann mein wilder roter Bart. »Ach, was siehst du gut aus«, rief Helle. Ich schaute in den Spiegel. Immerhin hatte ich mich verändert.
Ich blieb den ganzen Tag im Haus, und abends gingen wir dann los. Ich hatte von meinem Kumpel einige Klamotten geliehen und trug einen kleineren Koffer in der Hand. »Na, dann los, Jönke«, rief er hinter mir her.
Helle und ich sahen aus wie jedes andere Paar. So, wie ich jetzt aussah, würden sie früh aufstehen müssen, um mich einbuchten zu können. Ich beschloß, für den Sommer zu bleiben. Das gute Wetter war der eine Grund, Helle der andere. Ich war einfach bis über sämtliche Ohren verliebt. Ihr gegenüber behauptete ich, mich bedeckt halten zu müssen, aber wirklich nicht derjenige zu sein, der Fischfresse umgelegt hatte. Trotzdem war sie leicht vergrätzt. Wir waren bis zum Mord so gut wie jeden Tag zusammengewesen. Und als sie dann endlich eines Tages nach Hause ging, um sich etwas Frisches zum Anziehen zu holen, passierte gleich alles Mögliche. Das mit dem Bedeckthalten fand sie auch nicht so toll. Jetzt sah ich endlich brauchbar aus, und da durfte sie mich nicht vorzeigen.
Wir verbrachten einen netten Abend und eine nette Nacht bei einem mir bekannten Ehepaar. An Aufenthaltsorten fehlte es mir wirklich nicht. Wohin ich auch kam, überall wurde ich freundlich aufgenommen.
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