Der Wagen bog um die Ecke, und ich kam hinterher. Ich mußte mich weiterhin beeilen und bald hatte ich sie eingeholt. Ich weiß nicht, ob die spätere Geschichte, ich hätte eine Maschinenpistole auf dem Fahrradlenker liegen gehabt, hier ihren Anfang genommen hat. Aber eins steht fest, das Entsetzen stand ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben. Der Wagen fuhr noch immer neben mir her, wir näherten uns dem Wasserturm. Der Fahrer war offenbar wie gelähmt. Wieder schaute ich in das Auto hinein. Diesmal hielt ich mich nicht zurück und deutete mit der Hand auf meine Jackentasche. Das brachte die Karre auf Trab, und sie verschwand in einer Seitenstraße. Sehr gut. Jetzt war die Hitze mein größtes Problem. In den zwei Stunden, in denen ich auf Makrele gewartet hatte, war es Sommer geworden. Und die Maske und meine wilde Mähne machten die Sache nicht besser …
Natürlich hatte ich oben beim Verteilerkreis Rot. Aber ein Verstoß gegen die Verkehrsregeln würde mein Urteil wohl kaum erhöhen. Ich hielt Ausschau nach Streifenwagen und gab dann alles, was meine Beine nur schaffen konnten. Ein einzelner Wagen war in der Nähe, aber das war auch alles. Zwei Tage darauf konnte ich in der Zeitung lesen, daß er mich um ein Haar überfahren hätte. Eine Übertreibung, aber es sollte nicht die letzte sein.
Hinter dem Verteilerkreis fuhr ich in etwas ruhigerem Tempo weiter. Ich war mit meinem Fluchtfahrzeug absolut zufrieden. Ein Rennrad mit zehn Gängen, primitiv, aber praktisch. Im Tårnbyvej drehte ein jüngeres Paar sich lächelnd nach mir um. Zeit zur Demaskierung! Ohne Maske war ich leicht zu erkennen, aber sie erregte zu große Aufmerksamkeit.
In der Schule am Korsvej war gerade große Pause. Eine große Kinderschar spielte am Straßenrand mit Wasser. Einige der jüngeren Schüler entdeckten mich und spritzten mir mit einem Gartenschlauch ins Gesicht. Ich drohte ihnen mit dem Zeigefinger, lächelte dabei aber. Sie grinsten frech und suchten sich ein neues Opfer. Ja, ja, wenn die wüßten, dachte ich.
Eigentlich hatte ich das Rad in einem der Fahrradständer vor dem Flughafen abstellen wollen, aber nun lockte die kleine grüne Oase gegenüber der Kastruplundgade. Ich schob meinen Drahtesel unter die Bäume und ließ ihn dort grasen. Dann überquerte ich die Straße und den Parkplatz. Ich lief im Zickzack durch die Taxenschlange und setzte mich vor der Ankunftshalle auf eine Bank. Hier kam ich ins Gespräch mit einer netten Schwedin, die mir erzählen konnte, daß der SAS-Bus eben gefahren sei. Ich mußte also warten, und wir plauderten über die Unterschiede zwischen Schweden und Dänemark. Gleichzeitig behielt ich meine Umgebung aufmerksam im Auge. Ein Streifenwagen verließ in raschem Tempo den Flughafen, und dann kam gleich noch einer. Da mußte doch etwas passiert sein!
Zehn Minuten vergingen, ehe der nächste silbrig schimmernde Bus auftauchte. Inzwischen hatte sich eine recht große Gruppe von Reisenden angesammelt, die meisten waren Schweden, und ich saß mitten unter ihnen.
Im Bus landete ich auf einem Fensterplatz. Ich hatte ihn mir nicht ausgesucht, denn inzwischen hatte ich das Gefühl, einen Heizkörper auf den Rücken geschnallt zu haben. Die Sonne brannte, und ich trug nicht weniger als zwei Pullover und eine dicke Jacke. Mein Pistolenhalfter hinderte mich daran, irgend etwas davon auszuziehen.
Endlich ging es los. Ich hatte eine neue Schwedin gefunden, mit der ich mir die Zeit vertreiben konnte. Ich hatte wirklich Glück mit diesen schwedischen Massen. Sie würden sich am nächsten Tag für gewisse Nachrichten viel weniger interessieren als die Dänen. Der Bus fuhr seine übliche Route durch den Englandsvej. Der Täter kehrt immer an den Tatort zurück, dachte ich, als wir am Agerlandsvej vorbeikamen. Ich mußte einfach hinüberschauen. Jede Menge Menschen, und am Ende der Straße, nur wenige Meter von mir entfernt, saß ein Verkehrsbulle. Er behielt den Verkehr im Auge und sah mich nicht. Weitere Streifenwagen kamen mit Blaulicht angebraust, und einer wäre fast mit dem Bus zusammengestoßen. Das war wirklich mehr als perfekt, dachte ich. Der Hauptbahnhof bot reiche Möglichkeiten. Ich entschied mich für den Zug nach Lyngby.
Eine Krone für eine Plastiktüte im Laden unterhalb des Bahnhofs Lyngby. Danach ging es los auf die verdreckte Bahnhofstoilette. Runter mit Jacke, Schulterhalfter und dem dicken Pullover. Das alles konnte ich in die Tüte stopfen und danach kam ich mir zehn Kilo leichter vor.
Mein Freund wohnte in einem großen Wohnkomplex, und er war nicht zu Hause. Zum Glück kannte ich die Nachbarn, und einer hatte einen Schlüssel. Ich ging in die Wohnung und stellte meine Sachen ab. Danach ging ich wieder zum Nachbarn. Er sah sich auf Video einen Western an, seine Frau servierte Tee. Wir redeten über Gott und die Welt, während mir langsam aufging, daß ich entkommen war. Körperlich war ich in dieser Wohnung anwesend, aber meine Gedanken hatte sich auf eine längere Charterreise begeben. Ob ich aus allem mit heiler Haut herauskommen würde? Wohl kaum. Ich hatte nie damit gerechnet, aber die Hoffnung bestand eben doch. Und jetzt war es passiert. Das war das Wichtigste. Meine Brüder und Freunde. Die würden sich ja so freuen, wenn sie davon hörten. Auf der anderen Seite gab es da die restliche Familie und die Frau. Die würden wohl kaum so glücklich sein, wenn – oder falls – sie erfuhren, wie ich den Vormittag verbracht hatte. Ich verspürte den unwiderstehlichen Drang, Helle zu sehen.
Aus der Wohnung meines Kumpels rief ich sie an und erzählte, wo ich war. Jetzt konnte ich mich nur noch zurücklehnen und ihre Reaktion abwarten. Ich schloß eine Zeitlang die Augen. Sie hatte schon gewußt, daß etwas nicht stimmte. Frauen spüren das – sogar durchs Telefon.
Es klingelte. Ich nahm ab. Es war der Nachbar von gegenüber. Er hatte gesehen, daß ich in der Wohnung war, und er fand, ich solle das Radio einschalten. Draußen in Amager sei irgendein »Rocker« erschossen worden …
Mein Kumpel weckte mich, als er von der Arbeit kam. Er war überrascht und freute sich, mich zu sehen. Ich besuchte ihn nicht allzuoft. Er wußte von unseren Scharmützeln mit den Kuhfladen, hatte aber noch nichts von Makreles Ende vernommen. Wir hörten die Meldung in den Nachmittagsnachrichten, und er freute sich ebenso wie ich über den Tod einer Kuhflade. Ich glaube nicht, daß er sich selbst in seinen wildesten Phantasien hätte vorstellen können, daß ich es gewesen war.
Helle kam. Müde nach einem langen Arbeitstag und glücklicherweise nicht allzu neugierig. Wir durften uns ins Schlafzimmer zurückziehen, und ich erklärte ihr, daß ich mich für ein paar Tage bedeckt halten mußte. Sie war ziemlich erschüttert von Makreles Tod. Natürlich sagte ich ihr nicht, daß ich mit Blei herumgewedelt hatte. Wir liebten uns, wurden aber durch Middelboes Eintreffen unterbrochen. Ich hatte früher an diesem Tag Kontakt zu ihm aufgenommen. Man wollte ja schließlich wissen, was in der Stadt so vor sich ging. Während Helle und der Kumpel das Abendessen machten, besprachen wir im Eßzimmer, wie es weitergehen sollte.
Schon am Vormittag hatte es im Club eine Razzia gegeben, wie ich von Middelboe erfuhr. Die Polizei hatte ihn mit der fröhlichen Nachricht aus dem Schlaf geholt. Jappe war längst nicht so begeistert gewesen. Seit den Søpromenade-Morden des vergangenen Jahres hatte seine Freundin nie mehr im Club übernachten wollen. Unglücklicherweise hatte sie sich am Vorabend zum ersten Mal dazu bereit erklärt. Acht Monate, und nun wurde sie gleich beim ersten Mal hopsgenommen, aber ich hatte ihn ja nicht warnen können. Die Bullerei hatte im Club nichts gefunden, abgesehen davon, daß Jens mit einer dicken Knarre in der Tasche von zu Hause gekommen war. Sie hatten auf der Lauer gelegen und ihn im Tor geschnappt. »Aber was ist mit dir? Warst du das?« fragte Middelboe. Er hatte ganz stark das Gefühl. Ich nickte und erzählte ihm alles. Vielleicht war es keine gute Idee, aber früher oder später würde ja doch alles herauskommen.
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