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Der Garten des Klubheims ist so angelegt und gehalten, wie viele Gärten in der Grunewaldkolonie: ein mächtiger Rasen, jetzt in der Dämmerungsstunde von unzähligen Lichtchen festlich erhellt – ein Blumenrand, ein Springbrunnen, Jasminstauden überall – und hier und dort in schweigender dunkler Höhe die Kiefern. Nackte Stämme werfen purpurn das Licht zurück, das aus den Fenstern und aus den bunten Lampions heraufglänzt.
Vor der Freitreppe sammelt sich ein Menschenschwall: auf den Ruf des Majors strömen junge Herren im Smoking und junge Frauen in hellen Sommerkleidern herbei. Nur die tiefgebräunten Gesichter und die Klubabzeichen an den Seidenaufschlägen und im Ausschnitt erinnern daran, was diese Menschen als innerstes Erlebnis pflegen.
Herr von Gulbrow ruft die Sieger auf: „Thomas Themal!“ Lachend kommt der Student die Treppe herauf; schwarz und glatt sitzt der Smoking um seine breiten Schultern, das braune Gesicht strahlt, die Doppelreihe der prachtvollen Zähne blinkt.
Droben steht auf einem Tischchen das Prunkstück des Klubs: der Silberne Pokal. Eingraviert darin die Namen vieler früherer Sieger, zweimal hintereinander Kossacks Name. Ein Pfropfen knallt. Ilse Jakoby füllt den Pokal mit Schaumwein und reicht ihn dem diesjährigen Sieger.
„Ihr Ausweis, Herr Themal?“ schmunzelt der Präses.
„Hier der Fuchsschwanz, Herr Major!“
Leicht ist das Kleid der anmutigen Ballonführerin, blühend steigt der Hals aus dem Spitzenschaum des Ausschnitts. Aus Ilses Händen empfängt Thomas die funkelnde Trophäe – ferner eine goldene Klubmedaille zu seinen drei silbernen – letztens einen Gutschein über hundert Liter Benzin und zehn Liter Öl: Stiftung des Geheimrats Jakoby. Die Sitte verlangt es, dass Thomas Themal nun einen Trinkspruch sagt – unvermittelt ruft der Student: „Heil allen schönen, frischen Kameradinnen, die mit uns Seite an Seite über dem Motor streiten! Der Himmel bewahre eure weissen Hände vor Öl und Maschinenschmutz – er sende euch zur rechten Zeit einen guten Kameraden, der euch bei der Panne hilft – er bewahre eure zarten Glieder vor Sturz und Bruch. Allen braven Motorfahrerinnen trinke ich zum Wohl!“
Er setzt den Pokal zu einem langen Schluck an die Lippen. Als nächster empfängt Ernst Kossack seine Medaille; viel eleganter ist er gekleidet als der jüngere Freund, doch mit Ingrimm sieht Kossack das schöne Siegesstück in die Hand des anderen übergehen. „Was soll ich sagen? Nicht Benzin treibt den ehernen Motor – unser Herzblut treibt ihn! Ich trinke auf das Motorrad – auf unsern eisernen Kameraden, um den wir nicht vergeblich werben, wenn uns nur das rechte Motorherz in der Brust schlägt. Also hinaus in die Welt, sonst ist das Leben nichts nütze –“
Abermals hat das Dreigestirn der besten Fahrer den Sieg an sich gerissen: für zwei, drei Jahre behaupten die Dauersieger ihren Platz, dann stürmen neue und junge herauf und verdrängen die früheren Sieger. Dritte ist Thora Moebius.
Mit der gleichen Anmut und Sicherheit, von der sie draufgängerisch und verwegen im Sattel der Maschine vorwärtsgetragen wird, steht sie jetzt in einem weissen Spitzenkleid. Jeder, der sie sieht, hält sie für ein junges, ungewöhnlich sportgestähltes Mädchen – aber Thora macht kein Hehl aus ihren dreissig Jahren. Auf den Spruch des Freundes antwortet sie mit einem Gruss an die Kameraden: „Der Himmel bewahre eure wilden Seelen. Geht nicht auf die Rennbahn, begnügt euch mit der Weite zwischen Wäldern und unter Wolken! Ihr Soldaten der Schnelligkeit – fahrt in Ehren überall dort, wo gute Strassen durch die schöne Welt eilen!“
Schweigend und sinnend steht der Präses am Treppengeländer. Viele Gesichter sah er im Klub kommen und gehen. Was nach dem Kriege sich hier vereinte, ist meist treugeblieben. Aber was früher hier dem Motor huldigte – in jener Zeit, als man noch alle zehn Kilometer aus mitgeführten Flaschen Öl ins glühende Kurbelgehäuse giessen musste – die Kameraden jener Zeit sind fast alle verschollen und zersprengt: die einen sind grau geworden, haben Familie und Arterienverkalkung bekommen – die anderen liegen unter den Schlachtfeldern Europas und träumen dem Traum von der deutschen Freiheit nach ... Von Gulbrow gründete vor fast zwei Jahrzehnten den Deutschen Motorrad-Club – und zwar mit einem Regimentskameraden, Leutnant Gebhard, der während des Krieges im Luftkampf fiel. Dieser war das einzige Kind eines schwerreichen Industriekapitäns – und zum Gedächtnis des toten Sohnes wurde die wundervolle Villa im Grunewald dem D. M. C. testamentarisch als Klubheim übergeben ...
So war es, so begann es. Der Grübelnde schaut über die fröhlichen Gesichter der Jugend. Auch ihr werdet graue Haare bekommen, aber solange ihr euch zum wilden Heer der Schnelligkeit bekennt, so lange wird Herz und Körper jung bleiben – ! Der Präses ergreift den Pokal und spricht seinen Trinkspruch: „Wir sammeln die wagemutige Jugend, die sich zu unseren Vorbildern bekennt. Vaterlandsliebe, sportliche und ehrenhafte Gesinnung treiben wir aus Liebe zur Sache – und wer recht in diesem Boden wurzelt, der wird seinen Mann im Leben stehen.“
Dann ist der offizielle Teil vorbei. Im Speisezimmer rollen eifrige Hände den Teppich zusammen, ein Kamerad setzt sich ans Klavier, schon schleifen Sohlen zum Takt. Dicht beieinander auf dem glatten Parkett schweben Detlev Themals und Ilse Jakobys Füsse. Der Geheimrat steht behaglich mit einigen Herren in der Tür des Rauchzimmers und blickt verliebt zu seiner Einzigen. Seinen jungen, wortkargen Assistenten schätzt er sehr hoch – nur etwas unheimlich ist ihm, wenn er dies glatte, kalte, kluge Gesicht mit der Mensurnarbe auf der Stirn so nah an Ilses hellem Köpfchen sieht. Aber dem Mann ist eine bedeutende Zukunft sicher – Jakoby kennt diesen Menschenschlag: diese zähe, rücksichtslose, jeden Widerstand aus dem Wege räumende Energie, diesen eisernen Fleiss. Es bleibt ein kleiner Neid in der Brust, ein kühles Wissen: in zwanzig Jahren steht Der an meinem Platz – und wo bin ich dann? In der kühlen Erde? Emeritiert?
Flüsternde Musik – schwebende Schritte – „Also fahren kann ich jetzt, lieber Doktor! Fehlt bloss noch Führerschein und eigene Maschine ...“
„Sie sind ja ein ganz schneidiges Mädelchen! Aber was wird Ihr Vater dazu sagen?“
Sechs Schritte – Verharren. „Mein Vater? Den bekomme ich schon herum! Der muss alles tun, wie ich es kommandiere. Ich will mich dann im Oktober an der zehntägigen Deutschlandfahrt beteiligen, von der Sie mir so viel Schönes erzählt haben ...“
Detlev Themal bleibt mitten im Tanze stehen und misst das zierliche Fräulein erstaunt lachend mit den Augen. „Sie? Täglich dreihundert Kilometer? Das wird der Klub niemals erlauben. Und Ihr Vater schon gar nicht.“
„Tanzen Sie doch!“
Wieder legt Detlev entzückt den Arm um ihre schmale Hüfte. Leicht wiegen Knie, leicht wiegen Füsse. Ilse sagt: „Was meinen Vater anbetrifft, so hab’ ich Ihnen ja schon gesagt, Herr Themal: der wird nicht gefragt. Der muss, und wenn ihm das nicht passt, muss er müssen.“
Detlev Themal quietscht vor Vergnügen. So also sieht der Geheimrat in Filzpantoffeln aus: der Gefürchtete der chirurgischen Klinik, der an schlechten Tagen die ganze Welt wie ein ungnädiger Gott behandelt – den die Patienten fürchten, den die Schwestern und Assistenten hassen! Detlev hasst ihn nicht – Doktor Themal ist nicht der Mann, der sich Schikanen gefallen lässt. Und dies süsse Püppchen führt den Bären am Nasenring ... Sie lacht hell auf: „Und der Klub? Könnte der mir die Teilnahme verbieten?“
„Das nicht. Soviel ich weiss, wird die Deutschlandfahrt für alle Fahrer freigegeben, die dem uns übergeordneten Verband oder dem Automobilklub angehören. Ich werde mich beim Major erkundigen. Aber das ist ja barer Unfug, dass Sie dabei mitmachen wollen. Es würde mir allerdings höchst imponieren.“
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