VAC Budapest hält sich in den 1920ern immerhin sechs Jahre (1921/22–1925/26) in der höchsten Liga Ungarns.
Der »Schlappe-Stinnes« und andere Mäzene
Auch in Deutschland existieren vielerorts jüdische Sport- und Turnvereine, aber in der Organisationsgeschichte des deutschen Sports sind deren Dachverbände Makkabi, VINTUS und Schild lediglich Marginalien. Und Fußball ist in den jüdischen Vereinen häufig nur eine Randsportart. Dies wird sich erst nach der nationalsozialistischen Machtübernahme und dem folgenden Ausschluss der Juden aus den »normalen« Vereinen radikal ändern.
Bis dahin erfolgt die fußballerische Aktivität ganz überwiegend in Vereinen wie dem FC Bayern München, die deshalb von ihren Gegnern zuweilen als »Judenklubs« denunziert werden, obwohl der Anteil jüdischer Mitglieder in der Regel gering ist.
Entscheidend ist nicht ihre Zahl, sondern ob sie im Klub Funktionen bekleiden und Einfluss besitzen. In den meisten Fällen sind es keine »Arbeitervereine«, sondern »bürgerliche Klubs«, in denen Juden ein Betätigungsfeld finden.
Bei Eintracht Frankfurt heißt der Hauptsponsor seit Mitte der 1920er J. & C.A. Schneider, mal als »größte Schuhfirma des Kontinents«, mal sogar als »größte Schuhfirma der Welt« beschrieben. Besitzer des Unternehmens, in dem täglich mehr als 3.000 Angestellte bis zu 75.000 Paar Schuhe (und »Hausschlappen«) produzieren, sind die drei jüdischen Geschäftsleute Lothar Adler, Fritz Adler und Walter Neumann. Insbesondere Walter Neumann, genannt der »Schlappe-Stinnes«, hat sich der Eintracht verschrieben, deren Spieler man bald »Schlappe-Kicker« nennt. 1949 heißt es in der Festschrift »50 Jahre Eintracht« rückblickend: »Der Mann, der die Eintracht führte, ohne auf dem Präsidentenstuhl zu sitzen, hieß Walter Neumann.« Auf der Lohnliste der Firma stehen Leistungsträger wie Nationalspieler Rudi Gramlich und Willi Lindner, ebenso Eintrachts jüdischer Schatzmeister Hugo Reiß.
Lokalrivale FSV Frankfurt, in den 1920ern eine große Nummer im deutschen Fußball, wird von zwei Juden geführt: zunächst vom Mediziner Dr. David Rothschild und anschließend von Alfred Meyers, Direktor der IG Farben und Erbauer des FSV-Stadions am Bornheimer Hang. Einer der wichtigsten Förderer des VfR Mannheim ist der jüdische Textilgroßhändler Max Rath, der 1921 den jungen Sepp Herberger vom »Arbeiterverein« Waldhof zum bürgerlichen VfR lockt.
Bei den Stuttgarter Kickers engagieren sich als Mäzene die Bettfederfabrik Rothschild & Hanauer, der Schuhfabrikant Moritz Marx und der Lederfabrikant Hugo Nathan. Als die Kickers 1929 und 1933 württembergischer Meister werden, heißt der Meistercoach Fritz Kerr. Als Aktiver hat Kerr für die Wiener Hakoah und die österreichische Nationalelf gespielt. Seine erste Trainerstation war der jüdische Sportklub Hasmonea im polnischen Lemberg (heute Ukraine) gewesen.
Bei Tennis Borussia Berlin ist die zentrale Figur des Vereinslebens bis 1933 der Jude Alfred Lesser. Lesser ist nicht der einzige jüdische TeBe-Funktionsträger. Der englische Sozialwissenschaftler Mike Ticher kommt in einer Studie zu dem Schluss, dass weit über zehn Prozent der Mitglieder Juden waren. Für die Führungsetage vermutet er das Doppelte oder gar Dreifache. Im Oktober 1924 ist TeBe der erste deutsche Verein, der nach dem Ersten Weltkrieg gegen eine Elf des französischen »Erzfeindes« antritt – die heikle außen- und sportpolitische Mission wird vermutlich von Außenminister Gustav Stresemann angeregt. Star des Teams ist der Jude Simon »Sim« Leiserowitsch, Vorbild der späteren Berliner Fußballlegende Hanne Sobeck.
Der Aufstieg des 1. FC Nürnberg zu einem deutschen Spitzenklub ist eng mit dem Namen des jüdischen Rechtsanwalts Dr. Leopold Neuburger verbunden. Unter seiner Club-Präsidentschaft (1912-14 und 1919-21) werden »in entscheidenden Phasen der Entwicklung des Vereins die Weichen gestellt« (Club-Chronist Bernd Siegler). Dazu gehört der Bau der berühmten Kampfbahn »Zabo« wie der Aufbau einer spielstarken Mannschaft, die 1920 die erste Deutsche Meisterschaft für den Club gewinnt, der in fast der gleichen Besetzung vier weitere folgen.
Als der 1. FC Nürnberg 1925 sein 25-jähriges Jubiläum feiert, bereichert Neuburger die Festschrift mit einem Beitrag zum Thema »Sport und Politik«, der vielleicht repräsentativ ist für das Denken vieler deutsch-jüdischer Fußballfunktionäre im bürgerlichen Fußball. Neuburger bevorzugt eine Verbands- und Vereinspolitik auf »politisch und religiös neutraler Grundlage«. Der Sportler darf zur Politik Stellung beziehen, aber »während der sportlichen Betätigung muss er vermeiden, Politiker sein zu wollen«. Neuburger grenzt sich sowohl gegen die sozialdemokratische Arbeiter-Sport- und Turnbewegung wie gegen die deutsch-nationalistische und konservative Turnerschaft ab, die »im Gegensatz zu uns von politischen Einflüssen niemals freigeblieben« sei. Er bemängelt die »allzu deutliche Hervorhebung des Wortes ›deutsch‹ (…), als schritte sie (die Turnerschaft, d. A.) bereits auf einem Wege, der in gerader Richtung auf den Nationalismus zuführt«. Neuburger versteht den Sport als Mittel zur Völkerversöhnung: »Je enger sich die internationalen Bande des Sportes knüpfen, umso mehr werden bei den einzelnen Völkern das Verständnis und die Achtung für das Wesen des anderen geweckt und gefördert.«
Die (weiter unten dargestellte) Politik des DFB, den Spielverkehr mit ausländischen Profiteams zu unterbinden, stößt auf völliges Unverständnis: »Wollte man die Sportausübung in den Grenzen des Landes festhalten, wollte man in strenger Durchführung dieses Gedankens alle ausländischen Einflüsse auf das deutsche Sportlerleben unterbinden, der Sport müsste an dieser Inzucht zugrunde gehen.«
Landauer: »Mit weitschauendem Blick…«
Last but not least: der FC Bayern München, wo Kurt Landauer 1919 ein zweites Mal den Vorsitz übernimmt und den Klub schließlich 1932 zum ersten deutschen Meistertitel führen wird. Landauers zweite Amtszeit beginnt im Januar 1919, inmitten der revolutionären Wirren. Der Bayern-Präsident wohnt mit zwei Brüdern (vermutlich Franz und Leo) in einer Wohnung in Schwabing, versorgt von der jungen protestantischen Haushälterin Maria Baumann.
Landauer ist, wie die Macher des Films »Kick it like Kurt« in ihrem Film-Exposé schreiben, »ein lebenslustiger Mensch, Frauen durchaus zugetan, aber eben in erster Linie Präsident des FC Bayern. Heirat und Familiengründung liegen ihm fern.« In München ist Landauer »bekannt wie ein bunter Hund«, berichtet sein Neffe Uri Siegel. An eine »athletische Figur, mehr so tendiert auf einen Gewichtheber als auf einen Fußballer«, und einen »Kavalier der alten Schule (…), tipptopp gekleidet«, erinnert sich Hans Schiefele. Im Stadion habe Landauer »in der ersten Reihe gesessen, im Winter mit einer Pelzmütze und mit einem Pelzkragen im Mantel«.
Schiefele, für die 1. Mannschaft des FC Bayern von 1937 bis 1943 am Ball, von Beruf Journalist im Sportressort der »Süddeutschen Zeitung« und von 1987 bis 2002 Vizepräsident des Klubs, hat den legendären Vereinsboss schon »als Bub kennengelernt« und »ihn immer bewundert«. Zu dieser Zeit arbeitet Landauer noch als Buchhalter im Familienbetrieb in der Kaufingerstraße 26 (Werbung: »Das erste Haus für Damenmoden«). Seine Spieler versorgt er immer mal wieder mit Textilien.
Das Klischee vom bürgerlichen Juden kann Landauer nur bedingt bedienen. Der Bayern-Boss wird als »bayerisches Urgestein« beschrieben, der die Münchner Lebensart »mit Schweinsbraten und allem« zelebriert habe. Zugleich heißt es aber auch, Landauer sei »überaus ideenreich«, weitblickend«, »akkurat und auf größtmögliche Korrektheit bedacht« gewesen.
Der Bayern-Präsident ist kein gläubiger Jude, geschweige denn Zionist. Für Heike Specht war Kurt Landauer »ein glänzendes Beispiel« jener Münchner Juden, die »sich der Stadt, in der sie lebten, sehr verbunden fühlten. Für viele machte die bayerische Lebensart und Kultur, ja selbst die stolze Abgrenzung gegenüber allem Preußischen einen wichtigen Teil ihres Selbstverständnisses aus. Man liebte die Museen und Theater, die Biergärten und nicht zuletzt die Seen und Berge des Umlandes. Über Jahrzehnte brachten die Juden Münchens, zum Teil sehr erfolgreich, Judentum und Bayerisch-Sein in Einklang.«
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