Hör auf, zu starren, du Idiot , dachte Cian. Du bist frei. Lauf.
Stolpernd und rutschend bewegte er sich rückwärts. Krabbelte keuchend die Böschung hoch. Lief. Über Moos und Steine, durch Farn und Gebüsch. In den finsteren Wald.
Er kam nicht weit.
Etwas traf seinen Rücken und begrub ihn unter sich. Klauen schlugen sich in seine Schultern. Heißer Geifer tropfte in seinen Nacken.
Die Klauen verwandelten sich in Finger. Harte Finger, die seine Handgelenke packten und ihn herumrissen. Das wutverzerrte Gesicht des Sutherland-Riesen starrte auf ihn nieder.
»Du kleiner Hexer«, knurrte er. Speichel floss über weiße Lippen. »Wie hast du das gemacht? Du dreckige Kröte. Was hast du uns angetan?«
»Nichts!«, rief Cian. »Lass mich los!«
»Das war Magie, richtig?« Die Augen des Riesen weiteten sich. »Ich erkenne Magie, wenn ich sie sehe. Du Dämon. Du hast uns verhext und jetzt ist Liam tot und der MacDonnell auch. Aber ich nicht. Ich werd dich ficken bis dein Arschloch reißt, und dann schlitze ich dir die Kehle auf.«
»Hilfe!«, brüllte Cian. Er wand sich, zappelte, war hilflos. »Hilfe!«
Ein Name schoss in sein Gehirn. Einer, den er schon im Traum geschrien hatte, unter ganz anderen und doch ähnlichen Umständen. Als er sich ebenfalls unter einem gigantischen Körper gewunden hatte.
»Hilfe! Logan!«
Es war schnell vorbei. Es war völliges Chaos. Jeder kämpfte gegen jeden und der Gestank von Blut, Lust und Scheiße verpestete die Luft. Als Logan die letzte Kehle durchbiss, als der andere Wolf zuckend vor ihm in den Schlamm fiel, waren erst wenige Augenblicke vergangen. Warmes Blut benetzte seine Schnauze. Auf der Zunge schmeckte er Eisen und nasses Fell.
Er verwandelte sich und sah sich um. Sieben Leichen lagen hinter ihm im Wasser, eine weitere vor ihm im Schlamm.
»Eine zu wenig«, sagte er und lauschte. Hinter ihm murmelte die rote Strömung. Vor ihm lag der Wald. Er hörte dumpfe Kampfgeräusche. Schreie.
Fast hätte er gelächelt. Da.
Er packte ein herumliegendes Schwert und kletterte die Böschung empor. Nackt rannte er über Moos und Steine. Die Schreie kamen näher. So nah, dass er einzelne Wörter verstehen konnte.
»Hilfe! Logan!«
Seine Brust gefror zu Eis.
Niemand kannte seinen Namen. Niemand wusste, wer er war. Nicht, seit sie sein Rudel ausgelöscht hatten. Warum rief Cian MacKay nach ihm?
Er hätte umdrehen sollen. Wenn er den Schreien den Rücken zugekehrt hätte, hätte er sich eine Menge Ärger erspart. Aber er tat es nicht.
Cian lag unter einem riesigen Sutherland, brüllte und schlug um sich, aber er hatte keine Chance. Die Oberschenkel seines Angreifers drängten seine Beine auseinander. Der Sutherland packte seine eigene Rute, bereit, zuzustoßen. Logan sah seinen haarigen Arsch unter dem Kilt.
»Dämon«, keuchte der Sutherland. »Dir fick ich die verrottete Magie aus dem Leib und dann schlitze ich dich auf, von oben bis unten.«
»Nein, bitte!« Tränen rannen über die Wangen des Kleinen. »Ich bin kein Dämon.« Er stockte, als er Logan erblickte, über die Schulter seines Angreifers hinweg. Die Katzenaugen weiteten sich.
Logans Schwert fuhr in den Rücken des Sutherland, direkt unter dem Schulterblatt, und durchbohrte sein Herz. Der Mann erstarrte. Blut färbte sein Hemd.
Stich tiefer und du durchbohrst auch den Kleinen , flüsterte die Angst in Logan. Er kennt deinen Namen.
Aber er war kein Sutherland und dazu noch ein Omega. Und er sah Logan an. So entsetzt, dass Logan sein Schwert aus dem Rücken des Sutherland riss und ihn zur Seite trat. Herunter von dem blonden Jungen. Der zerzaust und breitbeinig im Moos saß, so schön, dass die Sonne einen Moment lang hinter den zerrissenen Wolken hervorschaute und seine Haare vergoldete.
»Ich wusste, dass du kommst«, flüsterte der Junge. »Ich habe dich gespürt.«
Logans Schwerthand verkrampfte sich.
Magie! , schrillte die Panik in seinem Kopf. Das muss Magie sein!
Er packte den Kleinen am Kragen und riss ihn hoch. Hektischer Atem streifte seine Lippen. Er roch die Angst des Jungen. Todesangst.
»Woher kennst du meinen Namen?«, knurrte Logan.
»Ich weiß nicht«, flüsterte der Junge.
Er leckte sich die Lippen und Logans Wolf knurrte beim Anblick der nassglänzenden Haut laut auf. Fast hätte er den Goldenen ins Moos geworfen und zu Ende gebracht, was der Sutherland angefangen hatte. Er schüttelte sich. Verjagte Bilder, in denen er seinen Prügel in den nassen Mund des Omegas drängte.
»Sag mir, woher du ihn kennst.« Logan packte den Jungen fester. Seine Schwertspitze berührte Cians Bauch. Der zuckte zusammen. »Oder du bist so tot wie dieser Alpha.«
»Aber ich weiß es nicht.« Tränen rannen über gerötete Wangen. Und aus geröteten Nasenlöchern. Cians ganzer Körper bebte. Wie konnte er dabei nur so entzückend aussehen? »Ich weiß es wirklich nicht.«
»Bist du ein Hexer?«, brüllte Logan und schubste Cian gegen den nächstbesten Baumstamm. Der Junge schrie auf und ging in die Knie. »Wenn du einer bist, dann rück sofort raus damit! Es gibt nur eins, das ich so sehr hasse wie diese mondlosen Sutherlands und das sind verdammte Hexer!«
»Ich bin kein Hexer!« Cian stemmte sich hoch. Wut flammte auf und machte seine Züge nur noch schöner. »Und ich habe genug davon, so genannt zu werden! Dieser«, er zeigte auf den toten Sutherland, schaffte es aber offensichtlich nicht, ihn anzusehen, »Kerl hier hat das auch behauptet. Er meinte sogar, ich wäre ein Dämon, nur, um sein eigenes Fehlverhalten zu entschuldigen.«
»Sein eigenes Fehlverhalten?« Logan blieb stehen.
»Er ist ein unbeherrschter Dummkopf«, schnappte Cian. »War ein unbeherrschter Dummkopf. All seine Kameraden waren so.« Seine Stimme wurde leiser. Sein Gesicht blasser. »Sind sie tot?«
»Ja.« Logan betrachtete den Jungen. Er konnte keine Anzeichen für Magie erkennen. Nur einen schlanken Körper, der zitterte und nach Angst stank. Und trotzdem so schön war, dass es beinahe schmerzte. Logan wandte den Blick ab und betrachtete sein Schwert. »Cian. Woher kennst du meinen Namen?«
»Ich weiß es nicht.« Cian hob das Kinn. »Oder doch, ich weiß es: Er ist mir in einem Traum zugeflogen. Aber das glaubst du mir nicht, richtig?«
»Nein.« Logans Schenkel erinnerten sich an einen Traum. Einen, in dem sie zwischen den Beinen des Goldenen gesteckt hatte. In dem Cian seinen Namen gerufen hatte. Heiser und lüstern, während er sich an Logan gerieben hatte wie ein läufiger Köter. »Es sei denn, es war ein Traum, in dem du unter mir gelegen hast.«
»Natürlich nicht.« Cians Wangen waren flammend rot. »Warum behauptest du so etwas? Es war ein vollkommen anderer Traum.«
Natürlich hatte diese Erscheinung keine lüsternen Träume von einer Hackfresse wie ihm. Logan sah ihn lauernd an. »Was für ein Traum war es denn dann?«
»Du warst ein edelmütiger Held.« Cian hob das Kinn noch höher. »Und du hast gute Taten vollbracht. Zum Beispiel hast du mich zurück zum Kloster gebracht. Wer weiß, vielleicht war das ja ein prophetischer Traum.«
»War es nicht.« Logan ließ das Schwert sinken. Er würde es eh nicht schaffen, den Goldenen abzustechen. Nicht, wenn der so hilflos aussah wie ein Blatt im Sturm. »Du bist zu erbärmlich für einen Hexer. Wärst du einer, hättest du mich längst verflucht.«
Cian zog die Schultern hoch und sah zu Boden. »Wenn ich es könnte, würde ich es tun.«
»Was?«
»Nichts!« Cian schrak zusammen. »Nein, gar nichts. Danke für deine Hilfe.«
»Piss dich nicht wieder ein«, knurrte Logan. »Und ich habe dich nicht gerettet. Ich habe Sutherlands getötet. Also die, die du mir übrig gelassen hast.«
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