Aage G. Sivertsen - Magnus Carlsen. Das unerwartete Schachgenie

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Wie ist es möglich, dass der amtierende Schachweltmeister aus Norwegen kommt, einem Land ohne große Schachtradition? Aage G. Sivertsen zeichnet Magnus Carlsens Weg an die Spitze der Weltschachelite nach, der auf den ersten Blick wie Zufall aussieht, sich bei genauerem Hinsehen aber als logische Konsequenz kluger Förderung eines früh erkannten Genies begreifen lässt. Bereits mit 13 Jahren wird Carlsen, geboren 1990, Schach-Großmeister und kurz vor seinem 23. Lebensjahr Weltmeister. Diese Biografie ist die Geschichte eines Jungen, der es ohne Drill zum besten Schachspieler der Welt gebracht hat. Magnus Carlsen spielt Schach, weil es ihm Spaß macht. Hautnah hat Sivertsen das immer wieder vor Ort erfahren, bei wichtigen Wettkämpfen und Turnieren wie in Stavanger, London, Chennai, Dubai, Sotschi und zuletzt in New York. Daneben hat der Autor fast die gesamte Weltelite – darunter vier ehemalige Weltmeister – interviewt. Die wichtigste Grundlage dieses Buches aber sind die zahllosen Gespräche mit Henrik Carlsen, Magnus' Vater. Magnus Carlsen ist ein auch für Laien höchst lesenswertes Buch über ein Schachphänomen, in dem der Autor zeigt, aus welchem Holz Genies geschnitzt sind. Sivertsen bezieht dabei auch die Ereignisse vom Weltmeisterschaftskampf gegen Sergei Karjakin in New York vom 11. bis 30. November 2016 ein.

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Aage G. Sivertsen

MAGNUS CARLSEN

Das unerwartete Schachgenie

Aus dem Norwegischen von Ulrich Sonnenberg und Rainer Vollmar

Titel der Orginalausgabe Magnus Kagge Forlag Oslo 2015 Copyright Aage G - фото 1

Titel der Orginalausgabe:

Magnus

Kagge Forlag, Oslo 2015

Copyright © Aage G. Sivertsen

Published in agreement with

Stilton Literary Agency

This translation has been published

with the financial support of NORLA.

Erste Auflage 2017

© der deutschsprachigen Ausgabe

Osburg Verlag Hamburg 2017

www.osburgverlag.de

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat: Bernd Henninger, Heidelberg

Umschlaggestaltung: Judith Hilgenstöhler, Hamburg

Satz: Hans-Jürgen Paasch, Oeste

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-95510-130-5

eISBN 978-3-95510-138-1

Für Ekaterina

Inhaltsverzeichnis

Boy meets Beast

Magnus als Mozart

Die Erziehung von Genies

Eine kompromisslose Methode

Magnus’ familiärer Hintergrund

Die Schwestern Gara

Die Welt entdeckt den Mozart des Schachs

Zum ersten Mal Vollprofi

Der Sieger Simen Agdestein

Ist Spielstärke altersabhängig?

Malysj

Der Weltbeste

Ratingverluste

Nein zu Kasparow

Mit den Figuren sprechen

In seiner eigenen Welt

Schüler verliert gegen Lehrer

Nummer 10 von hundertachtundzwanzig Großmeistern

Lehrer verliert gegen Schüler

Begegnung mit der Weltelite

Der Nervenkrieg gegen Aronjan

Halsbrecherisches Turniertempo

Heimliche Zusammenarbeit mit Kasparow

Geldsorgen

Glück ist kein Zufall

Kasparow wird entlassen

Der Bruch mit Simen Agdestein

Heimliche Helfer

An der Spitze der Rangliste

Verlegenheit und Berühmtheit

Magnus zieht zurück

Nichts Vergleichbares auf der Welt

Nervenkrieg in London

Kramniks Finte

Besorgte Mutter

Vor der dreizehnten Runde: Psychokrieg

Die dreizehnte Runde: Blut aus einem Stein pressen

Vor der vierzehnten Runde: Crescendo

Eine Stippvisite in der Hölle

Weltmeister in Chennai

Donald Duck und Kartenspiel

Alles oder nichts

Die neunte Partie

Dreifacher Weltmeister

Der Tiger aus Chennai

Das Drama von Sotschi

Das Nervenspiel

Die zweite Partie: Anand überspielt

Die dritte Partie: Der Schock

Die vierte Partie: Magnus stocksauer

Die fünfte Partie: Kontrolle

Die sechste Partie: Ein Geschenk für Anand

Die siebte Partie: Die wissenschaftliche Herangehensweise

Die achte Partie: Magnus schläft

Die neunte Partie: Die Ruhe vor dem Sturm

Die zehnte Partie: Die vorletzte Chance

Die elfte Partie: »All-In«

Magnus Carlsen im Licht von Fischer und Kasparow

»Zwanzig Prozent Schach, achtzig Prozent Psychologie«

Nachwort

Anmerkungen

Anhang:

Schachbegriffe

Literaturverzeichnis

Artikel und Filme

Bildnachweis

Boy meets Beast

Reykjavik, 12. März 2004

Nach dem normalen Open fand in Island noch ein Blitzturnier statt. Dabei kam es zu einer kleinen Schachsensation. Denn Magnus Carlsen schlug den ehemaligen Weltmeister Anatoli Karpow.

Direkt nach der Partie wandte Magnus sich der Tribüne zu, auf der seine gesamte Familie saß. Der dreizehnjährige Junge lächelte und reckte den Daumen nach oben. Seine ältere Schwester Ellen erwiderte die Geste.

Karpow spielte zu dieser Zeit noch immer auf sehr hohem Niveau, und die norwegischen Medien überschlugen sich vor Begeisterung. Insgesamt vielleicht ein wenig übertrieben, aber den norwegischen Journalisten wurde allmählich bewusst, dass sich etwas Großes anbahnte. Allerdings ging es um die Randsportart Schach, nicht um Langlauf oder Fußball. Daher nahm man es nicht richtig ernst – noch nicht.

Am darauffolgenden Tag sollte Magnus gegen Garri Kasparow zum Schnellschach antreten. Kasparow hatte bei dem Blitzturnier den 2. Platz belegt, Magnus war Vorletzter geworden. Aufgrund dieser Ausgangssituation mussten die beiden beim anschließenden Schnellschachturnier gegeneinander antreten. Es war das erste Mal, dass Magnus Carlsen der Schachlegende begegnete.

Karpow war 2004 noch immer stark, aber Kasparow galt weiterhin als bester Spieler aller Zeiten. Er stand auf dem 1. Platz der Weltrangliste. »Boy meets Beast« titelte das Internetmagazin Chess-Base . Der Vergleich David gegen Goliath lag allerdings näher. Der gestandene, ernste, gut gekleidete Kasparow gegen einen Jungen, der mit den Beinen kaum den Boden berührte, wenn er sich an den Tisch setzte.

Magnus Carlsen belegte zu diesem Zeitpunkt Platz 786 der Weltrangliste. Kasparow hatte ein Rating von 2831, während Magnus gerade einmal bei 2484 stand. Die Partie war aussichtslos. Beim Fußball könnte man sie mit dem Spiel einer hervorragenden Erstligamannschaft gegen eine Jugendauswahl vergleichen. Normalerweise würde die Erstligamannschaft zweistellig gewinnen. Ein paarmal vielleicht nur mit sechs oder sieben Toren Unterschied, aber dass sie unentschieden spielen oder gar verlieren würde – undenkbar. Aber Schach ist kein Fußball. Der psychologische Faktor ist weitaus wichtiger und kann dazu führen, dass der Beste sogar gegen einen klar schwächeren Gegner verliert. Dennoch war der Unterschied in der Spielstärke so groß, dass es nahezu utopisch war, auf eine Sensation zu hoffen.

Am Vorabend entschied Magnus, sich mit der Lektüre von Micky-Maus-Heften auf die Partie vorzubereiten. Nach dem langen Open war er noch ein wenig erschöpft, und es gab keinen Grund, sich unnötig unter Druck zu setzen.

Das Schnellschachturnier, bei dem die Spieler eine Bedenkzeit von fünfundzwanzig Minuten für die gesamte Partie zur Verfügung hatten, sollte um 18 Uhr beginnen. Doch ein Spieler tauchte nicht auf: Kasparow. Normalerweise wird die Uhr in Gang gesetzt, und wenn der Gegner nicht rechtzeitig erscheint, hat er die Partie verloren. Der Veranstalter entschied jedoch, Kasparows Uhr nicht anzustellen, denn dem russischen Schachgenie war versehentlich nicht mitgeteilt worden, dass das Turnier an diesem Tag eine Stunde früher begann. Während Magnus gespannt auf den weltbesten Schachspieler wartete, schlenderte er umher und verfolgte die anderen Partien. Nach zwanzig Minuten erschien die Schachlegende. In einem tadellosen blauen Anzug, hellblauen Hemd und mit passender Krawatte. Selbstsicher, eine Hand in der Jackentasche, ging er direkt zum Tisch, an dem Magnus bereits saß. Er erklärte ihm, dass nicht er, sondern der Veranstalter für sein Zuspätkommen verantwortlich sei.

Kurz zuvor hatte Carlsen sich ein Glas Cola geholt. Normalerweise trinkt er Orangensaft, eine volle Flasche stand auch auf dem Tisch, aber er hatte Lust auf eine Cola. Kasparow zog sein Jackett aus und nahm die Armbanduhr ab, legte sie links neben das Brett. Er hatte weder Saft noch ein anderes Getränk mitgebracht. Das Publikum sah einen ehemaligen Weltmeister, der ungewöhnlich nervös zu sein schien. Magnus führte seinen ersten Zug aus, Bauer nach d4. Kasparow berührte sämtliche Figuren, rückte sie exakt so zurecht, wie er sie haben wollte, und verhüllte mit den Händen sein Gesicht, ehe er Bauer nach d5 erwiderte und die Uhr drückte.

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