Buch 1. In der neuen Welt
Kapitel 1: Aufwärmphase
Ich bin Schriftsteller und ich bin ein Schriftsteller, wie er im Buche steht. Mit all den Stereotypen und Marotten. Ich schlafe bis tief in den Vormittag, denn ich meine, unter zehn Stunden Schlaf ist mein Hirn nicht voll leistungsfähig. Mein Hirn ist mein Kapital, ich pflege und hege es. Der Start in den Tag ist langsam und träg. Ich nenne diese Zeit die Aufwärmphase. Ganz so wie ein Sportler seine Muskeln stretchen und bewegen muss, sie auf die kommende körperliche Anstrengung vorbereiten will, um Höchstleistungen zu erzielen, muss ich meinen Hirnkasten auf die zu erhoffende geistige Höchstleistung vorbereiten und das braucht seine Zeit.
Nach einer ausgiebigen heißen Dusche streife ich mir gemütliche, aber dennoch elegante Kleidung über. Durchaus ein Nadelstreifenanzug, der etwas locker über den Hüften sitzt. Lege mir einen weißen Schal um den Hals, ganz unabhängig von der Außentemperatur, denn ich meine, der weiße Schal ist ein Muss für einen Schriftsteller, wie die Zwiebel das Mettbrötchen veredelt: es sieht besser aus und schmeckt doppelt gut. Den schwarzen Hut noch schnell auf den Kopf, um die nahende Glatze zu verstecken und der wichtigste Teil der Hirnaufwärmphase steht unmittelbar bevor, das auffallend üppige Frühstück in meinem Stamm-Café.
Die U-Bahnfahrt dorthin, das Café befindet sich auf der anderen Seite der Stadt, verbringe ich mit lesen. Für gewöhnlich überfliege ich meine Manuskripte und korrigiere das Geschriebene vom Vortag. Es kommt vor, dass ich mir denke: Was hast du dir dabei nur Gedacht, das ist ja furchtbar, das kannst du nicht mal in den Müll schmeißen, sonst besteht die Gefahr, dass es dort jemand rausfischt, liest und dir um die Ohrenhaut! Und dann sind da die Momente: Wow, das ist Nobelpreis verdächtig! Nur der Preis, der lässt noch auf sich warten.
Wie dem auch sei. Mein Hirn fängt an kreativer zu werden, aufnahmebereit, die Produktion startend, lechzend sich zu entfalten und wird spürbar warm. Ich steige also aus der Bahn, nehme die Treppe, Stufe um Stufe, nicht die Rolltreppe, ziehe den Hut ins Gesicht, denn an der Oberfläche schneit es, biege um die Ecke und erblicke durch den weißen Vorhang gerade mein Café, als ich schwuppdiwupp auf dem Rücken liege. Der Schnee rieselt mir ins Gesicht und ein großer schwarzer felliger Kopf mit zwei plüschigen Schlappohren beugt sich über mich, um mir schwanzwedelnd die Eiskristalle von der Nase zu schlecken…und hier beginnt die Geschichte dieses Buches!
Unter der frischen Schneedecke hat sich hinterlistig eine gefrorene Pfütze versteckt. Ich konnte nicht umher, als treffsicher in diese Falle zu tappen, welche mich aufs Kreuz legte. Die Nässe kriecht durch den Anzug und ist schon fast am Schlüpfer angekommen, da verschwindet das schwarze Fellknäul aus meinem Gesichtsfeld und eine nackte Hand streckt sich mir entgegen. Ich ergreife sie und dank eines spürbar kräftigen Ruckes stehe ich wieder auf meinen Füßen. Etwas wackelig, aber im Winter ist die Vertikale doch angenehmer als die Horizontale.
Und da sehe ich die Beiden vor mir: der große schwarze Hund und am anderen Ende der Leine der junge Mann, welcher mir auf die Beine geholfen hat. Er entschuldigt sich sofort, dass sein Hund mich abgeschleckt hat und fragt nach meinem Befinden. Alles sei okay, erwidere ich und beuge mich wie durch eine magische magnetische Kraft zum Hund runter, um sein unglaublich plüschiges Fell durch zuwuscheln. Er fängt an noch kräftiger zu wedeln, schmeichelt seinen mächtigen Kopf an meine Hüfte und blickt mich mit zwei dunkelbraunen Augen liebevoll an. Wie kann ein Hund nur so fellig seien, denke ich mir, und so einen verzaubernden Blick aufsetzen. Eine Neufundländerin ist es und hört, meistens, auf den Namen Aqua, klärt mich der junge Mann auf. Er wirkt etwas in Eile und verabschiedet sich mit einem schnell an mir vorbei schweifendem Blick. Es scheint mir fast so, als wenn ihm die Situation unangenehmer wäre als mir, der eine ungewollte Slapstick Nummer auf einer belebten Straße absolvierte.
Ich beobachte die Beiden, wie sie ohne sich umzudrehen die Treppe zur U-Bahn runter gehen. Der junge Mann aufrecht stolz und die Neufundländerin Aqua etwas tapsig Stufe um Stufe. Ich bin etwas aus der Spur, sammle mich aber wieder schnell und erreiche in wenigen Schritten das ersehnte Café, wo ein heißer Kaffee auf mich wartet. Das Bild der Beiden hat sich in meine Sinne eingebrannt. Dass muss sie sein, schwelge ich innerlich, das muss die erhoffte Inspiration sein. Schon des Längeren ringe ich mit mir und meiner Muse, dieses Luder. Weiß einfach nicht, wie ich eine neue Geschichte anfangen soll. Der Mann mit dem bärigen Hund, das könnte eine Geschichte sein. Unweigerlich spielt sich der Film „A Boy and His Dog“ vor meinem inneren Auge ab. In dieser Art etwas auszutüfteln, dass könnte der neue Beststeller sein und mich etwas näher an den Nobelpreis heranführen. Das Endzeitszenario und die Telepathie lass ich einfach weg. Eine Kommunikation einfach mit den Augen, den Sinnen, mit Gefühlen, das wäre doch eine tolle Story.
In Gedanken versunken, ich sehe mich gerade den Preis entgegennehmen und überlege, was ich wohl sagen soll, setze ich mich an einen der wenigen freien Tische im Café. Ziehe gerade meinen rechten Arm aus dem Ärmel der Jacke, werde aber je aus meinen Schwärmereien gerissen, als ich auf dem Stuhl gleich neben mir ein schwarzes in Leder gebundenes Büchlein liegen sehe. Ich schaue mich um, aber niemand scheint auf der Suche, alle sind in Gespräche versunken oder spielen mit dem Smartphone. Da fährt meine Hand auch schon aus und schnappt sich dieses Büchlein, tastet es ab, dreht es um die eigene Achse, um es schließlich aufzuklappen. Wie sich herausstellt, ist es ein Tagebuch, denn gleich auf der ersten Seite stehen ein Name und die zeitlichen und örtlichen Begebenheiten. „Malcolm Dreibuchenhain, Australien, 06. November 2011 bis…“Ja, ich weiß, ich sollte es gleich wieder zu schlagen, aber ich kann nicht anders. Wie im Rausch blättere ich zur nächsten Seite und beginne den ersten Eintrag zu lesen:
Tag 0 Nov.6/11
Flughafen Frankfurt:
Es ist soweit…nach einem Jahr planen und warten…warten und träumen…träumen und arbeiten…und träumen…sitze ich hier am Flughafen Frankfurt… Gate ① vor Augen…und den Traum…bleiben noch zwei Stunden zu warten…werde ich einen Job finden? Wird der Plan aufgehen…mein Traum…muss an Katharina denken…du fehlst mir…sich erfüllen?
Nur…welcher Traum? Was suche ich? Wartet er in München?
‚Eine innere Unruhe ist’s, die mich zum Aufbruch zwingt′
schrieb ich einst…
‚Das Glück…es winkt′
ich hoffe doch!
Der Tag war bisher perfekt Super Wetter mit 15 Grad und Sonnenschein…und das im November…alles läuft glatt…ich hoffe nicht zu glatt…
Flugzeug:
Sehr eng…man man man
Sehr geil…yeah yeah yeah
Fliege nun seit zwei Stunden und sind in der Nähe des Schwarzen Meeres…neben mir der Platz ist frei geblieben…ich Glückskind! Kann die Beine etwas ausstrecken…Kann‘s immer noch nicht glauben…ich sitze wirklich im Flugzeug nach Australien…es ist jetzt kurz vor ein Uhr in der Nacht nach mitteleuropäischer Winterzeit…Unfassbar…der Weg bis hier her…Magisterarbeit die 2te…Klausur 1&2, mündliche Prüfungen…die fantastische Arbeit im Hostel Munich…aufgehört nach fünf wundervollen Jahren…ich weinte…ich freue mich diese tolle Zeit erleben zu dürfen…Katharina…der Umzug…der Kulturschock Bad Salzweiler…neue Arbeit suchen…aufm Bau…am Fließband…der freie aber komische Oktober…und immer wieder Katharina…jetzt sitze ich hier…es sind noch über 8.000 km…aber ich bin am Ziel…was nun kommt…ich werde sehen…
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