Amadeus verdiente viel Geld. Er hatte ein unkompliziertes Verhältnis zum Geld und war gewöhnt, dass sich das meiste von allein regelte. Was nicht immer der Fall war.
Seit Magnus Carlsen ein Weltstar im Schach ist, führt er ein Luxusleben. In den letzten fünf, sechs Jahren hat er Millionen verdient, Geldsorgen sind kein Thema. Im Gegenteil, er fährt die schicksten Autos, fliegt Business Class, wohnt in den teuersten Hotels und besucht zwischendurch die Finanzelite. Seine Begegnungen mit Milliardär Bill Gates oder Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und sein Auftritt in einer populären norwegischen Talkshow erinnern an Mozarts Einladungen bei Hofe.
Amadeus wurde von den meisten europäischen Höfen eingeladen. Sein ohnehin großes Selbstvertrauen wurde dadurch nicht unbedingt kleiner. Immer wieder wies er darauf hin, wie gut er komponieren und spielen konnte.
Auch Magnus verhehlt nicht, wie gut er ist. Nachdem er 2009 in China eines seiner besten Turniere gespielt hatte, erklärte er: »Ich will das Schachspiel auf ein neues Niveau heben.«
Beide Söhne gehorchten ihren Vätern. Über Magnus lässt sich sagen, dass sein Vater die wichtigste Person in seiner Karriere war und ist, aber er legt großen Wert darauf, dass die ganze Familie ihm sehr viel bedeutet.
Leopold Mozart wollte streng genommen immer die volle Kontrolle über seinen Sohn haben. Das wurde mehr oder weniger unmöglich, nachdem Amadeus erwachsen geworden war. Leopold Mozarts Ambitionen waren extrem hoch, und er wusste, was er verlangte. Vielleicht sind auch Henrik Carlsens Ambitionen extrem hoch gewesen. Dann allerdings hatte er die ungewöhnliche Eigenschaft, sie gut verbergen zu können. Im Gegensatz zu vielen Eltern, die oft weit größere Ambitionen haben als ihre Kinder, ist Henrik Carlsen ungewöhnlich gelassen. So sieht es zumindest aus. An dieser Stelle muss eine Episode aus dem Film Searching for Bobby Fischer erwähnt werden, bei der mehrere Eltern bei einem Kinderschachturnier einen geradezu hysterischen Eindruck hinterlassen. Leider ist es tatsächlich so, dass viele junge Schachspieler wie dressierte Hunde wirken. Die Eltern wollen, dass sie gut werden.
Da es eine Reihe von Publikationen gibt, die auf Wolfgang Amadeus Mozarts Briefen basieren, ist die Quellenlage sehr gut, um sein musikalisches Genie zu beurteilen. Die Briefe belegen, dass er sich jahrelang in einem geradezu euphorischen Zustand befand, sie beschreiben eine tiefe Freude und beweisen, dass er sich als unabhängig und souverän wahrnahm.
Magnus Carlsen hat seit seinem dreizehnten Lebensjahr nahezu nichts anderes getan, als Schachpartien zu gewinnen, und seine Freude, Schach spielen zu dürfen, ist ganz offensichtlich. Sein Selbstvertrauen scheint unübertroffen.
Einer der größten Feinde des Musikers ist die Nervosität. Dasselbe lässt sich von Schachspielern sagen. Beim Schach ist Selbstvertrauen für den Erfolg von entscheidender Bedeutung. Mozart strahlte auf der Bühne Selbstsicherheit aus, und das gilt auch für Magnus, wenn er sich bei wichtigen Partien in Zeitnot befindet und von tausenden Zuschauern beobachtet wird. Auch auf diesem wichtigen Gebiet gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen ihm und Mozart.
»Jedes Kind kann mit der richtigen Anleitung überragende Resultate in einem beliebigen Bereich erreichen.«
Lászlo Polgár
Kann ein beliebiges Kind unabhängig von Geschlecht und Abstammung Höchstleistungen in einem beliebigen Bereich erbringen? Spielt es eine Rolle, ob die Eltern oder ein Familienmitglied eine höhere Bildung haben? Ist eine Voraussetzung, damit aus einem Kind ein guter Schachspieler wird, dass ein Elternteil oder beide Eltern gute Schachspieler sind?
Eine kompromisslose Methode
Das extremste Beispiel aus der Schachszene sind die drei ungarischen Schwestern Susan, Sófia und Judit Polgár. Ihr Vater Lászlo Polgár behauptet in seinem Buch Die Erziehung von Genies , dass jedes beliebige Kind enorme Resultate in einem beliebigen Bereich erreichen könne. 4Voraussetzung dafür ist seiner Ansicht nach, dass die richtigen Grundlagen geschaffen werden müssen und dass fehlende angeborene Eigenschaften durch harte Arbeit ausgeglichen werden.
Diese Theorie ähnelt ein wenig der Überzeugung Malcolm Glad-wells, der behauptet, es seien zehntausend Trainingsstunden notwendig, um in einer Sportart in die Spitze vorzustoßen. In seinem Buch Überflieger versucht Gladwell zu erklären, welche Komponenten nötig sind, um Erfolg zu haben. Er führt mehrere gute Beispiele an, warum man über einen Zeitraum von zehn Jahren etwa diese Stundenzahl qualitativ hochwertiger Trainingseinheiten absolvieren muss, um in einer Sportart extrem gut zu werden.
Auch Magnus Carlsen hatte laut Angaben seines Vaters ungefähr zehntausend Stunden mit Schach verbracht, als er mit fünfzehn Jahren in die erweiterte Weltelite vordrang.
László Polgár hatte sich von vornherein für ein Experiment entschieden. Er suchte eine kluge Frau, die ihm sechs Kinder gebären sollte, und er wollte jedes dieser Kinder auf einem bestimmten Gebiet zu einem Genie erziehen. Es wurden schließlich nur drei Kinder, alles Mädchen, aber alle wurden ab ihrem vierten Lebensjahr systematisch zu Schachspielerinnen ausgebildet. Später wurden sie von der Schule genommen, spielten acht bis zehn Stunden am Tag Schach und reisten mit ihrem Vater zu Turnieren. Alle drei Mädchen erreichten die Weltspitze bei den Frauen. Die Jüngste, Judit, war der Konkurrenz vollkommen überlegen. Ihr gelang es sogar, in der Weltrangliste der Männer unter die besten Zehn zu kommen. Ein ziemlich ungewöhnliches Experiment, das mit einem aufsehenerregend guten Ergebnis endete.
Damit ein solches Unterfangen gelingt, muss das jeweilige Kind vermutlich bessere Voraussetzungen als andere mitbringen. Beim Beispiel der Polgár-Schwestern darf man ihre Eltern nicht vergessen. Beide verfügten über eine hohe Bildung, und zweifellos lagen ihre Veranlagungen und Fähigkeiten über dem Durchschnitt. Der Vater war Ingenieur, die Mutter ausgebildete Lehrerin. László Polgár war ein leidenschaftlicher Schachspieler mit einer Spielstärke auf dem Niveau Henrik Carlsens.
Allerdings zeigt sich, dass kein Elternteil zwangsläufig eine hohe Elo-Zahl haben muss, damit das Kind ein guter Schachspieler wird. Unter den hundert besten Spielern der Welt gibt es niemanden, dessen Vater oder Mutter den Titel eines Großmeisters errungen hat. Nur ein Spieler hat einen Vater, der Internationaler Meister (IM) ist: der ukrainische Großmeister Pavel Eljanow.
Es gab auch nie einen Weltmeister, dessen Eltern besonders gute Schachspieler waren. Dagegen ist bei Eltern von Weltmeistern sehr häufig ein höheres Bildungsniveau festzustellen. Dies deutet darauf hin, dass es beim Schach – im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten – kein Vorteil oder gar eine Voraussetzung ist, dass die Eltern selbst zur Weltspitze zählten. Im Gegenteil, offenbar ist es sogar ein Nachteil, und zwar in dem Sinne, dass die Motivation möglicherweise nachlässt, wenn man es nicht schafft, den eigenen Vater im Schach zu schlagen.
Judit Polgár meint: »Die Entwicklung in den ersten sechs, sieben Jahren der Kindheit ist für einen Schachspieler extrem wichtig. Es ist so gut wie unmöglich, unter die Besten der Welt zu kommen, wenn man als Kind nicht von Anfang an Kreativität und intellektuelle Fähigkeiten beigebracht bekommt. Schach war unsere Muttersprache.« Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg, ob Judit Polgárs Behauptung stimmt. Wahrscheinlich aber schon.
Eine Besonderheit des Polgár-Experiments war, dass es sich bei den Probanden um Mädchen handelte. Man sollte meinen, dass Mädchen und Jungen bei der Geburt die gleichen Voraussetzungen mitbringen. Falls das zutrifft, müssten Mädchen sich genauso gut wie Jungen behaupten. Das ist definitiv nicht der Fall. Judit Polgár ist die einzige Schachspielerin, die sich jemals in der männlichen Weltelite etablieren konnte.
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