»Ja, des Gott, ich sehe und höre, daß Ihr Musketen habt, nur immer zu, stützt Euch darauf, macht Ihr wollt, erwägt aber auch, daß meine Leute Pistolen haben, vortreffliche Pistolen, auf fünfzig Schritt, fehlt keiner seinen Mann, und Ihr steht nur fünfundzwanzig entfernt, macht also was Ihr wollt, es hängt wieder nur von Eurem Belieben ab.«
»Tod den Verräthern,« schrien die erbitterten Bürger, durch Tillys geringschätzende Aeußerungen, zum Bewußtsein ihrer Ohnmacht gelangt.
»Geht,« rief dieser abermals, »Ihr fängt an, bedeutend langweilig zu werden, ich höre gar nichts anders als fortwährend diese alte Leier.«
Hierauf sprengte er auf seinen früher innegehabten Posten ohne sich auch nur im Entferntesten um den immer steigenden Tumult zu kümmern.
Und dieses gereizte, wüthende Volk, diese nach Blut dürstende tobende Menge, ahnte in dem Augenblicke wo es ein Opfer für seine Rache forderte, nicht im geringsten, das hundert Schritte von dem Platze sich zwischen Fußgehern, Wagen und Reitern, ein zweites dem gleichen Schicksale bestimmtes Wesen, gleichsam als habe es Eile, seinem Verhängnisse in die offenen Arme zu eilen, nach dem Buytenhoff durchdrängte. Johann von Witt war nämlich, so eben in der Nähe des Platzes aus einem Wagen gestiegen, und beeilte sich, blos von einem Diener begleitet, das Gefängniß zu erreichen. Es gelang ihm glücklich, ein Zufall führte ihm gerade den Gefangenenwärter, den er übrigens zu kennen schien, entgegen:
»Guten Tag, Gryphus !« redete er denselben an, »ich komme, um meinen Bruder abzuholen, der, wie Du weißt, zum Exil verurtheilt wurde.«
Der Gefangenenwärter, eines jener öden, gefühllosen und kalten Wesen, dessen ganze Bestimmung größtentheils im Auf- und Zumachen der Gefängnißthüren besteht, grüßte den Ankommenden ehrerbietig, und öffnete ihm sodann die Thüre eines langen Ganges. Kaum waren jedoch beide zehn Schritte in demselben vorgegangen, als sie ein beiläufig achtzehn Jahre altes, in ihrer vollsten Blüthe dastehendes und reizendes Mädchen trafen. Sie verbeugte sich eben so ehrfurchtsvoll vor Johann , der ihr freundlich das Kinn berührte:
»Guten Tag, meine liebe Rosa, wie geht es meinem Bruder?«
Das Mädchen vermochte es nicht, eine Thräne, die langsam dem großen, schwarzen Auge entquoll, zurück zu halten, und gleichsam, als wollte sie einer unangenehmen Beantwortung, der an sie gerichteten Frage, ausweichen, erwiderte sie:
»O! mein theurer Herr, ihr kennt die Qual und Angst meines Herzens nicht. Nicht das schmerzt mich, was man Eurem Bruder bereits angethan, denn all’ dieß Leid hat er kühn und muthig, überstanden.«
»Nun, und was befürchtest Du dann, mein schönes Kind?«
»So viel, so unendlich viel, all’ das Böse, .nämlich, das man ihm noch anthun will.«
Johann’s offener Blick umdüsterte sich.
»Du fürchtest, oder meinst, das Volk — habe ich recht?«
»Ja, ja, hört Ihr es denn nicht?«
»Fürchte Dich nicht, mein liebes sind. Das Volk ist aufgeregt, aber sobald es uns nur sehen, sobald es sich der Wohlthaten, die es aus unsern Händen empfing, erinnern wird, vergißt es Alles, und beruhigt sich auch.«
Das Mädchen richtete einen fragenden Blick auf den Ex-Großpensionär, der eine ganze Welt von Zweifeln in sich schloß; dann einem Winke ihres Vaters gehorchend entfernte sie sich nach einer entgegengesetzten Seite.
Johann war ergriffen. Die unerwartete Tiefe von Nachdenken und Welterfahrung, die in diesem einzigen Blicke verborgen lag, bei einem Mädchen, das nicht einmal des Lesens mächtig, nur der unmittelbaren Stimme ihrer unverdorbenen kräftigen Natur folgte, schien ihm in diesem Augenblicke beinahe die Eingebung einer höhern Macht, die oft auf unerklärbare Weise dem:: Erwählten einen Blick in die dunkle Zukunft gestattet.
Aber seine Augen ganz wieder der unverwüstbar grünenden Palme der Hoffnung zuwendend, schritt er mit derselben kalten Ruhe nach dem Zimmer seines Bruders.
Rosa’s Muthmaßungen und Vorgefühle, sollten allem Anscheine nach, eine traurige, eine furchtbare Verwirklichung erhalten. Während Johann von Witt am Ende des Ganges angelangt, langsam die steinerne Treppe hinaufstieg, die zu dem Gefängnisse seines Bruders führte, boten die Bürger von der immer wachsenden Volksmasse auf das thätigste unterstützt, Alles auf, die Soldaten von ihrem Platze zu verdrängen.
Diese Bemühungen einer, wenn auch nicht mit der Führung der Waffen ganz vertrauten, aber doch damit hinreichend ausgerüsteten, und in dem Augenblicke ihrer höchsten Erbitterung durch ihre numerische Uebermacht auch zu fürchtenden Partei, erfreute sich bald der ungetheilten Theilnahme, jener immer größer werdenden Masse, genannt Volk.
»Es leben die Bürgert« schrie das Letztere, den Muth derselben nur noch mehr weckend.
Tilly eben so fest als klug, übersah mit einem einzigen Blicke seine gefährliche Lage. In Verbindung, mit der nun gegen ihm auftretenden Bürgerwehr wäre es ihm ein Leichtes gewesen, die anmaßenden Forderungen des Pöbels, ernst und strenge zurückzuweisen, so aber auf eine verhältnißmäßig, gegen den Andrang nur geringe Macht beschränkt, sah er sich genöthigt, wo möglich, auf dem Wege der Vermittlung, jedem Zusammenstoße der beiden Parteien vorzubeugen, und seine schwierige Aufgabe ehrenvoll zu lösen. Angesichts seiner Escadron, die noch immer mit jenem, dem erprobten Krieger eigenen Phlegma, die geladenen Pistolen in der Hand, gleich einer Anzahl neben einander gereihten Statuen dastand, erklärte er der Bürgercompagnie, das er von den Ständen den Befehl erhalten habe, das Gefängniß, so wie den Platz vor demselben zu bewachen.
»Warum einen solchen Befehl? wozu das Gefängniß bewachen?« riefen die Orangisten einstimmig.
»Ihr verlangt da viel zu wissen,« erwiderte Tilly , dessen Züge ihren heitern, spöttischen Ausdruck behielten. »Ihr verlangt da etwas zu wissen, was ich selbst nicht weiß. Ich erhielt den Befehl, das Gefängniß zu bewachen, und befolge ihn nun auch, ohne mir den Kopf darüber zu zerbrechen, warum es geschieht?«
»Wir wissen aber, daß Ihr diesen Befehl erhieltet, um den Verräthern sicher aus der Stadt zu helfen.«
»Das ist wohl möglich, da ich in Erfahrung brachte, daß die Verräther nur zur Verbannung verurtheilt sind.«
»Aber wer hat Euch diesen Befehl gegeben?«
»Von den Ständen erhielt ich ihn, um Eure Neugierde ganz zu befriedigen.«
»Die Stände sind Verräther!«
»Das kann sein, ich weiß es nicht, das mußt Ihr Ebenfalls besser wissen.«
»Aber Ihr verrathet uns auch!«
»Ich?«
»Ja, Ihr.«
»Die Sache wird immer possirlicher. Meine Herren, verständigen wir uns? Es handelt sich darum, zu beweisen, wen ich eigentlich verrathe? Die Stände! das ist wo unmöglich, denn ich stehe in ihrem Dienste und Solde, und bemühe mich gerade in diesem Augenblicke, dem durch sie erhaltenen Befehle pünktlich nachzukommen.«
Diese Beweisführung, gegen die sich auch nicht die kleinste Einwendung vorbringen ließ, erbitterte die Menge, die nun einsah, auf keine Art den Soldaten los werden zu können, so sehr, daß sie die ganze Wucht ihrer Drohungen und Schimpfnamen gegen den Grafen wälzte, der aber noch immer unverändert, einer aus Erz gegossenen Figur ähnlich, all’ diesen Gemeinheiten, Kälte und Ruhe, mit einer sarkastischen Höflichkeit in Verbindung, entgegensetzte.
»Nun, meine Herren,« begann der Graf nach einer Pause, in welcher die Kehlen der größten Schreier, den an sie gerichteten Forderungen nicht mehr entsprechen wollten, »folgt einem neuen, guten Rath, den ich Euch hier aus väterlicher Vorsorge mittheile. Habt die besondere Gefälligkeit, und entlade Euere Gewehre denn es könnte eines oder das andere, ohne irgend einer bösen Absicht, ganz aus Laune und Zufall, losgehe, und einen meiner Soldaten verwunden. Dann bliebe aber auch mir nichts anderes übrig, als durch einen einzigen Wink, einigen Hunderten von Euch, den Weg zur Ewigkeit abzukürzen, was mir sehr unlieb wäre, umso mehr, da ich voraussetze, daß es nicht in Euerer Absicht liegt, mich zu beleidigen.
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