»Ich habe uns Planters Punch bestellt, Liebling. Ich hoffe, daß es dir recht ist.«
»Ja, natürlich.«
Immer neue Gäste kamen die Treppe herunter, lachend, plaudernd, aber nur schemenhaft sichtbar. Man konnte Abendkleider und funkelnden Schmuck eher erahnen als sehen. Balinesische Masken lächelten, umrankt von großblütigen bunten Girlanden, von den Wänden.
»Hier gefällt’s mir«, meinte sie.
»Wenn du willst, können wir öfters ausgehen.«
»Lieb von dir«, sagte sie, ohne ihm zu glauben. Sie zweifelte nicht an seinem guten Willen, aber sie wußte, daß es mit ihm nicht anders sein würde, als mit Harry. Zu oft arbeitete er bis in die Nacht, und zu oft kam es auch noch spät zu einer unvorhergesehenen Besprechung. Sie kannte das.
Die Drinks, üppig mit exotischen Früchten dekoriert, wurden serviert. Sie probierten, tranken sich zu. Bernhard bot Sabine Zigaretten an, gab ihr Feuer und zündete sich ebenfalls eine an.
Sie wußte, er würde nicht auf ihre Auseinandersetzung von vorhin zurückkommen, dazu war er zu diplomatisch. Auch eine Bemerkung, die ihr ermöglichen würde, das Thema noch einmal aufzugreifen und ihm ihren Standpunkt klarzumachen, war nicht von ihm zu erwarten. Stefanie hatte sie versprochen, in einer knappen Stunde zu Hause zu sein. Es blieb Sabine nichts übrig, als ohne große Vorrede die Sache zur Sprache zu bringen. »Ich habe dir noch nicht erzählt«, sagte sie unvermittelt, »daß ich wahrscheinlich für ein Jahr nach Genf gehe.«
Bernhard verzog keine Miene. Wenn diese Eröffnung ein Schlag für ihn gewesen war, so ließ er es sich nicht anmerken.
Wider Willen bewunderte sie ihn für seine gute Haltung und berichtete hastig die Einzelheiten. Jetzt, da das Schlimmste überstanden war, fiel es ihr nicht schwer, die richtigen Worte zu finden.
»Wann?« fragte er endlich.
»Nicht sofort. Anfang August, würde ich sagen. Ich muß ja zuerst noch mein Französisch aufpolieren, aber andererseits sollte Stefanie rechtzeitig zum neuen Schuljahr in der Schweiz sein.«
»Und seit wann weißt du es?«
»Baumgartner hat mir Anfang der Woche das Angebot gemacht.« Versöhnlich legte sie die Hand auf seinen Arm. »Am Telefon konnte ich es dir nicht sagen, und ich wollte mir auch erst darüber klarwerden, was ich selber will.«
Er hob die Augenbrauen und fragte mit leiser Ironie: »Und jetzt weißt du es?«
»Ich wollte immer schon ins Ausland. Schon als Kind habe ich mir das gewünscht. Nicht einfach eine Reise in die Fremde machen, sondern dort leben – in Frankreich, England, Italien oder sonstwo. Jetzt ist eben die Schweiz daraus geworden.«
»Und was ist mit uns?«
»Uns kann ein bißchen Abstand ganz gewiß nur guttun. Unsere Beziehung ist irgendwie – ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll – festgefahren. Hast du das selbst noch nicht gemerkt?«
»Nein. Keineswegs. Was ich merkte, ist nur, daß du dich mir entziehst.«
»Aber warum sollte ich das? Gib mir einen einzigen plausiblen Grund dafür an!«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
»Du bist mir zu nah, schon zu vertraut, bevor…« Sie unterbrach sich. »Ich weiß jetzt schon, daß ich wahnsinnige Sehnsucht nach dir haben werde. Ich werde dir schreiben. Außerdem gibt es ein Telefon, und natürlich besuchst du uns in Genf. Ein Jahr ist doch gar nichts, weniger als nichts.«
»Und was wird aus deiner Wohnung?«
Sabine hätte unendlich erleichtert sein müssen, daß er so nüchtern reagierte. Doch verwundert stellte sie fest, daß es sie enttäuschte. »Du weißt, sie gehört mir. Harry hat sie gekauft. Ich werde sie natürlich behalten.«
»Du könntest sie möbliert vermieten.«
»Das habe ich mir auch schon überlegt. Aber das will ich nicht. Wenn erst einmal fremde Leute drin waren, würde es nie mehr sein wie früher.«
»Es würde dir einen schönen Batzen Geld bringen.«
»Stimmt. Aber das habe ich zum Glück ja nicht nötig. Wenn ich die Wohnung so lasse, wie sie ist, weiß ich, daß ich jederzeit zurückkommen kann. Vielleicht gefällt’s mir ja auch gar nicht in der Fremde.«
»Das will ich dir trotz allem nicht wünschen.«
Sabine sah ihn aus großen Augen an. »Wirklich nicht?«
»Glaubst du, ich würde wünschen, daß du auf die Nase fällst?« Er lächelte mit schmalen Lippen. »Für so schäbig wirst du mich doch wohl nicht halten.
»Natürlich nicht. Ich weiß, du bist ein wunderbarer Mann! Ich habe nie bezweifelt, daß…«
Bernhard fiel ihr ins Wort. »Das war kein fishing for compliments , Liebling. Hör, bitte, auf damit! Trink aus! Es ist schon spät.« Er winkte dem Ober. »Bitte, zahlen.«
Am nächsten Morgen – es war ein Samstag – schliefen Sabine und Stefanie aus und gönnten sich dann einen Brunch in ihrem geliebten Alkoven. Sabine, die die Mahlzeiten hergerichtet hatte, war schon geduscht, frisiert und angezogen, ihre Tochter noch zerstrubbelt in Schlafanzug und Bademantel.
Stefanie gähnte herzhaft, während sie die Schale eines weichen Eis mit der Rückseite des Löffels zerklopfte.
»War es wenigstens schön gestern abend?«
Sabine hatte sie in der Nacht ganz rasch zu Bett gebracht und sich auf keine Unterhaltung mehr eiligelassen. Jetzt nahm sie einen Schluck Kaffee und sagte: »Wie man’s nimmt.«
Stefanie pellte die Schale ab und legte sie auf den Rand des Eierbechers. »Was soll das heißen?«
»Ich glaube, ich habe einen Riesenfehler gemacht.« Stefanie tat uninteressiert. »Ach ja?«
»Ich habe Bernhard erzählt, daß wir nach Genf gehen.«
»Und? Wie hat er reagiert?«
»Ziemlich gleichgültig.«
»Das sieht ihm ähnlich.«
»Du mußt das verstehen, Liebes. Ich wollte dich nicht überfahren, aber da ich es ihm nun einmal sagen mußte, wollte ich nicht mit ›vielleicht‹ oder ›faiis‹ kommen, sondern ihn vor vollendete Tatsachen stellen.«
»Hm, hm.« Stefanie trank einen Schluck Kakao und leckte sich anschließend die Lippen ab.
»Wenn dann doch nichts daraus wird, kann ich es ihm ganz leicht erklären. Besser als anders herum.«
»Du hast gedacht, er würde protestieren?«
»Ja.«
»Vielleicht hast du es dir sogar gewünscht.«
»Also wirklich, Stefanie! Spiel jetzt bloß nicht die Amateurpsychologin!«
»Ich versuche bloß dich zu verstehen, und ich sage dir, Mutti, das ist nicht so einfach.« Stefanie biß laut vernehmlich in ihr Toast mit Butter.
»Ganz verstehe ich mich ja selber nicht. Bernhard ist wirklich der ideale Mann zum Heiraten!«
Stefanie hatte ihren Toast hinuntergeschluckt. »Falls die Ehe überhaupt dein Ideal ist.«
Sabine mußte lachen. »Sehr, sehr weise, Liebes!«
»Ich bin ja schließlich nicht weltfremd. Ich höre und lese, wie es so zugeht. Die meisten Ehepaare streiten sich dauernd.«
»Das hast du bei Papi und mir nicht erlebt!«
»Stimmt. Mit euch beiden ging es prima. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß ihr euch scheiden lassen könntet – viele Kinder tun das nämlich, Mami, es ist nicht so, als wenn sie sich für die Geschichten der Erwachsenen nicht interessieren würden.« Sie redete munter weiter, während sie aß und trank. »Aber jetzt, nachträglich, denke ich, muß es doch manchmal ziemlich langweilig für dich gewesen sein. Wenn Bernhard zu Besuch kam, zum Beispiel. Dann gab es zuerst ein feines Essen, für das du dich abgerackert hast. Alles war immer so vorbereitet, daß du nicht bis zum letzten Moment in der Küche stehen mußtest, sondern auch noch Zeit hattest, dich schön zu machen. So war es doch, oder? Dann bekommst du einen Haufen Komplimente für dein gutes Essen und dein Aussehen, alles war Heiteretei. Aber kaum war das Essen vorüber, zogen sich die beiden Herren in Papis Arbeitszimmer zurück, und das Schachbrett wurde aufgestellt. Was für dich übrigblieb, war der Abwasch und Aufräumen. Ich durfte dir nicht mal helfen, denn für mich war’s Zeit zum Schlafengehen. Wenn du mit allem fertig warst, die Hände gewaschen und eingecremt, die Lippen nachgezogen, ein bißchen Puder auf die Nase getan hattest, durftest du ihnen Gesellschaft leisten, vorausgesetzt, daß du nicht störtest. Schachspielen erfordert nämlich, wie jedermann weiß, äußerste Konzentration.« – Stefanie legte eine Pause ein, um sich die Finger abzuschlecken.
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