Plötzlich schreckte uns Nicos Stimme aus unserer Beschaulichkeit.
»Hol mal das Fernglas raus, Paps! Drüben über der Seewand schwebt ein größerer Vogel. Das könnte ein Bussard sein!«
Doch bevor ich das Glas aus dem Futteral hatte, war der Vogel bereits dem hinteren Teil des Sees zugeglitten. Und vor der dunkelgrün aufstrebenden Seewand war die Zeichnung seines Gefieders nicht zu erkennen. Immerhin: der Größe nach war es wohl ein Mäusebussard. Aber: gab es die hier oben überhaupt? Eigentlich lag ihr Hauptverbreitungsgebiet in der Nähe von Feldfluren, ähnlich wie im Remstal. In Bergwäldern jedoch kam er nur spärlich vor. Und wir waren hier im Bergwald. Vermutlich war es ein Habicht, der als Charaktervogel alter, reich strukturierter Wälder gilt. Und neben dem Mäusebussard brütete auch der Habicht im Nationalpark.
»Nun, was ist, Paps?« fragte Nico ungeduldig.
Ich schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid. Ich habe ihn nicht genau erkennen können. Es wird wohl eher ein Habicht gewesen sein, der zwar schlanker ist, aber die gleiche Größe hat.«
»Hmmm«, machte Nico.
Inzwischen war der Vogel waldwärts abgestrichen und nicht mehr zu sehen. Nico suchte noch eine Weile mit dem Glas die Gegend ab, gab es schließlich aber auf.
Und dann entdeckten wir etwas, das wir hier oben später nie wieder zu sehen bekommen sollten. Dicht vor uns am Uferrand zog eine kleine Schar winziger Krickentenküken ihre Bahn durchs Wasser: wie hingetupfte gelbliche Federbällchen. Nur eins war merkwürdig: die Entlein waren allein. Und so sehr wir auch den See mit dem Fernglas absuchten, nirgends konnten wir die Entenmutter erblicken.
»Verstehst du das?« fragte Nole.
Nein, ich verstand es auch nicht. Normalerweise wurden solche Winzlinge immer noch von der Mutter geführt. Aber wo war sie? Hatte der Habicht sie vielleicht geholt? Möglich war es. Allerdings wirkten diese niedlichen Federbällchen schon ziemlich selbständig. Und Krickenten waren ohnehin verhältnismäßig klein. Zielstrebig zogen sie an uns vorüber dem am seitlichen Seeufer liegenden Schilfgürtel zu, wo sie eines nach dem anderen verschwanden.
Nico grinste.
»Du kannst ja mal ein bißchen Entenmutter spielen, Paps, wie der gute alte Konrad Lorenz.«
Das schien mir allerdings ein reichlich verwegener Gedanke, zumal hier oben am Rachelsee in mehr als tausend Meter Seehöhe.
Nole nahm mir die Antwort ab.
»Das dürfte wohl überflüssig sein, mein Sohn. Diese Kleinen sahen nicht so aus, als ob sie ausgerechnet deinen Vater als Mutter nötig hätten.«
Ich zog es vor zu schweigen. Und auch die beiden verfolgten das Thema nicht weiter, als wir aufbrachen, um nach dem Studium der am Urwaldlehrpfad aufgestellten Informationstafeln den Abstieg anzutreten. Es war inzwischen immerhin bald acht Uhr, und wir spürten alle drei ein durchaus menschliches Rühren in der Magengegend. Außerdem wollten wir zurück sein, bevor der alltägliche Touristenstrom begann. Eines jedenfalls stand für uns fest: Diese fantastisch urwüchsige Landschaft würde uns bald wiedersehen.
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