Courbet stopft sich seine Pfeife und setzt sie in Brand. Auch hält er eine Weinflasche griffbereit und nimmt von Zeit zu Zeit einen kräftigen Schluck. Langsam bessert sich die kehlige Dürre auf seinem Gaumen, langsam kommt wieder Leben in seine roten Wangen an diesem unseligen wie bedeutungsvollen Tag, den er schon so lange herbeifantasiert hat. Nun aber ist alles real und die Colonne Vendôme ein Ding wie jedes andere, das der Maler wie jeder Mensch nach seiner Wahrnehmung als Individuum empfinden kann. Wissen um zu können, das war mein Streben , denkt Courbet. Imstande zu sein, die Sitten, die Gedanken und das Antlitz meiner Zeit so zu übertragen, wie ich es empfinde, nicht nur ein Maler, sondern auch ein Mensch zu sein, mit einem Wort, lebendige Kunst zu schaffen – das ist mein Ziel . Ein Ziel, zu dem es auch gehören konnte, andere, dem Realismus ferne Kunst zu entfernen, zu zerstören, niederzureißen. Gerade die mythologisch-idealistische Überhöhung der Colonne Vendôme war eine Verhöhnung für jeden echten Republikaner, ein Schlag ins Gesicht jedes wahren Anarchisten, dem die Freiheit von Herrschaft über alles geht, sogar über Leichen.
Courbet schwitzt, aber lächelt. Nun ist es soweit. An die dreißig Männer stellen sich in mehreren Reihen auf, ihre schwieligen Hände ergreifen die groben Seile. Sie warten geduldig auf ein Signal. Im Nachhinein könnte keiner der Augenzeugen mehr sagen, wer dieses wohl gegeben haben mag, aber die Menge setzt sich unter den ohrenbetäubenden Schreien des Volkes in Bewegung. Muskeln werden gespannt, Sehnen gestreckt, Kräfte freigelassen, gemeinsam rücken die Männer der Säule zu Leibe. Ein wenig Sorge bereitet ihnen der massive Sockel aus Porphyr, der in Algajola auf Korsika gewonnen worden war und auf dem die Inschrift noch für ein paar Augenblicke vom untergegangenen Kaiserreich zeugte. Napoleon Imperator Augustus, widmete dieses Denkmal des Kriegs in Deutschland im Jahre 1805, vollendet in drei Monaten unter seiner Führung, gemacht aus vom Feind erbeuteter Bronze, dem Ruhm der Grande Armée .In den Staub mit diesem Andenken, denkt sich Courbet und spuckt aus. Doch dann geschieht das Unerwartete, wie oft der Weltenlauf durch eine profane, kuriose Albernheit aufgehalten wird. Die Seile reißen. Die Säule bleibt stehen. Eilig werden neue, noch stärkere Seile herbeigeschafft und drapiert. Wieder das Raunen in der Menge und wieder das Spannen der Muskeln und das Straffen der Sehnen. Ein Ruck, doch erneut reißen die Seile, als wären die Säule und Napoleon und dieses ganze alte, verrottete Frankreich mit einem unheilvollen Fluch belegt.
Courbet trinkt und raucht und beobachtet mit weit aufgerissenen Augen die unheimliche Szene, das Pochen in seinen Schläfen wird stärker und stärker; nun rinnt auch ihm der Schweiß in Bächen den Rücken hinab. Wieder legt man die Seile an und verstärkt sie da und dort, legt sie überkreuz und quer und müht sich, wie man kann. Die Verzweifelten dieser Erde krümmen ihre Rücken ein letztes Mal. Und dann, in einen Moment der Stille hinein, gibt das Symbol der Macht endlich nach und stürzt in sich zusammen. Der ganze Platz wird für einen Moment in einen undurchdringlichen Staubnebel gehüllt, in den Ohren hallt der Lärm der berstenden Steinquader nach, dann atmet die Menge auf. Das Johlen erstarkt wieder, Gesänge aus vielstimmigen Kehlen, alten und jungen, ausgelassenes Lachen und trunkenes Murmeln, das in Schreien übergeht, dann Erleichterung. Tränen auf manchen Gesichtern, auch in den Augenwinkeln Courbets.
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