1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 BND und CIA hatten beide die goldene Regel der Spionage gebrochen:
„Lass dich niemals erwischen.“ 15
Kurz nachdem die BND-Abhörprotokolle von Clinton und Kerry an die Öffentlichkeit gelangt waren, folgten Belege, dass die Bundesrepublik Deutschland auch andere NATO-Freunde belauscht. Ganz offiziell gehörte der NATO-Partner Türkei zu den erklärten Zielen der BND-Spionage. Seit vielen Jahren.
In einem geheimdienstlichen Grundsatzpapier aus dem Jahr 2009 wurde der Türkei eine hohe Priorität für den BND eingeräumt. Einige Tage später folgte die Enthüllung, dass der NATO-Partner Albanien ebenfalls langjähriges Spionageziel des BND war. Auch Maßnahmen gegen befreundete Länder wie Frankreich und Italien wurden ausdrücklich erwähnt.
Ja, Freunde spioniert man aus.
Das ist einfach so.
Enthüllungen, die keine waren
Edward Snowden hat seine Dokumente nicht gleichzeitig veröffentlicht. Wie ein guter PR-Manager wusste er, dass die Wirkung damit verpufft wäre. Er hat seine Pressemitteilungen in Paketen portioniert. Jeder Journalist sollte eine eigene Enthüllungsgeschichte bekommen – exklusiv für sein Heimatland, maßgeschneidert für seine Leserschaft. Die Veröffentlichungen erfolgten nach strengem strategischen Zeitplan, den Snowden mit seinem vertrauten Journalistenkumpel Glen Greenwald ausgearbeitet hat – mit Unterstützung der Wiki-Leaks-Anwältin Jesselyn Radack. Ungeklärt ist die Mitwirkung von russischen Ratgebern.
Auf jeden Fall hat Radack gern NSA-kritische Kommentare der russischen Presse angeboten. In einem Interview für Voice of Russia kritisierte sie massiv die Arbeit der US-Dienste. Russische Spionage erwähnte sie nicht.
Viele Dokumente, die Snowden groß ankündigte, waren kaum Enthüllungen. Aber Dokumente mit der Aufschrift „Top Secret“ kommen bei Journalisten immer gut an. Ihnen wird ein prominenter Platz und eine fette Schlagzeile eingeräumt. Dazu zählten PowerPoint-Präsentationen zur Orientierung von neuen Mitarbeitern. Sie trugen zwar die Überschrift Top Secret/NoForn (Geheim/für Ausländer gesperrt), beschrieben aber NSA-Programme nur in groben Zügen – ohne vertrauliche Namen, Gesprächsinhalte oder sensible Quellen.
Sie hatten die Brisanz eines Organogramms.
Mehrere Programme waren längst eingestellt.
Mauscheleien am Meeresboden
Für viele Bundesbürger waren die groß angelegten Lauschangriffe der NSA auf Unterseekabel schockierend. Für Eingeweihte nicht. Seit Jahrzehnten stehen sie in der Presse. Im Parlament und in der Politik hat man ausgiebig, langjährig und in aller Öffentlichkeit über die enge Zusammenarbeit zwischen NSA und der britischen Lauschbehörde Government Communications Headquarters (GCHQ) debattiert.
Bereits 1992 wurden Details der gemeinsamen Lauschangriffe in Anhörungen des US-Senats öffentlich. Seitdem ist bekannt, dass die gesamte Telekommunikation zwischen Nordamerika und Europa auf dem riesigen NSA-Stützpunkt Manwith Hill in North Yorkshire routinemäßig mitgeschnitten wird. Die Ergebnisse werten London und Washington gemeinsam aus. Supercomputer der NSA durchsuchen alle Gespräche nach Anschlüssen und Identitäten, Schlüsselwörtern und Stimmabdrücken, die aus Sicht der Spionagebehörde interessant sind.
Inzwischen sollen NSA und GCHQ über uneingeschränkten Zugang zu über 200 Unterseekabeln weltweit verfügen. Allein das NSA-Teilprogramm Tempora verdaut rund 21 Millionen Gigabyte am Tag. Rund 550 Analytiker von NSA und GCHQ sind mit der Auswertung beschäftigt.
Die größte Leistung bringt dabei Kollege Computer, der mit Künstlicher Intelligenz ihre Such- und Sortiersysteme immer weiter verfeinert.
Auch in deutschen Medien sind die groß angelegten Lauschprogramme der NSA seit Langem Thema. Im Jahr 2000 veröffentlichte zum Beispiel Der Spiegel geheime Details über das NSA-Programm Echelon :
„Dass die Vereinigten Staaten und Großbritannien mit ihrem Abhörsystem Echelon die eigenen Verbündeten ausschnüffeln, war ein offenes Geheimnis. Jetzt ist es keines mehr.“ 16
Für große Empörung sorgte auch die Snowden-Enthüllung, dass die NSA geheime Beratungen der UNO in New York belauscht. Dabei gehören Abhöraktionen in den Vereinten Nationen seit eh und je zum Alltag. Mit dem Bau des Gebäudes begannen Spione aller Couleur, mit Schleifgerät und Bohrmaschine die Wände zu durchsieben. Im Jahr 1960 präsentierte der US-Botschafter Henry Cabet Lodge einen Holzschnitt des US-Staatswappens, das ihm von einer russischen Schulklasse geschenkt wurde. Versteckt im hübschen Wandschmuck war eine Wanze des russischen Geheimdienstes KGB.
Manche Diplomaten witzeln darüber, dass es an ein Wunder grenzt, dass das UN-Hochhaus an der New Yorker First Avenue noch steht. Eigentlich müsste die Statik durch Wanzenlöcher längst zusammengebrochen sein.
Diplomaten-Treffs bieten eine einmalige Gelegenheit, an die Verhandlungstaktik fremder Staaten heranzukommen. So überrascht es nicht, dass Snowdens Dokumente Abhöraktivitäten von NSA und GCHQ beim G20-Treffen 2009 in London belegten. Angezapft wurden – so Snowden – Mobiltelefone, E-Mails und Laptops. Mit Keyloggern wurden alle Tastatureingaben festgehalten. 17
Die Beobachtung solcher Gipfel ist keine Einbahnstraße. Auch für den ehemaligen Geheimdienstler Wladimir Putin sind sie interessant. Als sich die Staatschefs am 5. September 2013 in St. Petersburg versammelten, war das für seine Dienste ein Heimspiel. Unter den Giveaway-Geschenken, die Besucher vom Gastgeber erhielten, war ein hübscher USB-Stick mit buntem G20-Logo. Darauf – wie der BND später in Brüssel entdeckte – war ein Trojaner, der Laptops und heimische PCs für die Russen ausspionieren sollte.
Es ist eigentlich selbstverständlich für Spione.
Ausspähen ist ihr Beruf.
Im August 2014 wurde ein hochgeheimes Strategiepapier des Bundesinnenministeriums im Bundeskanzleramt vorgelegt. Spezialisten sollten die elektronischen Fähigkeiten der deutschen Dienste kritisch unter die Lupe nehmen und Schwachstellen ausloten. Trauriges Resümee: Elektronisch sind die deutschen Dienste so gut wie blind und taub.
Lange war der BND für seine exzellenten Agenten-Quellen im Bereich HUMINT („Human Intelligence“) bekannt. Traditionsgemäß verfügte er über verlässliche Informanten-Netzwerke im ehemaligen Ostblock, im Iran und in der arabischen Welt. Technisch waren seine Horchposten in Pakistan und – versteckt auf Containerschiffen – im arabischen Raum sehr ergiebig.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Im elektronischen Bereich (SIGINT) hatte der BND – so die Studie – den Anschluss ans Zeitalter von Big Data verschlafen. Ursache war vor allem, dass viele deutsche Technologiefirmen ihre globale Spitzenposition verloren hatten. Ohne Unterstützung der US-Partnerdienste sei der BND – nach eigener Einschätzung – nicht voll handlungsfähig. Kurz- und mittelfristig seien deutschen Spione auf das Wohlwollen der Amerikaner angewiesen.
Der Bundesnachrichtendienst – so das Strategiepaper weiter – besitzt weder die Technik noch das Personal, um globale Datennetze umfassend anzuzapfen oder sinnvoll auszuwerten. Hacker-Angriffe ausländischer Mächte könne er orten, aber nicht verhindern.
Ein BND-Insider zog den Vergleich: „Wir sitzen auf dem Berg und zählen die Blitze“. 18
„Ohne US-Hilfe“, lamentiert ein anderer, „würden wir von hundert Dschihadisten in Deutschland maximal fünf selber finden.“
Ähnlich sieht es bei der Verschlüsselung von Daten und deren sicherer Aufbewahrung aus. Die stärksten Unternehmen befinden sich im Silicon Valley *. Dort ist seit Langem bekannt, dass internationale Verschlüsselungsfirmen vertragliche Beziehungen zur NSA unterhalten. Sie sollen dafür sorgen, dass die Exportversionen ihrer Produkte leichter zu knacken sind.
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