1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Das Gesicht ist ein vertrautes Merkmal von Menschen. Jedes ist anders. Wir erkennen das meistens. Maschinen erkennen das immer. Die Entfernungen zwischen Nase und Oberlippe, Augenbraue und Haaransatz, Ohrläppchen und Kragenweite sind zu einer fein getunten Wissenschaft verfeinert worden. Die Software dazu heißt Gesichtserkennung. Für sie wird das biometrische Passbild angefertigt – Mund zu, Augen auf, Kopf gerade. Man kennt das.
Die Software hat Tücken. Bei Frauen und Personen dunkler Hautfarbe macht sie Fehler. Deswegen wurde der polizeiliche Einsatz vielerorts verboten.
Dennoch ist heute die Biometrik überall. Wir gewöhnen uns an die kleinen Webcams, die bei Passkontrolle, Hotelempfang oder Autovermietung auf uns warten.
Weltweit füllen wir die Datenbanken mit unserer Abbildung.
Mit Fingerabdrücken von uns.
Mit Iris-Scans von uns.
Die Überwachung ist allgegenwärtig. Und ziemlich unheimlich.
Wer in die Vereinigten Arabischen Emirate einreist, wird gleich am Flughafen mit der Technik konfrontiert. Bei der Passkontrolle warten die üblichen Webcams und Lesegeräte für Fingerabdrücke. Wer aber denkt, dass die Personenidentifizierung hier beginnt, täuscht sich.
Auf dem Weg vom Flugzeug zur Passkontrolle laufen Fluggäste an acht bis zehn weiteren Kameras vorbei. Durch die Gesichtserkennung werden Identität und Klassifizierung automatisch ermittelt und an die Passkontrolle weitergeleitet. Foto und Fingerabdruck an der Theke sind Formalitäten. Die Einreisebehörden wissen längst, wen sie vor sich haben.
Je wichtiger eine Zielperson ist, umso aufwendiger die Verfahren, die angewandt werden, um sie zu finden. Je größer die Datenbanken mit Personenmerkmalen, umso besser die Chancen.
Die Technologie der Gesichtserkennung ist nur ein Teil einer globalen Vernetzung, die uns mit Webcams, CCTV-Video und versteckten Kameras ständig observiert. Nationale Nachrichtendienste, Polizei und Privatfirmen arbeiten dabei oft Hand in Hand.
Mit der Hochleistungs-Gesichtserkennung kann man sogar Einzelpersonen auf einer Großdemonstration identifizieren, oder den Verdächtigen in der Menschenmenge einer Bahnhofshalle. Man kann sogar die Personen auf ihrem Weg durch das Gedränge weiterverfolgen. Einzelne Kameras können miteinander synchronisiert werden und eine Zielperson von Kamera zu Kamera über mehrere CCTV-Systeme hinweg verfolgen. Mit sogenannter Fusion-Software kann eine Video-Überwachung sogar medienübergreifend mit anderen Systemen wie Auto-GPS oder Smartphone-Ortung synchronisiert werden.
Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, wenn unsere Gesellschaft nur die Folgen einzelner Überwachungsprogramme betrachten würde. In der Vernetzung liegt die Gefahr.
Wenn wir die gesellschaftlichen Folgen einer bevorstehenden Überwachungsgesellschaft betrachten, wäre es ein grober Fehler, jede Maßnahme einzeln zu betrachten. Es ist nicht die einzelne Kamera am Straßenrand, der Sensor in einem RFID-Chip oder die Abhöranlagen in einer Barbie-Puppe, die eine Bedrohung darstellen. Es ist die geballte Kraft eines neuen Wesens, das alles überwachen – und kontrollieren – kann. Solange die Systeme getrennt bleiben, sind sie halb so gefährlich.
Die Entstehung gigantischer Datenmassen, die Geburt von Big Data, war eine gewaltige Entwicklung. Bis heute haben wir sie nicht verdaut. Und dennoch ist sie nur ein erster Schritt in der Entstehung eines gefährlichen neues Wesens, das uns vollkommen überlegen sein wird.
Mit dem rasanten technologischen Ausbau der Grenzüberwachung sind ganze Wissenschaftszweige neu entstanden. Die Biometrik, die mit Stimmabdruck und Gesichtserkennung begann, ist heute ein vielseitiges Forschungsfeld.
Und ein lukratives.
Der Staat, so scheint es, kann nicht genug speichern. Täglich werden neue Eigenschaften des menschlichen Körpers entdeckt und katalogisiert – Körperbau und Kopfhaltung, Muttermal und Muskelbau, hübsche Tattoos und hässliche Narben. Alles wird protokolliert und in Big Data eingefüttert. Es gibt sogar orthopädische Fachleute, die die Gangart studieren und Personen an einem hinkenden Bein oder einer hängenden Schulter erkennen können. Es ist ein neues Fach in der Verhaltensforschung („gait recognition“) und gilt als ziemlich sichere Methode, um Personen zu identifizieren. Andere Forschungsbereiche vergleichen Proben von Körpergeruch, Mundgeruch und Fußschweiß.
Psychologen suchen Hinweise im Verhalten, bei Hobbys etwa, oder im Lebensstil. Ist man Schlipsträger oder Sportfan, Fernfahrer oder Frauenheld, Linkshänder oder Langstreckenläufer?
Es geht aber auch genauer.
Menschen haben ziemlich eindeutige Merkmale, von denen sie meist überhaupt nichts wissen. Ob man mit Zehn-Finger-System in eine Tastatur tippt oder mit Zwei-Daumen-Methodik in ein Smartphone, jeder hat seinen eigenen Stil. Und seinen eigenen Rhythmus. Experten können das heraushören. Und zuordnen. Die US-Firma Apple hat entdeckt, dass sie ihre User am Tipp-Rhythmus und an der Handhabung ihres iPhones erkennen kann.
Verhaltensbedingte Identifizierung ist ein weiteres Neugebiet in der Wissenschaft. Forscher nennen es „Behaviometrics“.
Profile, die früher mit dem Eintrag in das Notizbuch eines Kripobeamten begannen – und meistens auch endeten –, werden heute in den endlosen Annalen von Big Data verewigt.
Augen und Ohren der Künstlichen Intelligenz
Automatische Sensoren sind heute die Augen und Ohren der modernen Überwachung. Sie sind erheblich leistungsfähiger als ihr menschlicher Gegenpart. Sensoren können weiter und besser sehen als Augen, auch bei Nacht. Sie können Infrarot und Radioaktivität erkennen, leiseste Geräusche hören und chemische Substanzen riechen.
Biometrik zieht Großunternehmen an. Damit ist viel Geld zu verdienen. Der Staat ist bereit, große Teile davon gern outzusourcen, zum Beispiel bei der Überwachung von Staatsgrenzen.
Heute ist sie hauptsächlich eine Sache der modernen Sensorik. Zunehmend wird sie vom Staat in die Hände von Privatunternehmen gegeben. IBM, spezialisiert auf Biometrik, Personenerkennung und Datenverwaltung, ist enger Partner des Department of Homeland Security, DHS. Die Firma Accenture leitet die Smart Border Alliance in den USA, einen Zusammenschluss diverser Spezialfirmen.
Fachgebiet: die Sammlung und Auswertung von Daten.
Gesamtetat: knapp 10 Milliarden Dollar.
In solchen Kreisen sind Daten nicht nur ein Thema für Fachsimpelei. Sie sind Ware. Es wird damit gehandelt, fleißig gehandelt – mal im Tausch, mal gegen Bares. Besonders wertvoll sind sie, wenn sie miteinander verschmelzen.
Eine der Lehren aus dem Attentat vom 11. September war die mangelnde Kooperation zwischen den US-Nachrichtendiensten. Viele Informationen, die zu einer Früherkennung der Attentäter und ihrer Absichten hätten führen können, lagerten in den Karteien einzelner Behörden – abgeschirmt, abgelegt, unzugänglich. Nicht mal der Auslandsdienst CIA war mit dem Inlandsdienst FBI datentechnisch vernetzt. Niemand hatte Zugang zu allen nötigen Informationen. Niemand war in der Lage, „The Big Picture“ zu sehen, den wachsenden Zusammenhang, das bedrohliche Gesamtbild.
Datenbestände aus den diversen Bundesbehörden wurden zu diesem Zweck schleunigst zusammengelegt, damit sie – soweit es die Geheimhaltung zulässt – gemeinsam genutzt werden können. Der Inlandsdienst FBI, der Auslandsdienst CIA, der militärische Nachrichtendienst DIA und andere relevante Bundesbehörden sollten teilen lernen.
Fusion Centers wurden eingerichtet, wo vertrauliche Daten zusammenliefen. Unter dem umstrittenen „Freedom of Information Act“ wurde ein undurchsichtiges Gebilde von Vollmachten und Sondergenehmigungen errichtet. Dazu zählen die berüchtigten „National Security Letters“, die dem FBI Festnahmen und Durchsuchungen erlauben – ohne Haftbefehl, ohne Durchsuchungsbefehl, ohne Richter.
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