»Für so ’ne hinterlistige Schießtechnik«, sagte Leo, »leg ich mich schon ma gerne lang!«
»Du bist allerdings, erstens, ein Jäger zu Fuß«, hatte ich nun einzuwenden – vor allem gegen meine sehr lebendige Vorstellung davon, wie ich mich gleich zusammen mit dem schönen Jäger Renz im Grase wälzen würde –, »aber du müsstest, zweitens, mit einer sehr treffgenauen Waffe oft auch schnelle Ortswechsel vornehmen können, was nur zu Pferde möglich ist, und du müsstest, drittens, wie der Name dieser Schießtechnik schon sagt, solch ein Adlerauge und solch einen kaltblütigen Fuß und Abzugsfinger haben wie jener Thomas Plunket. Also, mein lieber Leo! – dieser Plunket von den 95sten Schützen, glaub ich, in der Leichten Division von Sir John Moore – das war erst vor ein paar Jahren da unten in Spanien – erlegte mit seinem Anschlag auf dem Rücken liegend, und übrigens sein Pfeifchen dabei rauchend, den berühmten französischen Kavalleriegeneral August de Colbert.«
»Aha! Noch so ’n dummer August wie wir zwei«, sagte Leo im Gras zu meinen Füßen und mit meiner – nein, seiner Indian Pattern. Wie er mit dem rechten Fuß den Gewehrriemen und somit die ganze Waffe von sich streckte, mit der Linken sich den Kolben an die Schulter zog und mit der Rechten anscheinend ganz gut im Abzugsbereich zurechtkam, zeigte mir, dass ich ihm wohl nicht allzu viel mehr beizubringen hatte. Nur treffen musste er dann schon selber.
»Ganz falsch!«, rief ich jedoch und ließ mich zu ihm ins Gras sinken. »Man muss sich den Riemen einmal um den Unterschenkel wickeln – so hier!«
Als ich mir nun Leos rechtes Bein quasi unter meine Achsel klemmte und an seinem Unterschenkel derart hantierte, als ob ich ihn mit einem Lederriemen abbinden und zugleich entblößen wollte, da spürte ich erstmals mit Macht all mein unglückliches Glück – ich spürte es an den allmählichen Blutansammlungen an gewissen anschwellenden Körperteilen. Ich ließ, recht eigentlich entsetzt von mir selbst, ab von Leo – und der?
»Alles klar, Albrecht«, sagte Leo, »bin ja kein Kind, dem de noch die Schuhe zubinden musst!« Auf seinen Ellenbogen aufgestützt und mit einem aufgestellten und hin und her schwingenden Bein lag er im Grase und schaute mich begeistert an. Ich redete mir gleich wieder inbrünstig ein, dass dies auch tatsächlich Begeisterung sei und zwar Begeisterung nur wegen mir. Leo war einfacher Lützower Jäger zu Fuß – zwei Butterblumen nickten an seiner schwarzen Achselklappe mit den blutroten Rändern. Nahezu krampfhaft habe ich mich da an Jahns Schwarz-Rot-Gold zu denken gezwungen, an das Schwarz-Rot-Gold von Kriegern schließlich, Lützower Jägern, in einer Wirklichkeit, die selbst ein Märchendichter wie der Baron de la Motte Fouqué anscheinend ernster nahm als ein Anatom und Gerichtsmediziner wie ich.
»Komm, Albrecht«, sagte Leo, »leg dich wieder hin. Sei doch nicht so ungeduldig mit mir!« Und ich stützte mich auch auf meinen Ellenbogen auf, allerdings auf den anderen – wir zwei nun fast spiegelbildliche Entsprechungen, schwarz-rot-goldene Lützower und Plunket’sche Scharfschützen – »Pardong wird aber nich jegeben!« Das Gras und die Erde dufteten schon vorfrühlingshaft, viele freie Vögel und noch viel mehr freiheitlich gesonnene Schüsse sangen in der Luft, die Brünnlein flossen quasi, und ich musste trinken – so viel Bewegung war in und aus unseren Blicken und hin und her. Die Zeit war stehengeblieben in den Augen von Leo, unter diesem wasserblauen Himmel voller zerpflücktem hellem Gewölk, und darüber noch die etwas dunkleren goldenen Schwingen seiner Augenbrauen. Er erzählte von seinem Vater, einem invaliden und musikalisch und überhaupt gebildeten Gardeunteroffizier, und vom anscheinend gar nicht so stocksteifen Potsdam. Doch so genau hörte ich schon sehr bald gar nicht mehr hin, ich lauschte vor allem dem Instrument dieser durchaus nicht perfekten, hellrauen und manchmal sogar ein bisschen wie gekünstelt wirkenden Stimme. Zuweilen war aber ein wie eine ganze Wiese sirrendes und flirrendes Timbre darin, das mich tief im Innersten berührte. Erst als Leo mich auf einmal unverwandt und auffordernd ansah, bemerkte ich, dass er seine Erzählung geendigt hatte und nun wohl ich mit der meinigen dran war. Dem Folgenden fehlte wohl die Musik, die Leo mit jenem Instrument hervorgebracht hatte, das auch der Mediziner zu Recht mit Syrinx bezeichnet. Dafür aber konnte ich nun, wie ich immer besser herausbekam, das Wetter in Leos Augen machen, je nachdem, wie und was ich von mir und freilich auch von uns Meckeln überhaupt erzählte – und die sind nun freilich ein Alle-Wetter-Stoff! Möglicherweise war ich gerade dabei gewesen, einen Grummelturm aufzurühren, eine riesige erzählte Gewitterwolke, vermutlich mit einem blitzeschleudernden Fritze und einem donnernden Napoleon darin – als der Gottvater selbst von noch weit darüber zu sprechen begann.
»Nummer dreizehn!«, rief er herab auf uns, »ich erinnere dich bloß mal dran, dass wir in den Krieg gezogen sind, weniger in den Frieden! He! Hier ist die Achtzehn! Wir sind eiligst nach der Ortschaft Rogau nahe Zobten am Berge hinbefohlen, zu Major von Lützow nämlich – aber ohne den da!«
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