Anny von Panhuys - Christel stellt was an

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In einer deutschen Großstadt lebt Christel Ewald, ein jugendfrisches, bildhübsches Mädchen, Assistentin bei einem Zahnarzt, eine von vielen in dem großen Getriebe unverheirateter junger Mädchen, um die sich die Verehrer scharen. Eines Abends, nach Sprechstundenschluss, hat sie ein kleines Abenteuer, im Grunde ist es eigentlich nur der harmlose Streich eines großen Jungen. Christel nimmt die Sache auch nicht tragisch, aber die lieben Nächsten machen leider eine regelrechte Staatsaktion daraus. Christel gerät in schwere Bedrängnis, doch sie beschließt, sich zu wehren. In der Tat stellt sie allerlei an, um den schuldigen Attentäter zur Rechenschaft zu ziehen. Der stellt sich schließlich selbst, aber dann nimmt die Sache eine ganz andere, überraschende Wendung … Anny von Panhuys hat einen höchst vergnüglichen Roman über die Geschicke einer sympathischen jungen Frau geschrieben, die der Leser von den ersten Seiten an ins Herz schließt – ein Roman der sehr unterhaltsam zu lesen ist und einfach nur Freude macht!Anny Freifrau von Panhuys (1879 – nach 1941) ist eine deutsche Unterhaltungsschriftstellerin in der Tradition von Nataly von Eschstruth, Hedwig Courths-Maler und Helene Butenschön («Fr. Lehne»), die etwa 100 Romane geschrieben hat und auch als Schauspielerin tätig war. Geboren wurde sie am 27. März 1879 als Tochter des Dachdeckermeisters, Dachpappenfabrikanten und Gelegenheitsdichters Ignaz Umouaft in Eberswalde. Durch ihre Adelsheirat wurde sie Freifrau. Panhuys begann um 1915, meist mehrere Romane pro Jahr zu veröffentlichen und war bis zu Beginn der vierziger Jahre literarisch aktiv. 1931 kehrte sie wieder nach Eberswalde zurück, wo sie in der Grabowstraße 28 wohnte. Ihr genaues Todesdatum konnte nicht ermittelt werden. Ihre Bücher wurden auch nach ihrem Tod noch immer wieder neu aufgelegt – vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren – und teils auch ins Niederländische übersetzt. Während die Romane der älteren Nataly von Eschstruth vornehmlich im gehobenen Adelsmilieu spielen, ist Anny von Panhuys' Hauptthema der Niedergang und Bedeutungsverlust des (in ihren Büchern meist verarmten) Adels und sein Streben nach Anschluss an die neue bürgerliche Welt.-

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Anny von Panhuys

Christel stellt was an

Roman

Saga

Christel stellt was an

© 1950 Anny von Panhuys

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711570197

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

1.

Das Wartezimmer bei dem Zahnarzt Dr. Wendeck war sehr altmodisch eingerichtet. Wendeck hatte die Praxis seines Vaters übernommen und in der Wohnung wie in den Berufsräumen fast alles in dem früheren Zustand belassen. So wie heute hatte es schon bei seinem Vater ausgesehen. Inzwischen hatte Wendeck auch schon die Fünfzig überschritten und war seit zwanzig Jahren kinderloser Witwer. Er schien ein immer freundlicher, liebenswürdiger Mensch, war in Wirklichkeit aber ein nörgelnder, grämlicher Herr, sobald er keinen Patienten vor sich hatte.

Christel Ewald, seine Helferin, kannte ihn so, wie ihn seine Patienten nicht kannten.

Sie konnte ein Lied von dem unangenehmen Dr. Wendeck singen. Aber er besaß eine sehr große Praxis und zahlte ein gutes Gehalt, und wenn man zwei Jahre in solcher Stellung ausgehalten hat, hält man auch noch länger aus. Allerdings, tief drinnen im Herzen trug Christel fast ständig den Wunsch mit sich herum, bald einmal hier herauszukommen aus diesen Räumen, in denen sie sich oft wie eine Gefangene vorkam. Und dieser Sehnsucht hing Christel heimlich mit Seufzern nach, wenn Dr. Wendeck brummte, sie wäre zu langsam, oder rügte, sie wäre nicht bei der Sache gewesen. — —

Es war eines Abends, Anfang des Herbstes, Christel dachte schon an den Heimweg und an das Abendbrot, weil sie bereits Hunger verspürte, und stand seit vielleicht zwei Minuten untätig am Fenster des Wartezimmers. Um diese Zeit verlief sich kein Patient mehr hierher, wenn ihn nicht unerträgliche Zahnschmerzen oder ein zerbrochenes Gebiß dazu zwangen. Allerdings saß drinnen bei Dr. Wendeck noch eine Dame, die ein paar Goldplomben bekommen hatte und heut zum letzten Male bestellt worden war. Sobald die Patientin gegangen sein würde, durfte sie nach dem Auskochen der zahnärztlichen Instrumente auch verschwinden, dachte Christel Ewald mit einem kleinen frohen Aufatmen.

Sie sehnte sich heraus aus der ihr heute ganz besonders drückend erscheinenden Atmosphäre der moosgrünen Plüschgarnitur, die dem Wartezimmer etwas Muffiges gab. Dem jungen Mädchen fiel ein, daß sie noch eine Karteieintragung machen mußte. Mit einem letzten Blick auf die belebte Straße wandte sie sich vom Fenster ab. Also, an die kleine Arbeit gegangen! Christel schraubte die eben gelöste Kapsel des Füllfederhalters sofort wieder fest, denn eben klingelte es ziemlich heftig an der Korridortür. Da die Wirtschafterin sich um diese Zeit in der Küche befand, eilte Christel hinaus, um zu öffnen.

Na, wer verläuft sich denn jetzt noch hierher? ärgerte sie sich dabei. Dr. Wendeck hatte vorhin geäußert, er müsse nach dem Abendessen noch zu einer wichtigen Besprechung in die Friedrichstadt.

Christel überzeugte sich durch das Guckloch der Korridortür, wer draußen stand. Das junge Mädchen sah ein Männergesicht vor sich. Gut geschnitten war es, vielleicht ein wenig kantig, und zwei dunkle Augen schienen gerade hinein in die ihren zu blicken. Sie hörte ein ungeduldiges Hüsteln und öffnete.

„Gerade, wenn man Eile hat, muß man am längsten warten!“ klang es ihr ärgerlich entgegen.

Der Sprechende hatte vergessen, zu grüßen; er mußte es also wirklich sehr eilig haben, stellte Christel fest und fragte nach dem Wunsch des Herrn.

Der lange, etwas düstere Wohnungsflur wurde ständig von einem Wandarm erhellt, und die beiden Menschen schauten sich nun wie prüfend an. In den dunklen Männeraugen blitzte es auf. Donnerwetter, war das ein Mädel, das vor ihm stand! Er spürte einen ordentlichen Ruck durch seinen Körper gehen und fand es viel wichtiger, das bildhübsche Geschöpf noch ein paar Sekunden länger stumm zu bewundern als zu reden. Aber dann entschloß er sich doch, den Mund aufzutun, und sagte mit einem netten, jungenhaft frohen Lachen:

„Ich wollte gern einen Zahnnerv getötet haben. Er quält mich schon längere Zeit, aber vorhin setzte der Schmerz so toll ein, daß ich mich entschloß, den Quälgeist beseitigen zu lassen.“

Christel schüttelte bedauernd den Kopf.

„Der Herr Doktor ist noch beschäftigt und gleich danach will er fortgehen. Die Sprechstunden sind längst vorbei.“ Es tat ihr fast leid, so antworten zu müssen.

Der schlanke Besucher, der ungefähr sechs-, höchstens aber achtundzwanzig Jahre alt sein mochte, gefiel ihr. Die dunklen Augen paßten gut zu dem herben Gesicht. Er hatte etwas beinah Verwegenes an sich, das Frauen an Männern gern haben.

Er lachte wieder. „Sie sehen aus, als wenn Sie die rechte Hand des Zahngewaltigen sind, bitte, sorgen Sie dafür, Schwester, daß das rebellische Biest heute noch zur Ruhe gebracht wird.“ Er machte eine Handbewegung nach seiner rechten Wange und deutete damit an, wo das ‚rebellische Biest‘ zu suchen wäre. Gleichzeitig wandte er sich dem Wartezimmer zu, dessen Tür Christel vorhin weit offen gelassen hatte. Seinen Hut hatte er abgenommen und hielt ihn noch in der Linken.

Christel sagte eifrig:

„Es hat wirklich keinen Zweck für Sie, zu warten, mein Herr. Dr. Wendeck hat heute beim besten Willen keine Zeit mehr, aber wenn Sie um die nächste Straßenecke rechts gehen, werden Sie wieder einen Zahnarzt finden.“ Eigentlich hätten die wenigen Worte wohl genügt, aber das Lachen auf seinem Gesicht reizte Christel, noch hinzuzufügen: „Gar so schlimm scheint der Schmerz übrigens nicht zu sein, sonst wären Sie wohl kaum so vergnügt.“ Christel lächelte dabei. Sie konnte nicht anders. Wie ein frischer Hauch von Lebensfrohsinn umwehte es den späten Patienten. Frohsinn aber liebte sie, wo er ihr auch begegnete.

Dr. Wendeck war brummig, und die Großmutter, bei der sie seit dem Tode der Eltern lebte, sah die Welt und das Leben nur in der Vergangenheit, mit zweiundzwanzig aber hält man es mehr mit Gegenwart und Zukunft, und wenn Christel ein Lachen ins Ohr klang, wurde sie leicht davon angesteckt.

Der Besucher hatte schon die Schwelle des Wartezimmers überschritten. Christel huschte an ihm vorbei und breitete leicht die Arme aus. Sie hatte manchmal etwas zu lebhafte Bewegungen.

„Bitte, gehen Sie wieder, mein Herr, ich sagte Ihnen doch, es hat gar keinen Zweck, zu warten.“

Er sah sie an. Wahrhaftig, das hübscheste Mädel, das ihm bisher vor die Augen gekommen, war dies schlanke und doch kräftige Geschöpf in dem schneeweißen Schutzkittel. In dem feinen Gesicht von entzückender Regelmäßigkeit standen ein paar sehr große Augen von leuchtendem Blau, die Zähne waren einfach blendend und das leicht gewellte braune Haar hatte goldenen Glanz. Sie trug es etwas zurückgebürstet, aber man konnte sich denken, wie es sich locker und weich um die Stirn bauschen mochte, wenn Christel nur lose mit dem Kamm darüber hinstrich. Und wie sanft war die Linienführung des Mundes. So rein, so knospenhaft, so ... Er schaute wie gebannt auf den Mund und das Lächeln, das er als Ermutigung auffaßte. Er vergaß, warum er hierhergekommen, junges Blut überlegt nicht immer erst genau, was es tun darf, sondern tut es gleich. Es klang dicht an Christel Ewalds Ohr:

„Sie sehen noch so ungeküßt aus, Schwester!“ Und im gleichen Augenblick fühlte Christel, wie sich zwei Arme um ihren Körper legten, sie ein wenig hochrissen, und fast gleichzeitig preßte sich ein heißer Männermund so fest auf ihre Lippen, daß ihr der Atem stockte. Sie wandte dem Arbeitszimmer Dr. Wendecks den Rücken zu und hatte das leise Öffnen der Tür überhört. Im Rahmen derselben erschien eine sehr elegante Dame, die mit leicht geöffnetem Mund auf ihrem Platz verharrte, und hinter ihr baute sich die eckige Gestalt Dr. Wendecks auf. Seine Brauen waren drohend zusammengezogen, und er machte ein paar Bewegungen mit den langen Armen, die sehr viel bedeuten konnten. Vorläufig verschlug ihm jedoch das Erstaunen die Sprache.

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