Die fatalistische oder schwarze Geschichtsschreibung ist in Deutschland regelrecht geächtet. Fritz Stern hat in seinem Buch Kulturpessimismus als politische Gefahr das »kulturelle Unbehagen« der bürgerlichen Eliten getadelt, das sie in die Arme Hitler getrieben habe. »Wer kulturelles Unbehagen verspürt, ist damit gewarnt« (Arnold Gehlen). Der Vorwurf steht bis heute bolzenfest; Kulturpessimismus ist keineswegs, wie ich mal geschrieben habe, ein dem Kotzen nicht ganz unverwandter Reflex einer handvoll übriggebliebener Kultivierter, sondern Wasser auf die Mühlen von Sie wissen schon. Sämtliche deutsche Rezensionen von Onfrays Opus waren Verrisse; kein BRD-Feuilletonist dürfte sich erlauben, es zu loben, das widerspricht gewissermaßen der optimistischen Parteilinie.
Der Franzose gliedert seine Gesamtschau in zwei Teile: »Zeit der Vitalität« und »Zeit der Erschöpfung«. Viele Kapitel sind dem Christentum gewidmet, das für ihn auf einer paulinischen Sexualneurose – also, er ist ja Nietzscheaner, auf dem Ressentiment – gründet. Die Phase des Aufstiegs und jene des Niedergangs unterscheiden sich in den Motiven der Akteure allerdings kaum, überall sieht Onfray dunkle Triebe und niedere Instinkte am Wirken, die Sonne Kants bricht nirgends durch die Wolken. »Der Zivilisierte ist der Barbar, der Erfolg hatte«, notiert Onfray. »Keine Zivilisation ist je aus Heiligen, Pazifisten, Gewaltlosen und Tugendhaften entstanden – eben den netten Menschen. Vielmehr sind es immer Banditen, Mörder, Folterer und Sadisten, die die Grundlage einer Zivilisation bilden. Die Chorknaben hinter Jesus eignen sich nur als Künstler, Dichter oder Philosophen, aber hinter Paulus fuchteln Kraftprotze mit dem Schwert.«
Einzig die intellektuelle Verbrämung der Blutspuren ändert sich im Laufe der Zeiten: »Chemiewaffen, Minen, Massenverhaftungen, Deportationen, Hinrichtungen, Massaker, Folter, Vergewaltigungen, Morde an Frauen, Kindern und Alten, zerstörte Dörfer, Brandstiftung, blutrote Flüsse, Massengräber, Ertränkungen, Plünderungen, gegerbte Menschenhäute, Frauenfett in Fässern, zerstückelte aufgehängte Leichen und Öfen, in denen Frauen und Kinder verbrannt wurden – all das geschah um 1790 in der Vendée im Namen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, im Namen der Republik und des Glücks ihrer Bürger.«
Wer dem Autor nun vorwürfe, er schildere den Aufstieg so negativ wie den Abstieg, hat die Tragödie nicht begriffen.
Aus dem Zitatenkästlein des Michel Onfray: »Sprenger und Institoris (die Verfasser des ›Hexenhammer‹ – M.K.) kommt innerhalb der Theologie der Inquisition der Rang zu, den etwa Deleuze und Guattari für die Philosophie der 1970er Jahre haben.«
Gestern lud die Deutsche Atlantische Gesellschaft zum Vortrags- und Diskussionsabend ins Adlon. Als der Hauptredner, Géza von Geyr, Ministerialdirektor im Verteidigungsministerium, den islamischen Terrorismus kurzerhand in »transnationalen Terrorismus« umtaufte bzw. umdefinierte, war ich einigermaßen irritiert; als er erklärte, aus heutiger Sicht gebe es für den Brexit keine nachvollziehbaren Gründe mehr, stand ich kurz davor zu gehen; als er versicherte, das Ziel der deutschen Sicherheitspolitik sei »eine demokratische, tolerante Gesellschaft«, bin ich gegangen.
Ein guter Bekannter bringt die Kategorie des Rangs ins Gespräch. Sie sei für seinen Umgang mit anderen Menschen zentral. Jedem Menschen sei sein Rang gleichsam eingeprägt. Man müsse sich stets bewusst sein, ob man im Range über oder unter seinem Gegenüber stehe. Wenn jeder seinen Platz kenne, erleichtere das den Umgang miteinander ungemein.
Da schluckt der kleine Modernski: Was sind denn das für alte Zöpfe? Schließlich hat jeder Berliner Abiturient schon bei Schiller gelesen: »Dieses Possenspiel des Ranges/ Sei künftighin aus unserm Bund verwiesen!« ( Don Carlos , 1. Akt, 9. Auftritt). Rang ist so was von altmodisch und out! Das kann jeder beim Teammeeting, Grünen-Parteitag oder Yogakurs, ja sogar bei der Dienstausgabe in der Bundeswehr studieren. Die Zukunft gehört flachen Hierarchien.
Dieser Rang – der offizielle Dienstrang – ist aber nicht gemeint. Der Rang bezeichnet die Persönlichkeit eines Menschen, seinen Charakter, seine Fähigkeiten, seinen Geist, seinen Stolz, seine Standhaftigkeit, seine – um ein Lieblingswort der aktuellen Mollusken zu verwenden – Haltung. Kurzum: seinen Wert. Carlos spricht zwar von einem »Bund«, doch er weiß, dass Posa in jenem anderen, unsichtbaren Rang über ihm steht. Wenn Sie sich Kurt Schumacher anschauen und dessen späten Genossen Heiko Maas, dann besteht trotz des höheren Dienstranges von Heiko, der Regierungsmitglied und Außenminister ist, während Schumacher bloß Oppositionsführer war, nicht die Spur eines Zweifels über die Rangordnung.
Zwischen zwei Männern existiert immer ein Gefälle, immer eine spontane Rangordnung, und wenn sie von den Betreffenden nicht selbst wahrgenommen wird, erledigt es die Umwelt. Das gilt auch und sogar für gute Freunde. Bei Marx und Engels war das Gefälle so klar wie bei Strauss und Hofmannsthal oder bei Goethe und Schiller. Niemand begegnet einem anderen wirklich auf Augenhöhe. Dass die meisten es nicht bemerken, weil sie für solche Nuancen kein Sensorium besitzen und die Gesellschaft ihnen einredet, Gleiche unter Gleichen zu sein, tut nichts zur Sache, schmälert aber halbwegs verlässlich ihren eigenen Rang.
Die europäische Menschenrechtskonvention ist mit der Scharia unvereinbar: »The Court has ruled that Sharia law is incompatible with the European Convention on Human Rights, but obviously this does not mean that there is absolute incompatibility between the Convention and Islam«, hat der Europarat statuiert. Der Schiedsspruch wurde notwendig, weil drei Mitgliedsstaaten – Albanien, Aserbaidschan und die Türkei – sowohl die europäische Konvention als auch die »Kairoer Erklärung der Menschenrechte« unterzeichnet haben, welch letztere bekanntlich alle Paragraphen unter den Scharia-Vorbehalt stellt. »This distinction between Sharia and Islam to consider the former as incompatible with the ECHR contrary to the second is not obvious«, heißt es weiter. Dies nur vor dem Hintergrund, dass der Verfassungsschutz in seiner Best-of-Sammlung von AfD-Zitaten der Schwefelpartei vorwirft, die Scharia bzw. den Scharia-Islam (Umfragen geben Anlass zu der Vermutung, dass der auch unter hierzulande lebenden Muslimen mehrheitsfähig ist) als unvereinbar mit dem Grundgesetz darzustellen.
Die Zeit alarmiert: »In ihrer Selbstdarstellung auf YouTube und Instagram orientieren sich junge Frauen und Mädchen weitgehend an veraltet anmutenden Rollenbildern. Das ist das Ergebnis mehrerer repräsentativer Studien zu Geschlechterdarstellungen in den sozialen Medien, die die von Schauspielerin Maria Furtwängler und ihrer Tochter Elisabeth gegründete Stiftung MaLisa in Auftrag gegeben hat. Die Geschlechterdarstellungen in den erfolgreichsten YouTube-Kanälen basieren den Studien zufolge zudem auf althergebrachten Stereotypen.«
Reichlich veraltet anmutende weibliche Rollenbilder sind seit einigen Jahren in Deutschland tatsächlich en vogue , das stimmt. Einwanderer aus einer speziellen Weltgegend betrachten Frauen als ihr Eigentum, auch diejenigen, die sie eben erst in der Disco oder auf dem Schulhof geschossen haben; die maskuline Polygamie wird Schritt für Schritt legalisiert, und der deutsche Steuerzahler darf die mit einer gewissen Folgerichtigkeit daraus entstehenden fidelen Großfamilien alimentieren; immer mehr weibliche Köpfe verschwinden unter Kopftüchern oder kompletteren Verhüllungen; minderjährige Mädchen werden neuerdings auch hierzulande zwangsverheiratet; hunderte Zwangsbeschneidungen von Mädchen finden inzwischen jährlich im einstigen Stammland der Aufklärung statt. Außerdem diskriminieren politische Hinterwäldlerinnen wie Justizministerin Barley und SPD-Chefin Nahles andere Frauen, indem sie unterstellen, sie seien zu dämlich, um ohne Quoten an gute Jobs zu kommen.
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