Frakis hatte sich bereiterklärt, Yuriko sein Gästezimmer auf unbestimmte Zeit zu überlassen. Am Abend nach dem Spinnendesaster, der Geruch nach Angebranntem hing noch penetrant in Yurikos Haaren, kam Galina zu ihm. Frakis holte Yuriko, dem nach nichts weniger war als nach Bewegung, aber Galina konnte schließlich nicht ohne Begleitung das Haus zweier Junggesellen betreten, und so stellte sich Yuriko schließlich zu ihr auf die Straße. Galina wirkte aufgelöst. Ein paar störrische blonde Strähnen widersetzten sich ihrer Haube, und sie sah aus, als hätte sie geweint.
»Wo warst du?«, fuhr sie ihn an. »Du hast dich den ganzen Tag nicht blicken lassen! Einmal, wenn man dich braucht!«
»Ich war arbeiten«, sagte Yuriko erstaunt. »Ich dachte, das wäre in deinem Sinne. Was ist denn passiert?«
»Sie haben Arkadis abgeholt«, sagte Galina und hatte schon wieder Tränen in den Augen.
»Wer?«, fragte Yuriko. »Der Arkane Rat?«
»Woher weißt du das?«
»Ich. Äh.«
»Ich war nicht zu Hause«, schluchzte Galina. »Ich war arbeiten. Und als ich zurückkam, war dein Siegel gebrochen und …«
»Was?!«
»… und Arkadis war weg und ich hatte einen Schrieb auf dem Küchentisch. Die sind bei mir eingedrungen und haben ihn rausgeholt.«
»Die haben mein Siegel überwunden?!«
»Das ist alles, was dich interessiert?«
»Nein, aber …«
»Warum hast du es gewusst? Wer hat es dir gesagt?«
»Galina, hör auf, so herumzuschreien, ich bitte dich.«
Sie schluchzte laut auf und rieb sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Dann sah er, wie die Erkenntnis sie traf wie ein Faustschlag.
»Du hast ihn verpfiffen«, sagte sie. »Du hast dem Arkanen Rat von ihm erzählt. Du hast denen gesagt, wo sie ihn finden können. Du gewissenloses, kaltherziges Monster.«
»Also hör mal, so war das doch überhaupt nicht!«
»Was hast du für ihn bekommen? Geld? Haben sie dir einen guten Preis gemacht?«
»Galina! Jetzt reicht’s!«
Er hatte die Stimme erhoben und die Fäuste in die Seiten gestemmt. Sie wich zurück, und er machte einen Schritt auf sie zu und streckte beschwörend die Hände nach ihr aus.
»Ich wollte das nicht. Sie hatten mich in der Mangel wegen der siebenhundert Untoten, und da ist es mir so herausgerutscht. Meister Fyr ist aber der Ansicht, es sei am besten so. Falls noch jemand hinter ihr her ist, ist sie in der Arkania gut aufgehoben.«
»Wir hatten unsere Gründe, ihn bei mir einzuquartieren und nicht in der Arkania«, sagte Galina mit zitternder Stimme. »Falls du dich erinnerst. Wir wollten sicherstellen, dass niemand ihn als Forschungsobjekt missbraucht. Und es hat im Übrigen schon angefangen. Sie lassen mich nicht zu ihm. Warum lassen sie mich nicht zu ihm? Er muss solche Ängste ausstehen! Wenn ich nur daran denke, er könnte glauben, dass ich …«
Ihre Stimme versagte. Sie kramte ein Taschentuch hervor und putzte sich geräuschvoll die Nase. Yuriko räusperte an seiner Stimme herum.
»Bist du sicher, dass Arkadis ein Mann ist? Also, hast du … nachgesehen? Habt ihr …?«
»Ich hasse dich«, sagte Galina zitternd. »Diesmal wirklich. Komm mir einfach nie wieder unter die Augen.«
Sie drehte sich um und ließ Yuriko stehen.
»Warte!«, rief Yuriko ihr hinterher. »Wo haben sie Arkadis untergebracht? Ich kümmere mich! Versprochen!«
Doch Galina blieb nicht stehen und gab auch keine Antwort. Bedrückt kehrte Yuriko zum Haus zurück, wo Frakis unter der Tür auf ihn wartete.
»Du dachtest nicht wirklich, du seist besser als Ksantho Kraka«, sagte er, nahm Yuriko bei der Schulter und schob ihn ins Innere.
»Tatsächlich dachte ich das«, sagte Yuriko geknickt. »Immerhin hab ich den Siebten, und er nur den Fünften.«
»Den Sechsten inzwischen. Aber du weißt selbst, dass alles jenseits des Vierten nur noch akademische Spielerei ist. Ihr seid euch ebenbürtig. Du hast mehr Talent, aber er ist fleißig und genau.«
»Ich muss los«, sagte Yuriko. »Mich wird man ja wohl zu Arkadis vorlassen.«
»Du musst nirgendwohin«, sagte Frakis. »Die haben doch alle schon Feierabend. Du musst morgen in die Verwaltung und einen Antrag ausfüllen. Ein paar Beziehungen spielen lassen. Da wird doch noch irgendjemand sein, mit dem du es dir nicht verdorben hast?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube, der Meister für Zaubereigeschichte mag mich ganz gerne.«
Frakis verzog das Gesicht.
»Das Einzige, was du mit dem spielen kannst, ist Schach im Garten. Weiter reicht sein Einfluss nicht. Aber komm. Trinken wir ein Glas Wein und gehen die Möglichkeiten durch. Etwas wird sich finden.«
Schweren Herzens folgte Yuriko seinem Freund ins Haus.
***
Trotz ihres Schwurs, ihn nie wieder sehen zu wollen, wich Galina ihm nicht aus. Sie hörte auf zu kehren, klammerte sich an ihren Besen und starrte ihm kämpferisch entgegen.
»Ich weiß, wo sie ist«, sagte er ohne Umschweife. »Aber sie lassen mich auch nicht zu ihr. Ich habe versucht, einen Besucherpass zu beantragen, an drei verschiedenen Stellen, aber die in der Verwaltung sind offenbar alle auf Linie gebracht.«
»Und wo ist er?«
»In der Ana.«
»Was? Als wäre er ein Störfall? Ein misslungenes Experiment?«
»Du hast jetzt im Übrigen keine Zeit, dich aufzuregen. Du hast dort unten dringend etwas zu putzen.«
»Hab ich?«, fragte Galina verwirrt. Yuriko nahm sie beim Ärmel und zog sie mitsamt dem Besen mit sich.
»Wir müssen uns beeilen. Ich habe sicher ein paar Leute misstrauisch gemacht mit meinem auffälligen Interesse.«
Die Abteilung für arkane Nachsorge war ein flacher steinerner Bau mit kleinen Fenstern, abseits auf dem Gelände, noch hinter den Stallungen der Abteilung für arkane Mischwesen. Padda wurde zu einem harten Klumpen ängstlicher Anspannung, als sie die Stallungen passierten. Der Geruch, der von dort kam, war auch wirklich merkwürdig.
In Sichtweite des Gebäudes, unter ein paar Bäumen, blieb Yuriko stehen.
»Geh rein und sieh dich um«, sagte er. »Zähl vor allem die Wachen. Halte Ausschau nach Siegeln.«
»Aber wenn sie dich nicht zu ihm lassen, dann doch mich erst recht nicht«, widersprach Galina. Yuriko verdrehte die Augen.
»Du willst ja auch gar nicht zu ihr. Du willst doch nur Papierkörbe ausleeren oder was auch immer. Jetzt geh.«
Endlich begriff Galina, packte ihren Besen und marschierte davon. Im Sichtschutz der Bäume sah Yuriko ihr nach. Das Gelände um die Abteilung war verlassen. Niemand war an den Fenstern. Ungehindert verschwand Galina durch die Tür nach drinnen.
Es dauerte nicht lange, bis sie zurückkam.
»Ich wurde sofort weggeschickt«, berichtete sie. »Bis auf weiteres soll ich in der Ana nicht saubermachen, hieß es.«
»Was hast du gesehen?«
»Es ist auffällig leer. Die Ärztezimmer sind abgeschlossen. Wenn man reingeht, rechts den Gang hinter, steht ein Wachmann. Der hat mich auch weggeschickt. Im Übrigen kannte ich ihn nicht, und ich kenne eigentlich jeden in der Arkania, zumindest vom Sehen.«
»Bewaffnung?«
»Schwert, aber er hat es abgegürtet. Er sieht ziemlich gelangweilt aus.«
»Perfekt. Warte hier.«
Yuriko ließ die protestierende Galina unter den Bäumen zurück. Beschwingt marschierte er hinüber zum Haus, stieß die Tür auf und ließ sie lärmend hinter sich ins Schloss fallen. Rein und rechts, hatte Galina gesagt. Durch einen gemauerten Bogen betrat er einen langen Gang, von dem zur Linken lauter gleichförmige Türen abgingen. Krankenzimmer, vermutete Yuriko, und dann sprang auch schon der Wachmann von seinem Stuhl auf. Yuriko zauberte sich das breiteste Grinsen aufs Gesicht.
»Ah! Inthisira Alistis! Ein Glück, dass ich Euch hier antreffe! Ich soll Euch von Eurer Frau ausrichten – bezauberndes Wesen im Übrigen, ganz ungemein reizvoll …«
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