»Meister Frost, Ihr habt nicht die Verpflichtung gespürt, der Arkania Meldung zu machen?«
»Wem? Ach, Ihr meint, dem Laden, der mir den Stuhl vor die Tür gesetzt hat, nur weil ich eine Weile weg war? Nein, da hab ich gar nichts gespürt.«
»Natürlich nicht. Stattdessen beschwört Ihr Unheil über einen ganzen Straßenzug herauf, was sag ich, über eine ganze Stadt!«
»So war das doch überhaupt nicht!«
»Dreihundert Untote!«
»Mit denen ich spielend fertiggeworden bin, und das ist nur einer von vielen Beweisen für meine Größe!«
»Wo ist die Frau mit dem Siegel jetzt?«, unterbrach Flusenhaar.
»Sag ich nicht«, sagte Yuriko trotzig.
»Ihr seid dem Rat Rechenschaft schuldig, das wisst Ihr.«
»Gar nichts bin ich.«
Flusenhaar hob beschwichtigend die Hände.
»Verehrte Anwesende, lasst uns nicht streiten. Seht, Meister Frost, was Ihr uns über diese Siegelträgerin berichtet, ist höchst interessant, und umso bedauerlicher, dass Ihr damit so lange zurückgehalten habt. Und wenn tatsächlich sie es ist, die Gesindel in unsere schöne Stadt lockt – und nicht etwa Ihr selbst – dann ist es Euch nicht zuzumuten, ganz alleine und jederzeit für ihre Sicherheit einzustehen.«
Frakis´ Worte geisterten durch Yurikos Kopf. Wenn es nach ihm ginge, hätte Yuriko schon längst Meldung gemacht. Andererseits – wer wusste schon, was mit Arkadis passierte, wenn die Arkania sie einmal verschlungen hatte. Frakis war vielleicht zu nah dran, um die Gefahr zu erkennen.
»Die junge Dame steht unter meinem Schutz und hat die Arkania überhaupt nicht zu interessieren«, sagte er. »Wen ich unter meinem Dach aufnehme, ist mein Privatvergnügen.«
»Die junge Dame trägt ein Siegel und wird von machtvollen fremdländischen Zauberern verfolgt«, sagte Flusenhaar und betonte jedes Wort. »Zauberinnen zu allem Überfluss. Selbstverständlich sind ihre Belange von höchstem Interesse für uns.«
»Ich kann gelegentlich Bericht erstatten, wenn’s Euch so interessiert.«
Kraka legte die Fingerspitzen aneinander.
»Das wird nicht genügen, Herr Kollege. Aber ich will Euch eine Brücke bauen. Ihr verratet uns den Aufenthaltsort dieser Siegelträgerin, und wir werten das als Zeichen Eures guten Willens und verzichten darauf, die Sittenkommission von den näheren Umständen Eures … Zusammenlebens mit dieser Person … zu informieren. Wie es eigentlich unsere Pflicht wäre.«
»W… was?« Yuriko stand wie mit kaltem Wasser übergossen. »Die Sitte? Euer Ernst? Für ein paar Nächte unter einem Dach mit jemandem, von dem ich nicht mal sicher weiß, ob’s eine Frau ist?«
»Das könnt Ihr dann ja dem Sittenkommissar erklären.«
In Yurikos Kopf wirbelten die Gedanken, zerstoben dann wie Funken und ließen einen Namen zurück, mit Feuerschrift in sein Herz gebrannt.
Florine.
»Sie ist bei meiner Schülerin. Ich habe das Haus versiegelt, sie sollte dort wirklich sicher sein. Wenn … wenn es Euch beliebt, kann ich ein Treffen in die Wege leiten.«
Kraka wechselte einen Blick mit Flusenhaar, und Yuriko hatte das Gefühl, in eine Falle getappt zu sein, aus der es kein Entrinnen gibt.
»Habt Dank für Eure Zeit«, sagte Flusenhaar. »Wir werden Euch benachrichtigen, welche Vorgehensweise wir wünschen.«
Die Audienz war beendet. Kraka erhob sich. Flusenhaar tat es ihm gleich und half dem Greis in die Höhe, der sich noch irritiert umsah und mit brüchiger Stimme nach der Kröte fragte. Yuriko schluckte hitzige Wut und brennende Hilflosigkeit. Er drehte sich auf dem Absatz um und stürmte grußlos nach draußen, die Schmerzen im Bein missachtend. Die Treppe hinunter, einmal quer durch die Arkania wie im Nebel, ins Vordergebäude, Säulengang, Kellertreppe, Torbogen, letzte Tür ganz hinten im Gang.
Auf Frakis´ Besucherstuhl brach er zusammen, presste die Hände gegen das Gesicht und stöhnte durch die Finger.
»Keine Feuerzauber. Keine freilaufenden Tiere. Kein Blut auf meine kostbaren Dokumente. Was ist eigentlich los?«
»Sie haben mir mit der Sitte gedroht, und ich habe ihnen verraten, wo Arkadis ist. Ich bin ihnen auf den Leim gegangen. Das ist los.«
Frakis´ leichter Schritt, dann das Rascheln seiner Gewänder direkt neben Yuriko.
»Hast du denn etwas getan, was die Sitte verärgern könnte?«
»Du meinst, außer zu existieren?«
»Guter Punkt.«
»Ich kann mir keinen Zwischenfall mit der Sitte erlauben, Frakis. Florine will, dass ich mit ihr ausgehe. Am Tag der Götter im Stadtgarten. Sie kann sich doch nicht mit einem Mann sehen lassen, dem die Sitte in den Nacken atmet!«
Er hörte Frakis leise seufzen. Spürte die Hand seines Freundes auf seiner Brust.
»Dein Herz, Yuri. Immer dein Herz.«
Yuriko nahm die Hände vom Gesicht und ließ sie hilflos in den Schoß fallen.
»Wie haben sie denn überhaupt von Arkadis erfahren?«, erkundigte Frakis sich.
»Ich habe mich verplappert«, sagte Yuriko dumpf.
Frakis schüttelte den Kopf. »Du Trottel. Aber vielleicht ist es nicht zum Schlechtesten. Wenn mehr Zauberer sich für das Siegel interessieren, kommt die Entschlüsselung vielleicht schneller voran. Und ich denke immer noch, dass wir sie hier in der Arkania besser vor Angriffen schützen können als in Galinas Dachkammer.«
»Ich hoffe so sehr, dass du recht hast.«
»Das habe ich meistens, mein Freund.«
***
Die Spinnen im Keller der Goldenen Schlange erwiesen sich als gleichermaßen wütend wie widerstandsfähig. Dass sie am Ende einer hitzigen Schlacht außen knusprig und innen zart waren, tröstete den Wirt wenig. Der lamentierte lieber, weil Feuer und Rauch den Großteil seiner Vorräte unbrauchbar gemacht hatten.
Yurikos Frage, wer denn schon Dinge essen wolle, auf denen eine katzengroße, haarige Spinne draufgesessen habe, ließ der Wirt unbeantwortet. Stattdessen leerte sich der Gastraum sehr plötzlich.
Die Entlohnung für all die Plackerei fiel mehr als spärlich aus. Yuriko versenkte die paar Eisernen in seiner Tasche und zog von dannen, der festen Überzeugung, dass er einfach nicht geschaffen sei für niedere Arbeiten.
Tragisches Unglück nur, dass er für Florine geschaffen war, und sie für ihn, auch wenn sie ein halbes Leben Jahre gebraucht hatte, um das einzusehen.
Erfolgversprechender schien ihm der Auftrag, das Wasser im öffentlichen Badehaus auf die richtige Temperatur zu bringen, solange dort die Heizrohre erneuert wurden. Ein wenig zu spät wurde ihm klar, dass seine Aufgabe ihn nicht dazu berechtigte, das Frauenbad zu betreten, solange es benutzt wurde. Ein Eimer hinterließ bleibenden Eindruck auf seiner Stirn, und er beschloss, seinem angeborenen Zartgefühl zu folgen und sich zurückzuziehen. Vermutlich reichte die hitzige Entrüstung der Damen ohnehin, um das Wasser in ihrem Bottich zum Kochen zu bringen.
Eine Tümpelfee, die sich an die Steinerne Brücke gekettet hatte und nun Brückenzoll von jedem verlangte, der vorbeikam, bot endlich die passende Herausforderung. Sie war ganz ansehnlich, und ihre boshaften Zauber prallten dank einiger klug angebrachter Siegel von ihm ab. Er diskutierte einen ausgedehnten Nachmittag mit ihr darüber, ob sie sich nun an die Brücke gekettet hätte oder die Brücke sich an sie, und genoss dabei den Anblick ihrer üppigen Brüste, die von ihrem Blätterkleid kaum bedeckt wurden. Schließlich, entnervt genug, hexte sie sich von dannen. Leider gab es kein Geld für die Heldentat, nur einen herzlichen Händedruck vom Brückenwächter.
Die nächsten Tage brachten nichts Besseres. Den Auftrag, eine junge Adelige zu bewachen, vergab man an jemanden, der angeblich kein stadtbekannter Schwerenöter war. Die Nachforschungen um einen mysteriösen Nebel, der nächtens die Bewohner des Bergquartiers ängstigte, verliefen im Sande, weil es einfach nicht nebelte. Und um verlorene Katzen zu finden, war er sich dann doch zu schade.
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