Dem Kellner tropfte es rot von der Hand, und er erklärte demütig, der Hund habe schuld. Der Amerikaner aber brüllte ihn an: „Verdammte Zitrone, der Hund bist du!“ Und langte ihm eine saftige Ohrfeige.
Frau Pedureit barg ihren Piggy an der Brust, der Hotelmaitre eilte herbei und beförderte den armen Kellner mit einigen Fußtritten auf die Straße.
Ein neuer Kellner brachte neuen Mokka, auch eine nagelneue passende schneeweiße Smokingjacke war rasch zur Stelle. Der Direktor kam und entschuldigte sich persönlich, und das Hündchen erhielt zur Beruhigung ein Kaviarbrötchen. Somit hätte der Vorfall erledigt sein können und wäre zehn, ja fünf Jahre früher auch erledigt gewesen. Aber seit den Umwälzungen war die Entgötterung der weißen Rasse im gesegneten Osten weit vorgeschritten. Es gab allmählich so etwas wie ein verletzbares farbiges Ehrgefühl, selbst bei Kulis und Kellnern.
Eine halbe Stunde mochte vergangen sein. Man tanzte auf der Terrasse, und niemand schien mehr an die Sache zu denken. Selbst das Hündchen war still und zuckte kaum, als seine Herrin sich zärtlich zu dem Amerikaner beugte, obwohl es den kränkenden Augenblick herannahen fühlte, wo sie, um mit dem groben Kerl zu tanzen, aufstehen und es allein auf dem Stuhl zurücklassen würde. Gerade nun wollte ihr Partner der geschäftlichen Seite eine dringlichere Bemerkung widmen; die Dame war ihm als höchst verwendbar von seinem Konsul empfohlen, und er hoffte nicht nur Unterhaltung, sondern einiges mehr von ihren angeblich glänzenden allseitigen diplomatischen Verbindungen. Und gerade wollte sie ihm ein leichtes Bedauern nicht verhehlen über die eben so unglücklich zerrissene gelb-rote Verknüpfungsmöglichkeit, als unversehens der Gebissene und Geohrfeigte wieder heraufkam, hindurchflitzend zwischen den Fäusten der goldbetreßten Pförtner. Er stürzte den Gang der Tische entlang, schwang ein offenes Taschenmesser in der blutigen Rechten, und stieß, ehe ihn jemand hindern konnte, nach dem verdutzten Amerikaner, den er unweigerlich übel getroffen hätte, wäre nicht das rabiate Hündchen zum zweiten Male wie der Blitz ihm gegen die Hand und geradeswegs in die Klinge gesprungen. Sie drang tödlich in eins der Teleskopaugen. Dem Yankee geschah nichts weiter, als daß nun auch der Hotelsmoking beschmutzt wurde, diesmal durch Piggys Opferblut, und es floß auch auf das seidene Kleid der Pedureit, die darob in Ohnmacht fiel. Der Täter wurde festgenommen und wegen versuchten Mordes schon den andern Vormittag hingerichtet.
Damit hätte die Angelegenheit begraben sein können, zumal sie nach Ansicht der meisten Weißen glimpflich abgelaufen war und es sich nur um zwei „Hunde“ handelte. Aber erstens war der eine kein gewöhnlicher Hund, sondern das Schoßhündchen der Frau Pedureit, und zweitens war der andere zwar nur ein armer Tropf im Meer von Millionen und anscheinend weniger auf Rechnung als eine der weißen, roten oder grünen Glühlampen in den Reklamekaskaden, die von den Warenhaustürmen und die Nankingstraße auf und ab durch die blauschwarze dunstige Nacht Schanghais erschäumten, jedoch immerhin ein Mensch. Und siehe da, er begann für eine Weile im Tode zu leuchten und war mächtig genug, eine merkbare Welle gelben Unmuts emporzusignalisieren.
Den Anlaß dazu bot vielleicht die Dame selber, die in der Vernehmung angab, es habe sich um ein politisches Attentat gehandelt; der Geköpfte sei ein kommunistischer Agent gewesen. Denn obwohl ihr der Amerikaner den Hund kostbar aufgewogen hatte, hätte sie gern überdies ein diplomatisches Schmerzensgeld aus der Sache geschunden, abgesehen von dem sonstigen Ruhm, und das erst brachte gewisse Leute darauf, die Gelegenheit zu einem Krawall zu benutzen und einen Streik aller gelben Angestellten, Rikschakulis und Hafenarbeiter vom Zaune zu brechen.
Schon am nächsten Morgen versammelten sich Hunderte von hustenden Kulis vor dem Vendy-Hotel. Ihre Rikschas versperrten den prächtigen Ausländer-Limousinen den Weg, und über dem Tumult erhob sich eine schwanke Bambusstange, darauf der Kopf des Enthaupteten gespießt war und schon übel roch. Die Polizei erwies sich als machtlos. Die Terrasse des Hotels hatte sich plötzlich geleert. An den Hotelfenstern sah man ärgerliche, erregte und angstvolle Gesichter, und die Menge machte Miene, den Eingang zu stürmen.
Aber der Direktor hatte längst die Hafenkommandantur angerufen, und wie üblich landeten die verschiedenen Kriegsfahrzeuge, die im schwammigen Wangpuwasser lauerten, einige Mannschaften; die Amerikaner zuerst, da immerhin einer ihrer Landsleute bedroht war, dann die Engländer, ohne die noch derzeit nichts geschah in Schanghai. Und zuletzt, sozusagen als hintergründige Gesamtaufsicht, die Besatzung eines russischen Zerstörers. Unter militärischer Musik und mit ein bißchen teils blinder, teils scharfer Knallerei wurde die Straße dem weißen Verkehr zurückgewonnen, und für die Dauer einer Woche wurde die Hotelterrasse mit je einem amerikanischen und einem englischen Maschinengewehr bestückt.
Dieser Sieg machte die Pedureit und ihren Dyhard übermütig. Sie verlangten nunmehr von dem chinesischen Regierungsvertreter außer einer großen Sühnesumme ein feierliches öffentliches Begräbnis des für diesen Zweck vorsorglich in einem Frigidaire des Hotels aufbewahrten Hündchens Piggy. Und nur dadurch, daß an dem folgenden Mittag, als die Dame allein war und den in der Nacht versäumten Schlaf nachholte, ihr eigener, sonst so treu ergebener Boy, von keinem Hündchen gestört, ihr die Kehle durchschnitt, wurde die Peinlichkeit umgangen, welche die Stellungnahme der weißen Kolonie oder gar die Ausführung selber mit sich gebracht hätte.
Der Boy hob einen von dem Amerikaner Unterzeichneten Scheck, den er bei seiner Herrin gefunden hatte, ohne Schwierigkeiten ab – da er dergleichen auch sonst schon besorgt hatte – und entkam.
Der Amerikaner, den er noch beim Frühstück bedient hatte, verließ schon am Abend die unheimliche Stadt, um das nächstgelegene Korea aufzusuchen, starb aber auf der Reise an einer Darmentzündung, deren Ursache man in seinem letzten Imbiß bei der Pedureit wohl vermuten, aber nicht beweisen konnte.
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