Auf der Kommode stak in einer fischgrünen, wellig geriffelten Kelchvase eine Hutfeder, deren Linie und Tönung an die Bäuche dockender Schiffe erinnerte. Daneben stand schräg ein silbrig bronzierter Jugendstil-Rahmen mit dem Foto eines Vollbärtigen. Er trug die Uniform der Eisenbahner. Und mochte der Vater sein. Doch fragte ich nicht danach. Es war nun überall still. Ich hörte meine Konfirmationsuhr aus der Weste ticken, so lautlos legten sich die dürftigen Hüllen zurück um das vergeblich gelüftete Geheimnis. Und das alles ging vor sich in Anwesenheit des Mannes auf der Kommode. Zwar ließ sein Ausdruck auf Behäbigkeit schließen, jedoch die Strenge, die den Uniformen anhaftet und Haltung verleiht, selbst, wenn sie unkriegerisch sind, war zu bedenken, und nicht minder die weiträumig technische Verkehrseinrichtung, die zu Lande so verbindend und so pünktlich ist und doch mit eigenen Gefahrenmomenten, darin sich dieser scharfrandig Bemützte sicher bewährt hatte oder noch bewährte. Zwei der Totgeburten waren übrigens durch ein Zugunglück ...
„ Nun?“, sagte das Mädchen zum zweitenmal und strich glättend über den seidenen Rock. Damals wußte ich noch nicht, wie wundersam Frauen sich jeden Zweifels an der Richtigkeit jeweiliger Daseinszustände entheben können. Bestimmt auch muß man mehr unverdorben als abgebrüht sein, um zwischen einem frommen Spruch und dem Bildnis eines Nahestehenden einem Gewerbe obzuliegen, welches, allgemeiner Ansicht nach, das Wohlwollen himmlischer wie irdischer Väter schwerlich voraussetzen darf.
Irma, die Unaufdringliche, wandte sich halb listig, halb verschämt wieder zu mir. Sie wippte leicht mit der Zungenspitze an ihrer Oberlippe entlang. Und flüsterte dann etwas, was ich damals nicht erfaßte. Mir stieg eine gänzlich abwegige Beziehung zur pfingstlichen Apostelgeschichte auf. In dieser bescheidenen Stube der Lust war mir, als sei jäh ein Auftrag angedeutet, der mit körperlichen Vorgängen nichts gemein habe. Als sei an meine heimliche Neigung zum Schreiben gerührt. Ja, als stehe dieses öffentliche Mädchen als Abgesandter der Öffentlichkeit vor mir, mir das Zutrauen auszusprechen. Kein Engel der Verkündigung hätte bestürzender und erhebender wirken können. Es war vertrauensvoll wie der Spruch an der Wand und zugleich voll unbequemer Verpflichtung. Derweil mich niederdrückte, daß ich noch nicht befugt sei, den Tempel der Erotik zu betreten, schien mir ein anderer aufgetan, darin ich mit feuriger Zunge würde Zeugnis abzulegen haben. Zeugnis abzulegen. Pathetischer und genauer läßt sich nicht ausdrücken, wie mir zumute war. Es war eine merkwürdige, flüchtig aufschießende Verzückung inmitten eines Versagens. Nüchterner gesehen, war es eine vernünftige Notwehr. Eine ärgerliche Zerknirschung lief nebenbei. Sie wollte sogar wieder Oberhand gewinnen. Und während die Zimmerdecke drohte, sich zermalmend über mich zu senken, entdeckte ich erst jetzt den Seestern. Er baumelte an der gußeisernen Hängelampe, das Andenken wohl eines befahrenen Besuchers, vertrocknet, verstaubt, ein tropisches, schön regelmäßiges Exemplar. Obgleich dieses harmlos aussehende Meerestier zu Lebzeiten keineswegs friedlich ist, war mir der Anblick doch tröstlich und schien dem frommen Namen der „Come and kiss me“-Straße gemäß begütigend und entsühnend, so wenig er für einen Protestanten zuständig sein mochte.
Es ist aber einzufügen, daß ich als Kind die Sonntagsschule einer Kapellengemeinde eifrig genossen, allwo konfessionelle Abweichungen weitherzig ineinanderschwankten.
Hierorts aber war kein Verweilen mehr. Ich legte ein Zweimarkstück neben die Vase. Es war der Preis, den Kundige mir verraten. Und sagte höflich „Adjö“! und ging von dannen. Ging die Gasse der Spießrutenblicke und unflätigen Mäuler entlang und aus dem Bumms und Rummel der „Freiheiten“ St. Paulis zurück ins Bürgerliche, vorerst ungeletzt, aber innerst beschämt und gewappnet von anmaßender, kaum faßbarer Verheißung.
Die kleinen Pekinghündchen haben Augen wie Teleskopfische oder wie uralte Dubliner Whiskytrinker. Ihre Stimme gleicht denen pensionierter Operettensterne. Vor ihren Steinbildern in China erschrecken die bösen Geister, und solange sie leben, nehmen sie heftigen Anteil an den Regungen ihrer Herrschaft, erbeben, wenn die Hausglocke sich rührt, hassen das Telefon, geraten in Raserei, wenn die Dienstboten unleise die Türen schließen und sind schrecklich eifersüchtig.
In Schanghai – damals, eben bevor manches anders kam – saß auf der Terrasse des Vendy-Hotels eines Abends eine Dame mit einem solchen Hündchen. Es war schönster Sommer, und ihr Tischnachbar, frisch von jenseits des Stillen Ozeans, bewunderte unverhohlen den Ausschnitt ihres Kleides, indem er glaubte, mitten in das Dorado smartester Freiheit geraten zu sein. Die Dame schien seine Auffassung nicht widerlegen zu wollen. Das Hündchen indes schnalzte verhalten, den Kopf zwischen die Pfoten gedrückt, unaufhörlich vor sich hin. Die Dame bemerkte es nicht ohne Unruhe. Das Hündchen saß auf ihrem Schoß, wo es auch beim Roulette, im Auto und auf der Rennbahn-Tribüne zu sitzen pflegte, das heißt, es war seit Jahren bei allen ihren Unternehmungen dabei, und sie nannte es Piggy, ihr Glücksschweinchen. Manchmal in angeregter Stimmung setzte sie Piggy auf den Tisch, ohne Rücksicht auf Marmor, Edelholz, kostbare Tafeldecken und Geschirr. Piggy pflegte dann zu erstarren und sah aus wie die Hunde aus billigem Porzellan, wie sie vormals von Matrosen aus britischen Häfen als teure Andenken mitgebracht wurden. „ Schäm dich, Piggy!“ sagte die Dame dann mit bezüglichem Lächeln. Und Piggy schämte sich und barg sich flugs in ihren Arm oder Schoß zurück. Sie war eine gewisse von Pedureit, Tschechin ungewisser Herkunft und schon länger in China, hängengeblieben im Nachtrab der weißen Armeen, Erbin eines umgekommenen Waffenhändlers und, bei schwindendem Vermögen und Einkommen, genötigt, hier und da ein einträgliches Abenteuer zu riskieren. Doch hatte sie den Abend, bevor der Yankee eintraf, fast mehr aus Langeweile einen Flirt mit einem der gelben Kellner angefangen, als er den Tee besonders geschmeidig servierte, und erst im Verlaufe eines geschickt geführten Gespräches war ihr aufgegangen, daß er ausgezeichnete Beziehungen zu dem kommunistischen Hauptquartier haben mußte. Dem Hündchen war auch er keineswegs angenehm gewesen, noch weniger fast als der Amerikaner, und es wäre ihr sonst jederzeit ein Omen und Wink gewesen, sich zurückzuziehen. Aber gerade in besagten Tagen begannen die schwanken Kursfluten des mexikanischen Silberdollars wieder einmal weniger üppig und mühelos in die weißen Scheckhefte zu fließen. Die Baronin konnte es sich nicht leisten, auf das Schnalzen Piggys zu achten und den von ihrem geschulten Blick als wirtschaftlich höchst leistungsfähig erkannten Mister Dyhard ungenutzt abfahren zu sehen. Aber auch den unverhofft über Gelb angesponnenen roten Faden gedachte sie nicht aus den Fingern zu lassen. Ihr mochte sogar eine Verknüpfung zu einigen angedeuteten geschäftlichen Erwartungen des frischen Ankömmlings vorschweben. Und da sie nun besagten Kellner herbeirufen ließ, damit er und kein anderer sie bediene, und sie den sichtlich Geschmeichelten äußerst sozial behandelte, geriet das Hündchen plötzlich in eine zitternde Unruhe und pfiff hoch und heiser zwischen seinen Pfoten hervor.
„Ich seh, er singt sich sein Schlaflied“, lächelte der Amerikaner, „vielleicht nimmt er vorher noch einen Kaugummi.“
Die Dame hinderte ihn rechtzeitig, das gezückte Täfelchen dem gereizten Tier nahezubringen. Es geriet auch schon so ganz außer sich, und als der Mokka aufgetragen wurde, da sprang es wie der Satan aus dem Arm der Dame dem Kellner gegen die Hand, gerade als er das Tablett auf den Tisch setzte. Die Kanne kippte, und der braune Sud spritzte dem Gentleman auf den weißen Smoking.
Читать дальше