Am 7. Juni waren beide Fahrzeuge segelfertig. Ein heftiger Südweststurm mit Schnee und Hagel verzögerte noch die Abreise. Zur Ausbesserung der Schaluppe hatte man die Wandverschalung der Hütte abgenommen und konnte sich nun kaum mehr vor der eindringenden Nässe schützen. Am 12. konnte man sich endlich wieder hinauswagen. Zwei schwere Arbeitstage kostete es, bis die beiden offenen Boote mit Proviant, Tauwerk usw. beladen waren; dabei durfte zu Schaufel und Spitzhacke die Waffe nicht fehlen, denn die Bären schienen es sich in den Kopf gesetzt zu haben, die Flüchtlinge keinesfalls ohne blutigen Tribut davonkommen zu lassen.
Barents, der seit einiger Zeit kränkelte, benutzte die letzten Tage dazu, einen ausführlichen Bericht über seine Reise und über den auf Nowaja Semlja verbrachten Winter niederzuschreiben. Das Papier wurde in ein Pulverhorn verschlossen und am Kamin aufgehängt, damit Polarfahrer, die ein Zufall vielleicht nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten hierhin verschlug, erführen, was in dieser trostlosen Einöde die Ruinen eines Hauses bedeuteten. Zwei ähnliche Berichte verfaßte auch Hemskerk, ließ sie von allen Matrosen unterschreiben und in die beiden Fahrzeuge niederlegen, damit, wenn sie getrennt würden und vielleicht nur eines die bevorstehende Fahrt überstände, wenigstens die Überlebenden eine beglaubigte Urkunde über ihre abenteuerlichen Erlebnisse vorzuweisen hätten und nicht als Märchenerzähler daständen.
Am 14. Juni begann nun die Fahrt auf Leben und Tod. Für Barents brachte sie den Tod. Im Süden war kein Ausweg, also mußte wieder der Kurs um die Nordspitze von Nowaja Semlja herum genommen werden. Was die Holländer den Winter über ausgehalten hatten, erwies sich als ein Kinderspiel gegenüber dem, was nun jeder Tag und jede Nacht ihren schwachen Kräften zumuteten. Immer wieder schloß sich das Treibeis und drohte, die beiden lächerlich gebrechlichen Fahrzeuge zu zerquetschen; die Bemannung rettete sich mit den Booten auf Eisschollen, die Schollen brachen, Gepäck- und Proviantballen schwammen auf dem Wasser; man fischte sie mit Todesverachtung wieder auf und fand Zuflucht an der nahen Küste, ohne Trinkwasser und Feuer, von Bären verfolgt und verzweifelnd über dem Gedanken, hier aufs neue für Wochen festgehalten zu werden. Dann war plötzlich die See wieder eine Strecke eisfrei. Bei Nacht und Nebel und Sturm verlor man einander aus dem Gesicht und fand sich wieder nach unsäglichen Leiden. An einem der schlimmsten Tage, als sie alle ihren Tod vor Augen sahen, starb Barents plötzlich, zugleich mit ihm ein Matrose; 14 Tage später folgte ein zweiter. Die übrigen zwölf Mann aber hielten die übermenschlichen Strapazen dieser Todesfahrt aus und schlugen sich durch bis zur Küste Rußlands, wo Samojeden und Walfischfänger ihnen die erste Hilfe brachten. Endlich waren sie bei der Halbinsel Kola in Sicherheit, und hier wartete ihrer eine einzigartige Überraschung: sie trafen plötzlich den Kapitän Cornelius Rijp, der sich im vorigen Jahr von ihnen getrennt und nach Holland zurückgekehrt war; jetzt war er auf neuer Fahrt, um vielleicht Kunde über die verschollenen Kameraden mit heimzubringen. Die man längst in Nacht und Eis umgekommen glaubte, standen nun, wenigstens zwölf der tapfern Schar, leibhaftig vor ihm, und diese zwölf führte er im Triumph in die Heimat zurück, wo sie wie Meerwunder angestaunt und mit Recht als Helden gefeiert wurden. Die Nachricht von ihrer glücklichen Heimkehr nach der ersten Überwinterung in der Polaris und von ihrer fabelhaften Reise in zwei Nußschalen über das offene Eismeer vom 77. bis zum 68. Breitengrad ging wie ein Lauffeuer durch die ganze Welt, in Prosa und Versen wurde sie verewigt, zum schnurrenden Spinnrad sangen die Mädchen von den Abenteuern des Helden Barents und seiner Gefährten, und auf den Jahrmärkten pries sie der Bänkelsänger mitten unter den frischesten Moritaten.
Fast 300 Jahre später, 1871, kam ein norwegischer Kapitän namens Elling Carlsen in jene Bucht von Nowaja Semlja und fand das Barentshaus zwar völlig vereist, aber unter der Eislava wunderbar erhalten; er brachte eine Menge Geräte von dort mit, Krüge, Leuchter, Näpfe usw. von künstlerischem Wert, auch das Pulverhorn mit dem Reisebericht von Barents. Jetzt sind sie im Amsterdamer Reichsmuseum zu sehen, und wenn die Hütte kein Wirbelsturm zerstört hat, steht sie noch heute.
„Es haben sich vil hohe vnd berümbte personen für der Zeit vnterstanden / Lender vnnd theil der Welt / welche vnsern Vorfaren vnbekandt vnd verborgen / zusuchen vnnd zuerfinden / haben auch dadurch große ehr vnnd einen ewigen namen bekommen / vnter welche billich der Haubtman Martin Forbisher gerechnet wirdt / denn er nicht weniger lob / als die andern / erlangt hat. Dieser Haubtman / seiner geburt ein Engellender / von hohen subtilen sinnen / keck vnnd unverzagt / begirig seinem Vatterland zu dienen / vnd dadurch einen namen zubekommen / hatt bey jm im jar 1577 beschlossen / so weit er möcht gegen Mitternacht zu schiffen / vnd in solche Lender / darein vor jm niemand kommen were ...
Als er nun bey sich beschlossen / sein heil ... zuversuchen vnd was er jm einmal fürgesetzet / zu einem ende zu bringen / hat er diss sein fürhaben für die Königin gebracht / vnnd daneben angezeigt / mit was großer gelegenheit jrer May. Vnterthanen / in dise weitentlegene Lender handthieren / auch durch was mittel vnd weg solches geschehen / vnd was großer nutz darauss folgen vnd entspringen könne. Solches desto gewisser zu erfaren / hat jre May. befolhen / man solte disem unserm Haubtmann ein Schiff von 150. Tonnen / vnd zwo Barken vntergeben / auch solche mit Munition vnnd Prouiant auff ein halb Jar wol versehen / hat jm auch von Adel / Kriegs vnnd Schiffleuten 140 Personen zugeordnet / vnd jm darneben befelch gethan / er solte seinen vorigen weg wider fürnemen / vnd weiter als zuuor sich wagen. Disem befelch nach sein wir zu Blakewal / so bey zweyen meyl von London gelegen / den 26. Maij des 1577. Jars zu Schiff gangen. / “
Dies ist der Anfang einer alten Historia von dem edlen Herrn Frobisher — so ist der richtige Name — in England, einem Schiffsleutnant und abenteuerlustigen Gesellen, der die Schriften und Karten der beiden Cabots fleißig studiert hatte und ihren Spuren zu folgen beschloß. Im Sommer 1576 war er zum erstenmal mit zwei kleinen Barken „Michael“ und „Gabriel“ und einer Pinasse auf dem Weg nach Nordwesten, um dort sein Glück zu versuchen. Am 11. Juli erreichte er schneebedecktes Land, die Südspitze Grönlands. Hier ging die Pinasse bei einem schweren Sturm mit Mann und Maus unter. Darüber war die Mannschaft des „Michael“ so entsetzt, daß sie schleunigst nach England zurückkehrte.
Frobisher aber ließ sich nicht zurückschrecken, sondern segelte auf seinem vom Sturm arg mitgenommenen „Gabriel“ weiter nach Nordwesten und drang bis zum 63. Breitengrad vor, höher hinauf, als die Cabots gekommen waren. Im Westen entdeckte er eine felsige Küste, in die ein Meeresarm einschnitt. Anfangs war er von Eis verstopft, später trieben die Schollen auseinander, und Frobisher konnte mehrere Tage westwärts segeln. Die Strömung schien aus Westen zu kommen, geradeswegs vom Stillen Ozean, wie er glaubte; die Nordwestdurchfahrt nach China und Indien war also gefunden. Mit dieser vorschnellen Feststellung begnügte er sich und kehrte um. Das Schiff in die Nähe der Küste zu bringen war infolge der Eisbarriere unmöglich; er sandte daher ein Boot mit etlichen Leuten aus, um dieses Neuland für England in Besitz zu nehmen und des zum Zeichen etwas Lebendiges oder Totes von dort mitzubringen. Die Matrosen fanden an der felsigen, völlig öden Küste nichts als winzige Blumen und Kräuter und einige gelbgeäderte Steine. Als aber Frobisher, um eine Karte aufzunehmen, am Eisrand entlang ruderte, kamen „lebende Wesen“ ans Ufer; erst hielt der Engländer sie für Seehunde, bis ihm klar wurde, daß er Menschen in Fellkleidern vor sich habe. Frobisher sah also zum erstenmal die nordischen „Wilden“, Eskimos, denn die Skrälinger der Normannen waren im Lauf der Jahrhunderte völlig in Vergessenheit geraten. Auch Renntiere lernten die Europäer hier zuerst kennen. Mit Hilfe der Zeichensprache kam eine Art Tauschhandel zustande, daraus ergab sich ein Streit, und die englischen „Seehähne“ werden nicht eben viel Federlesens mit den Eingeborenen gemacht haben. Eines Tages verschwand das Boot mit fünf Mann Besatzung spurlos. Frobisher sah darin eine Rache der „Wilden“ und raubte seinerseits einen Eskimo, den er mit nach England nahm.
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