Giovanni Cabot und sein Sohn Sebastian waren 1498 nicht weiter als bis zum 58. Breitengrad gekommen; hier zwang das Eis sie zur Umkehr, und die ersten Ansiedler, die sie in Neufundland, der „Kabeljauinsel“, aussetzten, fielen alle dem harten Klima zum Opfer. Auch auf seinen späteren Fahrten, 1517 an der Spitze eines großen Geschwaders, kam Sebastian Cabot zwar bis an die später so benannte Hudson-Bai, fand aber den nordwestlichen Durchweg nach Indien nicht, dafür eine andere Goldquelle, indem er die englischen Seeleute mit dem Walfischfang vertraut machte. Der unerhörte Fischreichtum dieser Gewässer lockte auch die andern Nationen an, und dieser Wettstreit klärte alsbald die Karte Nordamerikas nach allen Richtungen hin auf. In der Hoffnung, die nordwestliche Durchfahrt zu gewinnen, entdeckte der Franzose Jacques Cartier 1535 den Lorenzstrom und drang bis zum heutigen Montreal vor.
Da Sebastian Cabot im Nordwesten nicht durchgekommen war, richtete er sein Auge auf den Nordosten. Eine „Gesellschaft der Abenteuerfahrer“ wurde gegründet, und 1553 machten sich drei kleine Schiffe auf, um über Norwegen nach Osten China zu erreichen und dort und in Rußland neue Märkte für den englischen Handel zu gewinnen. Gelang es, vom Eismeer aus in die Mündung des Ob einzulaufen, dann konnte man, das lehrten die damals vorhandenen Karten, ganz Rußland durchsegeln und weiter auf dem Nebenfluß Irtysch bis an die Westgrenze Chinas kommen. Schon an der Küste Norwegens wurde das kleine Geschwader durch Sturm zerstreut, und von den drei Schiffen kehrte nur eines in die Heimat zurück. Die beiden andern froren in der Mündung des Warsinaflusses ein, und die gesamte Mannschaft kam in dem harten sibirischen Winter um. Nach Jahren fand man ihr Schiffstagebuch und ersah daraus, daß ihr Befehlshaber zum erstenmal die Küste Nowaja Semljas gesichtet hatte. Der erste, der diese Insel 1555 betrat, war der englische Generalpilot Bourrough; er entdeckte auch die Waigatsch-Insel; ins Karische Meer drang er aber nicht, „wegen der großen und furchtbaren Menge Eis, die wir vor unsern Augen sahen“; doch war für die Erschließung des Polargebiets die Feststellung einer so gewaltigen Insel wie Nowaja Semlja von größter Bedeutung. Spätere englische Versuche, die Nordostdurchfahrt zu erzwingen, waren ebenso erfolglos.
Ende des 16. Jahrhunderts nahmen die Holländer mit hartnäckiger Energie diese Versuche auf. Die ungeheure Hitze am Äquator, die furchtbaren Stürme im Indischen Meer und die lange Dauer der Reise von neun bis zehn Monaten schreckten sie, ebenso wie die Engländer, ab. Über den Norden hinweg hoffte man, das Ziel Indien schon in zwei Monaten erreichen zu können. Obendrein stieß der Handel der erst kürzlich vereinigten „Generalstaaten“ auf rücksichtslose Gegnerschaft bei andern Nationen; Spanier und Portugiesen, damals auf der Höhe ihrer Macht, behandelten den neuen Konkurrenten wie einen Seeräuber, kaperten die holländischen Schiffe und überlieferten die Mannschaft dem Inquisitionsgericht. Da oben im Norden lief kein Schiff Gefahr, die willkommene Beute dieser übermächtigen Feinde zu werden, und wenn sich der nordöstliche Weg nach China fand, boten sich dem holländischen Handel ungeahnte Möglichkeiten. 1594, 1595 und 1596 folgten einander drei Expeditionen zur Erkundung einer nordöstlichen Durchfahrt; ihr Führer war ein Seefahrer Wilhelm Barents aus Amsterdam, dessen Name die Reihe der Helden der Polarforschung verdientermaßen eröffnet.
Am 6. Juni 1594 stach die erste der drei holländischen Polarexpeditionen in See. Befehlshaber der vier Schiffe war der Admiral Cornelis Naij, die eigentliche Seele des Unternehmens der Steuermann Barents. Der Kurs sollte nördlich um Nowaja Semlja herumgehen. Am 15. Juni kreuzte das Geschwader vor der russischen Küste Lapplands. Von hier ging Barents mit zwei Segelschiffen nordwärts und erreichte auf dem 73. Breitengrad Nowaja Semlja, das er fast bis zur Nordspitze erkundete. Die Namen, mit denen er seine Entdeckungen bezeichnete, die Oranieninseln, Kap Nassau usw., führt unsere Landkarte noch heute. Schon gleich als sie festes Land betraten, hatten sie eines jener Abenteuer, die nun in den Berichten über Polarforschung alltägliche Begebenheiten werden, ohne dadurch aber an Gefahr, Aufregung und Spannung zu verlieren. Ein riesiger Eisbär, der die nie gesehenen Ankömmlinge für eine Abart der Seehunde halten mochte, die seine tägliche Mahlzeit bildeten, empfing sie mit erhobenen Pranken. Die Holländer gaben Feuer, und als das angeschossene Tier sich ins Meer warf, folgten sie ihm, um es lebendig zu fangen und wenn möglich mit nach Holland zu nehmen. Vom Boot aus warfen sie ihm eine Schlinge um den Hals und ruderten nun mit der Beute ihrem Schiff zu. Die Bestie brüllte, stemmte sich mit allen Vieren gegen diesen ungewohnten Transport und wühlte das Wasser so gewaltig auf, „daß man es kaum schildern kann“, wie ein Augenzeuge berichtet. „Wir müssen ihm mehr Leine lassen, damit er müde wird“, meinte ein Matrose. Man ließ das Seil lockerer und ruderte weiter, das schnaubende Tier im Kielwasser; Barents stand am Steuer und wehrte es vom Bootsrand ab. Plötzlich erhob sich der Bär hoch aus dem Wasser und klammerte sich an das Boot an. „Laßt ihn, er will sich nur ausruhen“, scherzte Barents — aber schon hatte sich der Bär mit einer gewaltigen Anstrengung emporgeschwungen, und die Männer wichen entsetzt in das andere Ende des Bootes zurück. Der Bär wollte ihnen folgen, aber die Schlinge saß glücklicherweise fest, und das Seil war stark und kurz. Ein beherzter Mann sprang hinzu und schlug ihn mit der Axt nieder. Auf die damaligen Feuerwaffen war noch wenig Verlaß; nicht einmal den Walrossen, die in riesigen Herden auf dem Packeis sich sonnten, konnte man damit beikommen.
Barents wäre gern noch weiter nach Norden vorgedrungen, aber das Eis war in drohender Bewegung, und seine Leute forderten murrend, zu den beiden andern Schiffen zurückzukehren. Bei der Insel Dalgey trafen sie auch glücklich die Kameraden, die unterdes eine nicht weniger abenteuerliche Fahrt gemacht hatten. Cornelis Naij war mit seinen beiden Schiffen an der Waigatsch-Insel gelandet und hatte hier Menschenspuren gefunden: Opferhügel, kunstvoll aus Bärenschädeln und Renntiergeweihen aufgetürmt, von Stangen überragt, deren Spitze ein roh geschnitztes Menschenangesicht zeigte, Augen und Mund mit Blut beschmiert, ein grausiges Wahrzeichen. Doch fanden sich in der Asche der Opferfeuer nur Renntier- und Bärenknochen. Bald stießen die Fremden auf Samojeden, die hier zu Hause waren und den Eindringlingen zuerst drohend mit Pfeil und Bogen entgegentraten. Es kam aber nicht zum Kampf, sondern man schloß Frieden und Freundschaft, die Samojeden besuchten die Holländer auf ihren Schiffen, und durch sie erfuhr Naij, daß die Karische oder Waigatsch-Straße fahrbar sei. Wirklich gelangte er in das Karische Meer, das er die neue Nordsee nannte, und wenn er auch bald vom Packeis aufgehalten wurde, gewann er doch die Überzeugung, daß zu guter Jahreszeit hier nach Osten durchzukommen, die Aufgabe der Expedition also gelöst sei. Im Karischen Meer entdeckte er eine kleine Insel, die er Staaten-Eiland nannte; sie war gebirgig und völlig unbewohnt, der Strand aber besät von einem gold- und silberglitzernden Gestein, das den Holländern als eine unschätzbare Kostbarkeit erschien und von dem sie Proben mitnahmen. Auf der Rückkehr trafen sie die beiden andern Schiffe, und alle vier kehrten nach Hause zurück, wo sie mit großem Jubel empfangen wurden.
Gleich im nächsten Jahr sandte die holländische Regierung eine zweite Expedition aus, um den Seeweg durch das Karische Meer nach Indien weiter zu verfolgen. Die geschäftstüchtigen Mijnheers beluden gleich 16 Schiffe mit kostbarem Tuch und Sammet, zum Austausch gegen die Schätze Indiens. Am 29. August landete diese Flotte in einer Bucht der Waigatsch-Insel. Die samojedischen Freunde belehrten sie über die diesjährigen Eisverhältnisse, und nun ging es weiter ins Karische Meer hinaus. Bei Staaten-Eiland warf man Anker, um zunächst eine tüchtige Ladung des kostbaren Gesteins, über dessen Art und Wert die heimatlichen Chemiker noch uneins waren, an Bord zu nehmen. Hier hatten Barents und seine Leute ein furchtbares Erlebnis, das ein alter Chronist nach den Berichten der Augenzeugen wirksam erzählt:
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