2.1 Einleitung
Das vorliegende Buch befasst sich im Wesentlichen mit der Haupttätigkeit von Lehrpersonen, dem Lehren in einem so genannten institutionellen Kontext, also dem Unterrichten an verschiedenen Arten von Schulen. Unser Hauptanliegen besteht darin, angehenden und praktizierenden Lehrpersonen alle wesentlichen Instrumente in die Hand zu geben, um ihre Lernumgebungen so zu gestalten, dass die Schülerinnen und Schüler maximal davon profitieren können. Alle Kapitel dieses Buchs zielen darauf ab, die Lernwirksamkeit des Unterrichts zu optimieren.
Um aber einsichtig zu machen, weshalb die von uns zusammengetragenen und erläuterten Instrumente gemäß den aktuellen Befunden der empirischen Lehr- und Lern-Forschung tatsächlich lernwirksam sind, ist es uns auch ein Anliegen, die wichtigsten Ergebnisse aus der Kognitions- und Lernpsychologie zum Wissenserwerb darzustellen. Anders gesagt: Nur wer verstanden hat, wie Menschen lernen, insbesondere wenn es um anspruchsvolle Inhalte geht, hat auch ein Begründungswissen dafür, weshalb gewisse Maßnahmen in der Unterrichtsgestaltung einen größeren Effekt haben als andere.
Im Sinne des Angebot-Nutzungs-Modells (
Kap. 1,
Abb. 1) gesprochen: Das vorliegende Kapitel 2 befasst sich damit, wie Schülerinnen und Schüler (bzw. Menschen ganz allgemein) schulische Lernangebote auf der Grundlage ihrer kognitiven und motivationalen Ausstattung nutzen. Nachdem im Kapitel 2.2 (
Kap. 2.2) der dem Buch zugrunde liegende allgemeine Begriff des Lernens eingeführt wird, geht es im Kapitel 2.3 (
Kap. 2.3) zunächst darum, einen Begriff von Lernen darzulegen, der sich auf das Verhalten abstützt (behavioristische Theorie). Zudem wird ein Bezug zum schulischen Unterricht hergestellt, der dann im Kapitel 7 (
Kap. 7) zum Thema Klassenführung vertieft wird. Anschließend stellen wir ein von uns entwickeltes Modell der menschlichen Informationsverarbeitung vor, anhand dessen die verschiedenen Formen des schulischen Lernens im Sinne von Wissensaufbau verortet werden können (
Kap. 2.4). Im Kapitel 2.5 (
Kap. 2.5) schließlich gehen wir auf den Zusammenhang von Intelligenz und Wissensaufbau ein, wobei auch die Bedeutung der Motivation für das schulische Lernen erörtert wird. Auf das Thema der Emotionen bei Lehrpersonen und bei Schülerinnen und Schülern wird im Kapitel zur Klassenführung, genauer im Kapitel 7.4.3 (
Kap. 7.4.3), eingegangen.
2.2 Der Begriff des Lernens
Unter Lernen verstehen wir im vorliegenden Buch den »… Prozess, bei dem es zu überdauernden Änderungen im Verhaltenspotenzial als Folge von Erfahrungen kommt« (Hasselhorn & Gold, 2013, S. 35). Lernen vollzieht sich also in der Interaktion zwischen einem Individuum und seiner Umgebung und ermöglicht es allen Lebewesen, die sich im jeweiligen Lebensumfeld stellenden Anforderungen und Herausforderungen zunehmend besser zu bewältigen (Stern, Schalk & Schumacher, 2016).
Von Lernen spricht man nicht bei zufällig auftretendem Verhalten, sondern nur bei einer klar umgrenzten, auf ein Problem ausgerichteten und nachhaltigen Veränderung, die allerdings von Rückschlägen begleitet sein kann. Wir alle kennen aus der persönlichen Lernerfahrung solche Rückschläge: Gestern konnten wir flüssige englische Sätze produzieren, und heute fallen uns selbst einfache Vokabeln nicht ein. Die im Lernprozess aufgebauten Gedächtnisspuren zerfallen auch schnell wieder, wenn sie nicht genutzt werden.
Lehrpersonen können nicht in die Köpfe der Schülerinnen und Schüler hineinschauen. Damit ist es unmöglich, einen Lernprozess und den Lernerfolg direkt zu beobachten. Lehrpersonen müssen also indirekt überprüfen, ob der Unterricht zum Ziel geführt hat, zum Aufbau von Wissen und Kompetenzen. Diese indirekte Überprüfung funktioniert über die Beobachtung und Analyse des Verhaltens. Dazu gehören im schulischen Kontext bspw. die mündliche Beteiligung, das Beantworten von Fragen oder das Lösen von Problemen und Testaufgaben (sogenannte Assessments (
Kap. 5und
Kap. 6)). Das Verhalten in solchen Anforderungssituationen wird als Performanz bezeichnet. Durch diese beobachtbare Leistung wird dann auf die zugrunde liegende Kompetenz, auf Lernprozesse und Lernerfolg geschlossen (im Detail dazu Blömeke, Gustafsson & Shavelson, 2015).
2.3 Lernen als Verhaltenssteuerung
Viele Formen des Lernens laufen bei Menschen und Tieren vergleichbar ab. Dazu gehören Konditionierungsprozesse, die darin bestehen, dass Reize und Reaktionen, die vorher unverbunden waren, im Gedächtnis gekoppelt werden.
Bei der klassischen Konditionierung steuern die Reize das Verhalten: Es geht um die Identifikation von Merkmalen aus der Umwelt, die auf positive oder negative Konsequenzen hinweisen und dem Individuum damit einen Verhaltensvorteil verschaffen können. Hinweise auf Gefahren ermöglichen eine rechtzeitige Flucht, und Hinweise auf Ressourcen bieten einen Vorsprung vor Konkurrenten.
Beim operanten Konditionieren kann ein Individuum durch sein Verhalten das Auftreten von Reizen steuern. Folgt auf ein Verhalten eine positiv erlebte Konsequenz, wird es erneut gezeigt; folgt hingegen eine als Strafe erlebte Konsequenz, wird es unterlassen.
Konditionierung spielt auch beim schulischen Lernen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Sie kann sehr viel zu einem geordneten Unterricht beitragen oder aber so manches Desaster auslösen, wenn die Lehrperson die Mechanismen nicht durchschaut. So muss man wissen, dass Strafreize grundsätzlich ungeeignet sind, den Aufbau von erwünschtem Verhalten zu fördern, weil sie Flucht- und Vermeidungsverhalten auslösen. Werden beispielsweise Hausaufgaben als Strafe angedroht, muss damit gerechnet werden, dass sie nur sehr oberflächlich ausgeführt und zudem noch emotional negativ besetzt werden. Möchte man, dass sich ein schwatzender Schüler am Unterrichtsgeschehen beteiligt, reicht es nicht, ihn für das Schwatzen zu bestrafen, sondern man muss parallel dazu erwünschtes Verhalten aufbauen (etwa durch positive Verstärkung in Form von Belohnung).
Inwiefern die sogenannten operanten Lernprinzipien (Skinner, 1953) zur gezielten Verhaltenssteuerung im Klassenzimmer wichtig sind, wird im Detail im Kapitel 7.4.4 (
Kap. 7.4.4) im Zusammenhang mit dem Thema Klassenführung aufgezeigt.
2.4 Lernen als Aufbau von Wissen
Menschliches Lernen geht aber weit über Konditionierung hinaus. Beim schulischen Lernen steht der Erwerb von Wissen im Mittelpunkt, welches über Symbolsysteme wie Sprache, Schrift und mathematische Zeichen vermittelt wird. Zwar kann gewisser Schulstoff durch Konditionierung erworben werden, zum Beispiel das Einmaleins oder die Vokabeln einer Fremdsprache. Wer die Aufgabe »7 x 3 =« richtig mit »21« beantwortet, wird gelobt. Auch einen Grundwortschatz englischer Vokabeln kann man so erwerben.
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