So, und nun kommt‘‘s. Ich leiste all meinen Vorurteilen gegenüber diesem Mann und seinen Theorien von der Bedeutung lebenslanger Bewegung hiermit Abbitte und erkläre feierlich: Dieses Buch wurde zum wichtigsten Buch meines Lebens. Ja, es veränderte mein sportliches Leben noch einmal nachhaltig, wie man heute sagen würde. Fragt man andere Mitbürger im Lande, wer das für sie wichtigste Buch ihres Lebens geschrieben habe, bekommt man gemeinhin Antworten, die auf große Namen wie Goethe, Schiller, Hesse, Thomas Mann, Frisch oder Shakespeare hinauslaufen. Manche würden die Bibel, Jerry Cotton oder Donald Duck nennen. Würde man mich fragen, würde ich ohne zu zucken Dr. Kenneth Cooper mit seinem Buch „Bewegungstraining“ nennen, aber es fragt mich ja keiner.
Ich muss auf dieses Buch nolens volens kurz eingehen, ganz einfach weil es die Bibel des Laufens und der aeroben Bewegung ist, weil es mir für jeden aktiven Ausdauersportler unentbehrlich erscheint und sozusagen das Nonplusultra, die Basis für alle später publizierten Bücher über Lauf- und Ausdauersport ist. Das sind große Worte, doch die sind es mir wert. Wen das nicht interessiert, der sollte die nächsten Seiten überblättern.
Also, in gebotener Kürze: Der Amerikaner Dr. Kenneth Cooper war Sportmediziner und Astronauten-Trainer. Er leitete als Major der US Air Force das medizinische Labor für Raumfahrt am Krankenhaus des Lackland Fliegerhorstes in Texas und, vor allem anderen, er war seiner Zeit weit voraus, was Erkenntnisse über aerobes Ausdauertraining, also Trainieren ohne Sauerstoffschuld, angeht. Man muss den US-Amerikanern nicht alles glauben, aber dieser Mann hatte meiner Meinung nach schon damals mehr Fachwissen über aerobes Training und präventive Medizin als die gesamte sonstige Meute der selbsternannten und jeden Unfug ungeniert publizierenden Laufgurus.
In seinem Buch „Aerobics“, auf Deutsch erschienen als „Bewegungstraining“, schreibt Dr. Cooper sehr explizit und verständlich über die zentrale Funktion des Sauerstoffs im menschlichen Körper. Er charakterisiert das Maß der Fitness als die Spanne, die zwischen unserem minimalen Kräftebedarf und unserer maximalen Leistungsfähigkeit liegt. Was heißt das konkret? Es heißt: Je größer diese Spanne ist, desto besser ist die körperliche Verfassung. Bei geringem Fitnessgrad sind Minimum und Maximum nahezu gleich. Wenn der Mensch sich nicht genug bewegt, zu wenig im aeroben Bereich trainiert und zu wenig Sauerstoff aufnimmt, sind Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Schlafbedarf die unmittelbaren Folgen. Ein nicht physisch geforderter Organismus erschlafft, Lunge und Herz verlieren ihre Funktionstüchtigkeit, Gefäßwände werden spröde, Muskeln haben nicht mehr genug Spannkraft. Die beste Lebensversicherung gegen all diese und noch schlimmere negative Entwicklungen ist nach Meinung Dr. Coopers das konsequente Trainieren der Ausdauer. Aerobes Training erhöht das Atemvolumen, verbessert die Herzleistung, versorgt den gesamten Organismus mit Energie erzeugendem Sauerstoff, optimiert die Spannungszustände der Muskeln und wirkt sich positiv auf die Psyche des Menschen aus. Summa summarum: Im Lauf des langfristig angelegten Trainings verarbeitet die Lunge mehr Sauerstoff bei geringerer Anstrengung, das Herz wird gestärkt, die Durchblutung gefördert und so weiter. Ich belasse es bei diesen Aspekten, sie sind inzwischen Allgemeingut geworden und überall nachlesbar.
Das für mich wirklich Interessante an Dr. Coopers Ausführungen ist, dass er sie nicht nur postuliert, sondern empirisch belegt und dass er sie ganz konkret in Anwendungsbeispielen veranschaulicht. Das Beste aber ist, dass er ein Punktesystem für aerobe Bewegung entwickelt hat, nach dem man sich richten und mit dem man seine Leistung optimieren und messen kann. Das möchte ich ebenfalls gerne kurz darstellen.
Für Dr. Cooper haben folgende, zugegeben auf den ersten Blick recht leistungsorientierte Übungsbeispiele in etwa den gleichen Trainingseffekt, sie entsprechen sich also in ihrer Wertigkeit:
1,6 Kilometer Laufen in weniger als 8 Minuten entspricht
600 Meter Schwimmen in weniger als 15 Minuten oder
8 Kilometer Radfahren in weniger als 20 Minuten oder
12,5 Kilometer Laufen auf der Stelle oder
35 Minuten Handball spielen.
Jede dieser Leistungen bewertet Dr. Cooper mit 5 Punkten. Wenn man also eine von ihnen an sechs Tagen in der Woche durchführt, dann hat man 30 Punkte erzielt. Das ist seiner Meinung nach genau die Punktzahl, die der Körper für einen konsequenten und ausreichenden Trainingseffekt benötigt. Die 30 Punkte sind also das Minimum, das jeder Mensch pro Woche, verteilt auf wenigstens vier Übungstage, erreichen sollte. Das Versprechen dahinter ist so attraktiv wie realistisch: ein Leben lang gute Fitness oder eben, wie es der anfangs erwähnte Dr. Laubmann ausdrückte: 20 Jahre lang 40 sein und das mit offenem Ende. Wäre das nicht der Mühen wert?
Nun gibt es keinen Zweifel daran, dass die obigen Zeiten ambitioniert sind und es für einen Anfänger, einen älteren Menschen, einen krankheitsmäßig Vorbelasteten oder einen gering Trainierten nicht ratsam ist, sie schnell erreichen zu wollen. Es wäre gefährlich, solch eine Leistung aus dem Stand zu erbringen, sie müsste – wenn überhaupt machbar – zwangsläufig mit Sauerstoffmangel, also im anaeroben Bereich erfolgen, und das ist nicht empfehlenswert.
Andererseits sollte sich auch keiner von diesem Zahlenbeispiel abschrecken lassen, es ist lediglich ein Musterbeispiel auf höherem Leistungsniveau. Die 30 Punkte sind als Definition des Optimums gemeint, das natürlich erst über viele Wochen aufgebaut werden muss und wofür es Trainingspläne gibt. Durchschnittsbürger, Junge, Alte, Übergewichtige, Raucher, Nichtraucher und so weiter haben alle völlig unterschiedliche Voraussetzungen für sportliche Betätigung. Die gute Nachricht ist, dass man die wünschenswerten wöchentlichen 30 Punkte und die damit einhergehende Fitness auch auf niedrigerem Level erreichen kann, zum Beispiel durch langsameres, aber etwas längeres Laufen oder durch langsameres, aber häufigeres Laufen.
Von den im obigen Beispiel erwähnten Sportarten hält Dr. Cooper das Laufen für die wertvollste und beste Übungsform, bei der der gesundheitliche Erfolg am sichersten ist. Sie ist zudem die unkomplizierteste und billigste. Seiner Ansicht nach hat gerade das regelmäßige Laufen einen außerordentlich günstigen Einfluss, selbst auf alle möglichen bestehenden oder drohenden Krankheiten wie Bluthochdruck, Adipositas, Krebs, Lungenleiden, Herzleiden, genetische Risiken, Diabetes, Rückenschmerzen und Arthritis.
Damit genug der wohlfeilen Worte und zu guter Letzt ein paar Beispiele, damit das Beschriebene greifbar wird.
Für die eigene Einordnung der Leistungsfähigkeit könnte der Coopertest selbst dienen, der besagt:
Schafft man in 12 Minuten
weniger als 1,6 km, gehört man in Leistungsgruppe I, also sehr schlecht,
schafft man 1,6 bis 2,0 km, gehört man in Leistungsgruppe II, also schlecht,
schafft man 2,0 bis 2,4 km, gehört man in Leistungsgruppe III, also mäßig,
schafft man 2,4 bis 2,8 km, gehört man in Leistungsgruppe IV, also gut,
schafft man über 2,8 km, gehört man in Leistungsgruppe V, also sehr gut.
Für jede Gruppe, insbesondere natürlich für die schwächeren, gibt es Aufbauprogramme. Zudem muss man keineswegs schnell laufen, man kann, wie angedeutet, seine wöchentlichen 30 Punkte auch durch längeres langsames Laufen erzielen, bei dem sich ebenfalls ein Trainingseffekt einstellt. Dazu ein paar Beispiele:
Beispiel 1: Eine 4,8 km lange Strecke ergibt bei folgenden Zeiten folgende Punktzahl (zur Erinnerung: wünschenswert pro Woche sind 30 Punkte!):
59:59–43:30 Minuten: |
3 Punkte |
43:29–35:00 Minuten: |
6 Punkte |
35:59–30:00 Minuten: |
9 Punkte |
29:59–24:00 Minuten: |
12 Punkte |
23:59–19:30 Minuten: |
15 Punkte |
unter 19:30 Minuten: |
18 Punkte |
Beispiel 2: Eine 6,4 km lange Strecke ergibt bei folgenden Zeiten folgende Punktzahl (nochmals: wünschenswert pro Woche sind 30 Punkte!):
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