1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 »Wohin wollen Sie?«, schnauzte er durch die schwere Maske.
»Ich mache nur eine Spritztour«, antwortete Cooper verschmitzt.
»Nur eine Spritztour …« Er sah die Augen des Soldaten, und seine ungläubige Miene machte es unerheblich, dass er den Satz zu Ende führte.
»Sir, die Situation ist brenzlig … Sir, Sie müssen nach Hause zurückkehren. Wir erschießen alle, die freudestrahlend herumlaufen. Bei Ihnen haben wir nur deshalb davon abgesehen, weil Sie nicht grinsen wie ein Honigkuchenpferd.«
»Ah, in Ordnung.« Cooper starrte und überlegte.
»Im Ernst, sehen Sie zu, dass Sie wieder nach Hause kommen. Wären Sie an einen anderen Diensthabenden geraten, hätte der Sie vielleicht abgeknallt. Theoretisch stehe ich in der Pflicht, Sie festzunehmen.«
»Wir dürfen die Stadt also nicht verlassen? Was ist mit –«
»Nein, und Sie müssen jetzt verschwinden, ansonsten sehe ich mich gezwungen, Sie in Gewahrsam zu nehmen. Wenn dies geschieht, landen Sie in einem Lager der Regierung, und glauben Sie mir, zu Hause sind Sie besser aufgehoben als dort.«
»Ich mache mir bloß Gedanken um meine Schwester. Sie wohnt im Norden in –«
»Sie werden es nie schaffen, durch alle Checkpoints zu gelangen. Außerdem werden die Straßen von Autowracks und gewaltigen Massenkarambolagen versperrt. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren.« Der Soldat war mit seiner Geduld am Ende. »Jetzt hauen Sie ab, oder ich werde Sie aus dem Wagen zerren.«
Cooper bedankte sich und kehrte um, allerdings nicht zurück zu seinem Haus. Jetzt wollte er die Stadt dringlicher den je verlassen, doch das kam ihm in Anbetracht der Hindernisse und Straßensperren umso unwahrscheinlicher vor. In der Stadt war es so still geworden, dass er sich große Hoffnungen machte, bald würden alle Kontrollpunkte aufgelöst und die Straßen von jeglichen Wracks befreit. Jawohl, nicht lange, und er würde nach Norden fahren können, um bei seiner Schwester nach dem Rechten zu sehen. Bis dahin aber wusste er nicht so genau, was er mit sich anfangen sollte.
***
Später am Abend war er in einem anderen Haus, erneut einem Eigenheim mit offener Tür, dessen Bewohner sich anderswohin aufgemacht hatten. Er zündete eine Kerze an, aß etwas aus ihrer Küche und ließ sich dann mit einem Buch nieder, das er gefunden hatte. Er wollte lesen, um sich abzulenken. Nach ein paar Stunden klopfte es leise aber beharrlich an der Haustür. Es war wirklich kaum zu hören und wurde noch schwächer, schwoll wieder an und erstarb abermals. Man mochte glauben, der Klopfende vergaß wiederholt, was er da tat, und musste alle paar Sekunden neu ansetzen. Cooper warf einen Blick hinaus, um zu sehen, wer dort war.
Er erblickte einen Mann in ungefähr seinem Alter, der dastand und lächelte, während er die Tür anglotzte und klopfte. Cooper fielen dicke, silberfarbene Furunkel überall an seinem Körper auf. Der Kerl trug keine Kleider und war am ganzen Leib mit getrocknetem Erbrochenen und Blut besudelt. Nach 20 Minuten, die sich wie zwei Stunden anfühlten, drehte er sich um und verschwand auf der Straße.
Diese Geschwulste brachten Cooper ins Grübeln, überraschten ihn aber nicht. Er hielt es für leichtsinnig, etwas als harmlos abzutun, dass sich so drastisch auf Verstand und Körper auswirkte. Die Menschen waren rasch zur Stelle, wenn es darum ging, etwas als harmlos oder sogar nützlich einzustufen, noch bevor alle Fakten bekannt wurden. Selbst die Gesundheitsbehörde vermochte nicht, dieses Leiden zu klassifizieren, abgesehen davon, dass es sich um ein Virus handelte. Dennoch nahm es die Bevölkerung vorschnell als etwas Gutes hin, nur weil Vergnügung zu den Nebenwirkungen zählte. Angesichts dieser schauderhaften Geschwüre fragte er sich, ob der Notfunkkanal schon etwas Neues zu vermelden hatte.
Er fand ein Radio und schaltete es ein, doch es blieb stumm. Er bemerkte, dass das Gerät über einen eigenen kleinen Trafo betrieben wurde. An der Seite war eine Kurbel angebracht, um eine Kraftfeder zu spannen. Diese trieb den kleinen Trafo im Inneren an und versorgte das Radio eine knappe Stunde mit Strom. Cooper kurbelte und lauschte. Wie sich herausstellte, hatte die Infektion ihre nächste Phase erreicht.
In den letzten 24 Stunden schon gelangten die Kranken an ihre körperlichen Grenzen. Sie hatten sich physisch ausgezehrt, entweder das Bewusstsein verloren oder ihre Bewegungen auf ein Minimum eingeschränkt. Zudem traten neue Symptome auf. Innerhalb weniger Stunden hatten sich dicke Furunkel auf ihrer Haut gebildet, die nun aufplatzten.
Dass sie Schmerzen empfanden, war vor dem Hintergrund ihres Hirnschadens im Zuge des hohen Fiebers unwahrscheinlich, aber ihre Körper reagierten offensichtlich auf die Qualen, welche die berstenden Geschwüre nach sich zogen. Ein paar Stunden lang spürten sie die Schnitte und Risse in ihrem Fleisch, gebrochene Knochen, Brandwunden und andere Verletzungen, die sie davongetragen hatten, aber der Schmerz, den die platzenden Blasen verursachten, war eindeutig am schlimmsten. Anscheinend setzte er ihnen dermaßen zu, dass sie daran zugrunde gingen.
Nun scharten sich Tausende auf den Straßen, die um sich schlugen und vor Qual brüllten. Einige wenige, die noch frühe Stadien der Infektion durchmachten, wankten weiterhin grinsend umher. Sie wohnten der Aufregung bei wie Kinder einem Zeichentrickfilm, doch bald barsten auch ihre Geschwulste.
Nachdem die Furunkel aufgeplatzt waren, brachen die Opfer bald zusammen und fielen in einen komatösen Zustand. Zu diesem Zeitpunkt schwebten sie zweifellos am Rande des Todes, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie starben. Ihre Geister und Leiber waren derart in Mitleidenschaft gezogen worden, dass man nur noch von leeren Hüllen sprechen konnte. Sie verfügten kaum mehr über die nötigen Hirnfunktionen, um nur die Mindestanforderungen dessen zu erfüllen, was noch als Leben durchging.
In der Nacht hörte Cooper die ersten Schreie, als der Wind sie von der Bucht herantrug. Es wurden mehr, dann schien die ganze Stadt unter dem Schrillen und Heulen der Gemarterten zu beben. Auf jeden Leichnam, der auf einem Berg in der Innenstadt lag, kamen Tausende mehr, die kreischten und brüllten.
Coopers Bemühungen, den Ort zu verlassen, waren gescheitert, und er wusste nicht so recht, was er als Nächstes versuchen sollte. Sich zu Fuß auf den Weg zu machen, stand außer Frage, da es ganz einfach an Irrsinn grenzte. Er war zwar Pfadfinder gewesen und hatte sich um den Rang des Eagle Scouts verdient gemacht, was keine geringe Leistung darstellte, fühlte sich aber dennoch unvorbereitet. Sicher, er hatte Wanderwege zurückgelegt und unter den herbsten Bedingungen kampiert, allerdings nie allein und unter solchen Umständen. Selbst wenn alles friedlich gewesen wäre, hätte er einen Tag und länger ohne Unterbrechung marschieren müssen, um nach San José zu gelangen – und wenn er dort einträfe, würde er auf erheblich mehr Infizierte als hier in Monterey stoßen. Fürs Erste musste er sich ausruhen, doch das ging nicht, solange er die Schreie der Sterbenden hörte. Er fand einen iPod, zog die Ohrstecker an und schaltete das Gerät ein. Bei geschlossener Tür in einem der Schlafzimmer zu bleiben, kam ihm erträglich vor. Er legte sich aufs Bett, drückte sich ein Kissen ins Gesicht und döste endlich ein.
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Jeder Herzschlag glich einem Hieb mit einem Hammer auf seinen Schädel. Sein Magen kam ihm vor wie ein zuckender Sack, weil ihm so übel war, dass er sich jeden Augenblick übergeben musste. Sal lag flach auf dem Rücken. Er wünschte sich, gestorben zu sein, und dachte: Vielleicht bin ich ja tot, und das ist die Hölle.
Sein Magen drehte sich unwillkürlich um und stieß das Gift gewaltsam in einem heißen Schwall, der in seinem Hals brannte, aus dem Verdauungstrakt. Er erbrach sich über Pfützen von bereits Ausgeworfenem, das nicht von ihm stammen konnte, soweit er sich erinnerte. Nachdem er geschnaubt und ausgespien hatte, legte er sich wieder zurück. Vorübergehend fühlte er sich besser, doch prompt setzte sich das Hämmern fort, und mit ihm einher ging noch einmal der Wunsch, zu sterben.
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