1 ...6 7 8 10 11 12 ...25 Auf dem Weg nach oben gerieten sie ins Schwitzen, wovon sie sich aber eine Menge versprachen. Das Beste an diesem Haus war allerdings der Umstand, dass es sich offenbar wie meistens in solchen Fällen um einen Zweitwohnsitz handelte, der fast das ganze Jahr über unbenutzt blieb.
»Oh mein Gott!«, jubelte Rachael. »Die Leitungen funktionieren noch, und das Wasser ist tatsächlich warm. Das darf doch nicht wahr sein – warmes Wasser!« Sie schaute zuerst in die Badezimmer. Everet steckte ebenfalls seinen Kopf hinein. Er trank gerade eine Cola ohne Zucker. »Strom haben sie auch hier. Der Kühlschrank ist kalt und … Ich mach uns mal was zum Abendessen, während du dich wäschst.«
Später schnitt sich Everet den Kinnbart fast komplett ab, wozu er eine Schere aus der Küche verwendete. Den Rest ließ er ordentlich von Rachael trimmen. Einen Teil wollte er aber stehen lassen, damit sein Kinn fülliger wirkte.
In jener Nacht konnten sie zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder tief und fest schlafen. Der Gedanke, diesen Ort je wieder verlassen zu müssen, war ihnen zuwider, doch sie mussten den anderen helfen, und konnten leider nicht allzu lange damit warten, so lange Ben dort draußen weiterhin freie Hand hatte. Sie wollten zwar bei Sonnenaufgang zur Lichtung zurückkehren, wussten aber nicht einmal ansatzweise, was sie tun sollten, wenn sie dort ankamen.
***
Ben stand nun vor seinen nackten Schäfchen.
Der alte Zamfir hat wirklich Geschmack bewiesen, dachte er, während er einige der weiblichen Körper betrachtete, die auf der Erde lagen. Zur Gruppe zählten nur wenige junge Männer, doch nicht Zamfir hatte darüber bestimmt, wer Mitglied werden sollte, sondern Rachael. Die Aufnahme war komplett ihr Bereich gewesen, und die Mädchen hatten niemals annähernd so viel Ärger gemacht wie die Kerle.
Alle neun lagen nun nackt in einer Reihe, die Gewänder um die Köpfe gewickelt und untergeschoben wie Kissen. Sie zitterten heftig, denn die abendliche Kälte war in Verbindung mit ihrer Todesangst nahezu überwältigend. Die meisten jungen Frauen weinten, und mehrere von ihnen hatten versehentlich Wasser gelassen.
Ben ging auf und ab, während er überlegte, an wem aus seinem Gefolge er nun ein Exempel statuieren sollte. Schließlich blieb er vor einem Männerkörper stehen. Dieser zitterte nicht. Anscheinend war ihm nicht ängstlich genug zumute, und die Kälte machte ihm offenbar ebenfalls nicht allzu viel aus. Dadurch wurde er zu einem potenziellen Problem, das dringend ausgemerzt werden musste.
Er soll es sein, beschloss Ben deshalb. So würde er direkt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Fürs Erste konnte so, alles eitel Sonnenschein bleiben. Bald wollte er weiterziehen. Dass er sich entscheiden musste, den Zirkel entweder nur zum Spaß zu befehligen, oder Zamfir und Rachael gefangen zu nehmen, machte ihn wahnsinnig. Er war auf hundertachtzig, seit dieser Typ Cooper, ihn so übel zugerichtet und dann Reißaus genommen hatte. Die Vorstellung, diesen Kerl nie wieder zu Gesicht zu bekommen und ihm niemals eine Lehre erteilen zu können, regte Ben immer mehr auf.
»Er sieht so harmlos aus«, brummte Ron achselzuckend, während er von der zweiten Ebene des Parkhauses auf einen gut gekleideten Asiaten hinunterschaute. Fremde erregten nunmehr automatisch sein Misstrauen, doch dieser Mann kam ihm nicht bedrohlich vor. Nichts an ihm stach hervor, was Ron eigentlich hätte stutzig machen sollen. Trotzdem … Er zweifelte mittlerweile an seinem eigenen Urteilsvermögen. Die Tatsache, dass der Mann perfekt Englisch sprach, bereitete ihm noch mehr Kopfzerbrechen, wie er sich eingestehen musste, obwohl er wusste, dass es ungerecht war, dies als Grund anzuführen.
Dale, der jetzt glatt rasiert war und die Haare kurzgeschoren hatte, stand neben Ron und betrachtete den Mann ein wenig skeptischer, nämlich mit dem erfahrenen Auge eines Polizisten. Er spürte, dass etwas an dieser Sache nicht ganz koscher war.
»Hey Alvin«, rief er laut und deutlich. »Du sagst, du seist allein?«
»Ja, sonst ist niemand bei mir.« Seine Gesten, ein Schulterzucken mit offen ausgestreckten Händen, suggerierten Offenheit.
Dale blieb jedoch noch einiges unklar: Warum bist du dann unbewaffnet? Wo sind deine ganzen Habseligkeiten? Und wieso siehst du aus, als seist du gerade eben vom Herrenausstatter gekommen?
Er rang mit sich selbst, bis er einsah, dass er niemanden aus diesen Gründen aus ihrer Gemeinschaft ausschließen durfte. Darum würde er diesem Neuankömmling – Alvin – bis zu einem gewissen Grad vertrauen müssen, ihn aber trotzdem genau im Auge behalten.
Er wünschte sich eine weitere Option, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern um sich besser mit dem verschlossenen alten Mann austauschen zu können.
»Hey Francis, was meinst du?«, fragte er wiederum laut, damit dieser ihn auch hörte, da er gerade unter der offenen Haube eines Autos in der Nähe arbeitete.
Francis Burwell, auch Weed genannt, zuckte bei der Nennung seines bürgerlichen Namens zusammen. So gerufen zu werden ging ihm immer gegen den Strich, aber ganz besonders dann, wenn dieses Schwein es tat.
Mach dir keinen Kopf, beschwichtigte er sich selber. Das wird sowieso nicht lange gut gehen, nicht mit deiner Widerborstigkeit und Gewaltbereitschaft. So oder so wird es bald vorbei sein. Wie üblich fiel es ihm leicht, seine wahren Gefühle während des Umgangs mit der Gruppe zu verbergen.
Weed – so hieß er in erster Linie nach seinem eigenen Selbstverständnis – unterbrach seine Arbeit am Motor kurz und richtete sich auf. Dabei ermahnte er sich noch einmal: Mach dich nicht zu groß. Du sollst wie ein klappriger alter Sack wirken, nicht wie ein Springinsfeld. Wahre den Schein.
Er fuhr sich erst einmal mit einem Ärmel über die Stirn. Die Rolle des großväterlichen Francis beherrschte er bereits souverän. Er bewegte sich stets langsam und ging gebeugt, wobei er so tat, als würde er Dinge vergessen, die ihn gar nicht genug interessierten, um sie sich überhaupt zu merken. Einen gefährlichen Eindruck machte er auf keinen Fall, und niemand bat ihn je darum, etwas Schweres zu heben. Der durchgeknallte, gewiefte Jungspund hatte ihm aufgetragen, dass er die Batterien aller Fahrzeuge auf der zweiten Ebene ausbauen soll. Als er nun zu ihm hinüberging, hielt er den großen Schraubschlüssel, den er dazu verwendet hatte, in der Hand und schaute Dale fest in die Augen. Mensch, hätte ihn der Cop doch einfach nur in Ruhe gelassen … Er versuchte hier doch nur, zu überleben, genauso wie alle anderen auch, und er wollte nicht, dass es so losging.
Dale setzte nun wieder diesen Gesichtsausdruck auf – diesen Bullenarschlochblick, wie um zu sagen »unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist«. Vor dem Fall der Menschheit hatte er als verdeckter Ermittler gearbeitet, und Weed erkannte, dass dieser vermutete, dass hinter seiner Fassade des alten Mannes mehr steckte. Das stimmte natürlich auch, er war weit mehr … oder zumindest war er es gewesen. Der alte Francis hatte lange Zeit sein Bestes versucht, um den Wichser links liegen zu lassen, bis er sich irgendwann wieder beruhigte, sodass er in Frieden weiterleben konnte, doch mit der Zeit war die Stimmung immer gereizter geworden. Weed ging es in erster Linie darum, nicht als Verdächtiger dazustehen, wenn was auch immer irgendwann passierte.
»Es ist doch recht warm, Großpapa, willst du nicht lieber dein Hemd ausziehen? Oder wenigstens die Ärmel hochkrempeln?« Dies schlug Dale garantiert vor, um auf das Verhalten des alten Mannes aufmerksam zu machen, den sie alle so blauäugig als ungefährlichen Greis akzeptiert hatten.
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